CUBA LIBRE will in dieser Rubrik aufzeigen, was die Konzernmedien verschweigen, Falschmeldungen enthüllen und Manipulationen aufdecken.
Rotation. Foto: Wiljo Heinen |
Mit Beginn von Kriegshandlungen in der Ukraine wurde jeder Vergleich mit dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien von Aktivisten der seit der NS-Zeit breitesten deutschen Anti-Russland-Querfront mit dem vernichtenden Vorwurf des "Whataboutism" abgebügelt. Auch Leute, die sich selbst als Mitglieder der Friedensbewegung bezeichnen, aber zugleich mit CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNEN und einigen Vertretern der LINKEN für Aufrüstung, Waffenlieferungen und Stärkung der NATO demonstrierten, verweisen gern darauf. Mit dem diskreditierend gemeinten Vorwurf wird oft auch konfrontiert, wer den Anschuldigungen wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen in Kuba die Realität in anderen Staaten entgegenhält. Jeder Hinweis darauf, dass die Ankläger Kubas systematisch mit zweierlei Maß messen, wird – man ahnt es – als "Whataboutism" abgetan. Das hat Folgen.
Selektive Wahrnehmung der "taz"
Ein Beispiel lieferte taz-Autor Knut Henkel am 28. Januar 2022 mit einem Beitrag über die Strafverfolgung gewalttätiger Akteure der Proteste im Juli 2021 in Kuba. Unter der Überschrift "Prozesse zur Abschreckung" stellte Henkel, der sich auf die in Miami ansässige Contra-Organisation "CubaLex" berief, besonders heraus, dass "auch 14 Minderjährige" angeklagt worden seien. Unicef sei besorgt, da Jugendliche laut UN-Kinderrechtskonvention erst ab 18 Jahren strafmündig sein sollten, berichtete der Autor und verwies darauf, dass dies in Kuba anders sei, weil "dort die Jugendlichen bereits ab 16 Jahren strafmündig sind". Ein Blick über den Tellerrand oder eine über das zitieren von Contra-Quellen hinausgehende Recherche, hätte der Intention des Beitrags möglicherweise geschadet. Denn dann hätten auch taz-Leserinnen und Leser erfahren, dass Kuba den Beginn der Strafmündigkeit bereits im Jahr 1979 von 12 Jahren auf 16 Jahre angehoben hatte und damit der Forderung des UN-Ausschusses für Kinderrechte entsprach, für Strafmündigkeit "ein nicht unter dem 12. Lebensjahr liegendes Alter" festzulegen. In den USA beginnt die Strafmündigkeit dagegen – je nach Bundesstaat – noch immer zwischen dem 6. und dem 12. Lebensjahr. Auf US-Bundesebene beginnt sie mit dem 10. Lebensjahr und in der BRD zwei Jahre früher als in Kuba, nämlich bereits mit dem vollendeten 14. Lebensjahr.
Während in Kuba keine Minderjährigen unter 16 Jahren im Gefängnis sitzen, würden in den USA "jeden Tag zweitausend Arreste von Kindern stattfinden" und "44.000 derzeit inhaftiert" seien, klagt die US-amerikanische NGO "Children‘s Defense Fund". Bis 2005 konnten Kinder dort sogar zum Tode verurteilt werden und zu diesem Zeitpunkt befanden sich 70 Minderjährige in einer Todeszelle. Ein Beispiel für die systematische Missachtung von Kinderrechten in den USA ist das des heute 84-jährige Afroamerikaner Joe Ligon, der 1953 im Alter von 15 Jahren als Mitglied einer Kindergang zu lebenslanger Haft verurteilt und erst im Februar 2021 entlassen worden war. Solche Hinweise sind aus Sicht derer, die wie die "taz" westliche Werte verteidigen, jedoch vermutlich nichts weiter als "Whataboutism".
US-Analyse bestätigt Einseitigkeit
Zwei Wissenschaftler der kalifornischen Stanford University haben verglichen, wie unterschiedlich US-Medien über die Proteste vom 11. Juli in Kuba und die zehn Wochen zuvor begonnenen Unruhen in Kolumbien berichtet haben. Laut der kolumbianische NGO "Indepaz" sind dort seit Unterzeichnung des Friedensabkommens (2016) mehr als 1.300 soziale Anführer ermordet worden. Doch während über Hintergründe dieser politischen Morde, die Beteiligung von Militärs und Regierung und die Rolle der USA selten berichten wird, stehe Kuba permanent am Pranger, beobachtete sie. Dabei töte "die kolumbianische Polizei nicht nur unverhältnismäßig viele Menschen, sondern verletzte die Demonstranten auch schwerer als ihre kubanischen Kollegen, indem sie beispielsweise Dutzenden von Demonstranten absichtlich in die Augen schoss", stellten Stanford-Professor Mikael Wolfe und Ko-Autorin Jessica Femenias fest.
Trotzdem hätten die Proteste auf der Insel größere Aufmerksamkeit erhalten. Auch in qualitativer Hinsicht gebe es große Unterschiede: "Während für kubanischen Demonstranten positive Adjektive wie "mutig", "unterdrückt", "friedlich", "um Freiheit kämpfend" oder "prodemokratisch" verwendet wurden, werde die kubanische Regierung fast ausschließlich negativ dargestellt mit Beschreibungen wie "autoritär", "Diktatur", "repressiv", "brutal" oder "totalitär". „Insgesamt waren die Medien viel schneller dabei, Kuba zu beschuldigen als das mit den USA verbündete Kolumbien, obwohl das Vorgehen gegen die Demonstranten dort härter war", fassten die Autoren ihre Untersuchung zusammen.
Volker Hermsdorf
CUBA LIBRE 2-2022