Eigenständige Entwicklung nur ohne Blockade möglich

Solidarität mit Kuba

Regatta vor der Küste Havannas gegen die US-Blockade Kubas

Regatta vor der Küste Havannas gegen die US-Blockade Kubas
Foto: Abel Padrón Padilla / Cubadebate


Kürzlich traf ich in Brüssel eine kubanische Ärztin und eine kubanische Krankenschwester, die sich auf einer von Solidaritätsorganisationen organisierten Europareise befanden. Ich erwähne dies deshalb, weil damit zwei Dinge deutlich werden. Zum einen die nach wie vor große Solidarität mit Kuba in Europa, die angesichts der Lage in Kuba notwendiger ist denn je. Zum anderen die überaus erfolgreiche kubanische medizinische Forschung und Praxis, über die die beiden Kubanerinnen auf ihrer Reise berichteten. Davon konnte ich mir auch selbst einen Eindruck verschaffen, als ich im Februar 2022 mit einer Delegation der Europäischen Linken in Kuba war und wir dort das Forschungsinstitut "Finlay" besuchten. Trotz der äußerst schwierigen Bedingungen ist es Kuba gelungen, besser als andere Länder mit der Pandemie umzugehen und sie weitgehend hinter sich zu lassen. Nach einem harten Lock down hat sich die Lage erheblich verbessert. Dies ist vor allem der Entwicklung eigener Impfstoffe zu verdanken. Hier hat Kuba erstaunliche Leistungen vorzuweisen. So gelang es, einen hochwirksamen Impfstoff zu entwickeln. Inzwischen sind deutlich über 90 Prozent der Kubanerinnen und Kubaner geimpft. Die Zahl der von Corona Infizierten ist sehr niedrig und die Todesfälle gegenwärtig äußerst gering. Die Impfstoffe sind in Kuba ein öffentliches Gut.

Diese Erfolge auf medizinischem Gebiet kontrastieren mit der allgemeinen Lage, die außerordentlich schwierig ist. Kuba leidet enorm unter der nunmehr seit 60 Jahren andauernden Blockade Kubas durch die USA. Dies ist unter Trump mit zahlreichen weiteren Einzelmaßnahmen verschärft worden. Sein Nachfolger Biden hat daran nichts geändert. Diese Blockade behindert die ökonomische und soziale Entwicklung in jeder Hinsicht und reicht weit in das Alltagsleben hinein Die Bevölkerung leidet insbesondere unter der hohen Inflation. Sie beträgt gegenwärtig rund 70 Prozent. Dies ist allerdings nicht allein auf die Blockade zurückzuführen, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass in Kuba selbst zu wenig produziert wird, so dass die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt. Lebensmittel werden zu 70 Prozent importiert. Die Landwirtschaft stellt nach vor eine Schwachstelle der kubanischen Wirtschaft dar. Daran hat sich auch durch die von der Regierung unternommenen Initiativen wenig geändert. Aber auch insgesamt ist die ökonomische Entwicklung in Kuba schwach. Das galt bereits vor der Pandemie, wo die Wachstumsziele nicht erreicht wurden. Und diese Situation hat sich während der Pandemie weiter verschlimmert, insbesondere auch dadurch, dass der Tourismus, der einen wesentlichen wirtschaftlichen Faktor darstellt, eingebrochen ist. Durch die hohe Inflation reichen auch die erhöhten Löhne und Gehälter oft nicht aus. Zunehmend mehr Kubanerinnen und Kubaner sind auf die staatliche Lebensmittelzuteilung ("libretas") angewiesen. Auch wenn die Lage sehr schwierig ist, so ist sie doch nicht mit der "periodo especial" in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu vergleichen.

Es ist nicht verwunderlich, dass diese Situation erhebliche Proteste zur Folge hat. Diese werden durchaus auch von der Regierung und der kommunistischen Partei als legitim angesehen. Auf der anderen Seite ist der Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung nach wie vor sehr hoch und es gibt zahlreiche Bestrebungen, die Lage durch eigene Anstrengungen zu verbessern.

