Das europäische Parlament hat wegen "der Gewalt und der extremen Repression friedlichen Demonstranten gegenüber" bei den Protesten im Juli Kuba verurteilt.
"Brutale Repression" auf der Insel, heißt es in der europäischen Presse. Aber werfen wir einen genaueren Blick auf die Dutzenden von Videos, die über diese Ereignisse veröffentlicht wurden und stellen den Begleitton ab, was sehen wir dann in der Realität? Eine wenig erfahrene kubanische Polizei, die eine milde Reaktion auf die Aggressionen zeigt und deren angewandte Gewalt angesichts des Verhaltens von zahlreichen Polizeibehörden in der Welt fast kindlich erscheint. Vor allem im Vergleich mit der Polizei in Europa selbst.
Die wirkliche polizeiliche Brutalität hat in nicht wenigen Protest- Szenarien beispielsweise die spanische Polizei an den Tag gelegt. Ihr Einschreiten im Jahre 2017 gegen das Referendum in Katalonien hat mehr als 800 verletzte Personen verursacht. Der Straßburger Menschengerichtshof hat Spanien in zehn Entscheidungen dafür verurteilt, dass dort den Anzeigen von Folter und Misshandlungen durch Polizeibeamte nicht nachgegangen wurde – mehr als 5000 Fälle sind dokumentiert. Wo bleiben hier die Verurteilungen durch das Europäische Parlament?
Sie sprechen von Verhaftungen in Kuba wegen "friedlicher Meinungsäußerung auf Demonstrationen". Falsch! Niemand bestreitet, dass es Exzesse oder unrechtmäßige Handlungen gegeben haben kann – und damit verschiedene Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft – aber im allgemeinen erfolgten die polizeilichen Maßnahmen nicht aufgrund friedlicher Proteste, sondern wegen Angriffe mit Steinen und Molotowcocktails, das Zertrümmern von Schaufenstern und die Plünderungen von öffentlichem Eigentum.
Das Europäische Parlament hat niemals die Regierung Kolumbiens verurteilt: 70 Tote durch Repression bei den Protesten im April, oder die Chiles (34 Tote bei Protesten 2019) oder die zwischenzeitliche Putsch-Regierung Boliviens, welche 32 Tote verursacht hat. Im letzteren Fall erkannte das Europäische Parlament die Putschisten sogar als legitime Regierung an und verurteilte Monate später die Verhaftung derer Präsidentin "als willkürlich und illegal". Das Europaparlament verurteilte 2020 auch nicht die polizeilichen Aktionen in den USA während der Proteste der Black Lives Matter, die insgesamt 30 Tote und 14.000 Verhaftungen nach sich zogen.
Mit all den genannten Länder unterhält die Europäische Union umfassende Handels- und Kooperationsabkommen. Aber jetzt fordert ihr Parlament, das fest in der Hand von rechten Kräften an der Seite Washingtons ist, das Abkommen über Dialog und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Kuba zu liquidieren, und dieses wegen einer polizeilichen Praxis, die deutlich weniger repressiv ist als die all dieser Länder.
Sie erzählen uns von Angriffen in Kuba auf "mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnete Persönlichkeiten" wie Guillermo Fariñas. Aber was würde dem Genannten zustoßen, falls er Europäer wäre, wenn er in der Presse zugeben würde, dass er die Regierung der USA zu einer militärischen Intervention in seinem Land auffordert? Er wäre innerhalb kürzester Zeit im Gefängnis. Aber in Kuba geschieht ihm, abgesehen von einigen Stunden Arrest, gar nichts.
Die Proteste in Kuba waren ein vorhersehbares Ergebnis einer lang anhaltenden Verknappungssituation, von Materialmangel, von Stromausfällen, von fehlenden Medikamenten und Lebensmitteln, Mangel an Transportmöglichkeiten und von langen Schlangen. Aber weder das Parlament noch die europäischen Medien erklären die Gründe dafür. Da ist auf einer Seite der brutale ökonomische Krieg seitens der USA, mit 243 Sanktionen in den letzten vier Jahren, der sämtliche Einkommensquellen des Landes hat versiegen lassen (die internationalen medizinischen Abkommen, die Reisen aus den USA, die überweisungen der Emigration....), und der mittels Sanktionen gegen den Hauptlieferanten Venezuela und gegen die Transportunternehmen von Drittländern kaum noch Treibstoff auf die Insel lässt. Auf der anderen Seite ging wegen der Pandemie der Tourismus, die einzige verbliebene Einnahmequelle des Landes, auf Null zurück. Und zum Abschluss eine millionenfache Kampagne der sozialen Netzwerke – finanziert durch US-amerikanische Bundesagenturen, um einen kleinen, aber durchaus sichtbaren Sektor der kubanischen Bevölkerung gegen die kubanische Regierung aufzubringen. Um ein Bild von Repression zu erwecken, wurden unzählige fake news in die Welt gesetzt, in denen Bilder von Polizeiaktionen in Brasilien, Südafrika oder der Dominikanischen Republik für kubanische Realität ausgegeben wurden.
Auf alle Fälle fällt die Bilanz "höchst niederträchtig, schurkisch und als ein Pyrrhussieg" aus, wie es anschließend der mexikanische Präsident anklagend auf den Punkt brachte. Wir schließen mit seinen meisterhaften Worten: "Man sieht sehr deutlich, dass die Regierung der Vereinigten Staaten die Blockade benutzt, um jeden Wohlstand des kubanischen Volkes zu verhindern mit dem Ziel, dass dieses sich aus nackter Not gegen seine Regierung wenden möge. Wenn diese perverse Strategie Erfolg hätte – was allerdings für nicht sehr wahrscheinlich gelten kann wegen der Würde, auf die wir uns bezogen haben – ich wiederhole, wenn sie Erfolg hätte, dann würde sie sich in einen niederträchtigen, gemeinen Triumph verwandeln, in einen Pyrrhussieg. In einen Schandfleck, den alle Wasser der Ozeane nicht wegwaschen könnten".
José Manzaneda, Koordinator von Cubainformación
Übersetzung:Angelika Becker/Tobias Kriele
CUBA LIBRE 1-2022