Die kubanische Regierung unter dem seit Oktober 2019 das Amt Staatspräsidenten innehabenden Miguel Díaz-Canel bemüht sich, die Wirtschaft durch Reformen anzukurbeln. Kern ist die Zulassung privater kleiner und mittlerer Unternehmen, womit der Bereich der schon zuvor eingeführten "Cuentapropistas", also der auf eigene Rechnung Arbeitenden, ausgeweitet wird. Diese Öffnung ist durch die neue Verfassung, die im April 2019 in Kraft trat, abgesichert. Eine besondere Förderung erfahren auch die Genossenschaften. Entscheidend wird sein, inwieweit die die Wirtschaft weiterhin dominierenden staatlichen Unternehmen ("Empresas Estatales Socialistas") ihre Produktivität zu steigern in der Lage sind.

Ein weiteres wichtiges Element in diesem Zusammenhang sind die Sonderwirtschaftszonen wie die in Mariel. Damit soll einerseits die Importabhängigkeit gemildert, andererseits die Exporte befördert werden. Es sollen Projekte für Hochtechnologie, insbesondere im Bereich der Biotechnologie, initiiert werden. Ziel ist auch, damit mehr Beschäftigung zu schaffen. Die dortigen Unternehmen erhalten starke Steuervergünstigungen. Die Sonderwirtschaftszone ist im Gegensatz zu sonst üblichen Formen nicht völlig frei, sondern unterliegt der Kontrolle. So gilt auch hier das kubanische Arbeitsgesetz. Sie soll weiter ausgebaut werden. Die kubanische Wirtschaft ist auf Investitionen ausländischer Unternehmen angewiesen.

Es gibt Befürchtungen, dass die Ausweitung des privaten Sektors zu einer wachsenden sozialen Ungleichheit führt. Dies ist sicher nicht auszuschließen. Eine solche Öffnung scheint mir dennoch geboten zu sein. Noch ist der private Sektor stark begrenzt. Es wird darauf ankommen, ihn unter gesellschaftlicher Kontrolle zu halten.

Regatta vor der Küste Havannas gegen die US-Blockade Kubas

Regatta vor der Küste Havannas gegen die US-Blockade Kubas
Foto: Abel Padrón Padilla / Cubadebate


Es ist keine Frage, dass sich die politischen Verhältnisse in Kuba von denen einer parlamentarisch repräsentativen Demokratie, wie wir sie kennen, unterscheiden. Doch die Charakterisierung als kommunistische Diktatur ist ein Zerrbild. Verkannt wird, dass sich die politische Verfassung des Landes durch Formen partizipativer Demokratie auszeichnet. Die Einbeziehung des Volkes ("consulta popular") ist eine praktizierte Realität. Das war schon bei der Erarbeitung und der Verabschiedung der neuen Verfassung der Fall. An diesem Prozess beteiligten sich Millionen von Kubanerinnen und Kubaner, deren Vorschläge auch Eingang in die Verfassung faden. Gegenwärtig geht es um ein neues Familiengesetz, dem "Código de las Familias". Schon der Titel mit dem Plural "las Familias" zeigt, dass es sich um einen progressiven Entwurf handelt, der unterschiedliche Lebensformen als gleichwertig anerkennt und sie juristisch abzusichern sucht. Das war im Übrigen einer der Streitpunkte in der Verfassungsdebatte, wo sich die Bevölkerung für mehr traditionelle Formen entschied. In die Neufassung des Familiengesetzes wird die Bevölkerung systematisch einbezogen, indem auf Gemeindeebene organisierte Versammlungen stattfinden, in denen das Gesetz vorgestellt wird und Vorschläge aus der Bevölkerung aufgenommen und dann auch Eingang in den Prozess finden.

Praktische Solidarität mit Kuba und seiner Bevölkerung ist mehr denn je notwendig. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die von den USA verhängten Blockade. Es muss alles getan werden, dass diese aufgehoben wird. Denn nur dann ist eine wirklich eigenständige Entwicklung möglich. Dafür muss sich die Linke in Europa einsetzen. Dies ist auch der Fall: So wurden die gegen Kuba gerichteten Resolutionen im Europaparlament, die wesentlich von der Rechten ausgingen, von der Linken im Europaparlament scharf kritisiert. Überlegenswert wäre ein Tribunal, um auf die konkreten Folgen der Blockade für die Entwicklung und das Alltagsleben in Kuba aufmerksam zu machen. Ein solches Tribunal müsste allerdings politisch breit besetzt werden. Solidarität schließt die kritische Auseinandersetzung mit der Politik Kubas nicht aus. Ganz im Gegenteil. Wichtig ist jedoch, dass man über authentische Informationen verfügt und sich mit der realen Entwicklung befasst.

CUBA LIBRE Heinz Bierbaum

CUBA LIBRE 3-2022