Krimi in Kuba

"Tras la Huella" – sonntags nach den Nachrichten, hoffentlich

Die beliebte Krimireihe Tras la Huella, die vor über 15 Jahren die Nachfolge des mythischen Sonntagabend-Dauerbrenners Dia y Noche antrat und inzwischen auch schon auf mehr als 200 Episoden zurückblickt, basiert auf authentischen Fällen und unterscheidet sich in vieler Hinsicht klar erkennbar von deutschen Produktionen dieser Gattung.

Allein schon die Synopsis von Tras la Huella ("Auf der Spur"), die ich beim Nachstöbern im Internet entdeckte, kann man sich wohl auf der Zunge zergehen lassen: "Polizeiserie des Kubanischen Fernsehens, bestehend aus Einzelkapiteln, welche die Investigationen einer operativen Einheit erzählt, die gegen das Verbrechen im zeitgenössischen Kuba kämpft, um die Bürgerruhe zu bewahren." Bekanntlich steht die Bürgerunruhe – in Kuba, wohlgemerkt – ganz oben auf dem Wunschzettel selbst konservativster Kreise der "freien westlichen Welt", die alle exklusiv in diesem Fall den klammheimlichen Anarchisten in sich entdeckt zu haben scheinen.

Wenn man jetzt noch weiß, dass besagte Serie 2005 ins Leben gerufen wurde, um das 44. Gründungsjubiläum des Innenministeriums (MININT) zu würdigen, dann nähert man sich langsam der Erkenntnis an, dass in Kuba landauf, landab schwerlich eine staatstragendere Fernsehreihe vorstellbar wäre als diese.

Umso erstaunlicher, dass sich Infos zu gerade dieser Sendung so auffallend häufig hinter YouTube verbergen, also auf Verbindungen zu einer Welt schließen lassen, die der hiesigen quasi diametral entgegengesetzt ist. Könnte es sein, dass Kubaner, die der schönen Insel den Rücken gekehrt haben, um ihr Glück in jenem Schurkenstaat zu suchen, den unser nördlicher Nachbar verkörpert, trotz allen Abschwörens vom Sozialismus immer noch ein Heimweh wie verrückt empfinden – auch solches nach "politisch unkorrekten" Serien wie dieser? Und – Zusatzfrage – könnte es sein, dass einem vor allem das Zeug, das man, nunmehr geläutert, heftig ablehnt, Tränen über die verlorene Heimat in die Augen treibt?

Als vor etlichen Jahren einer der Hauptdarsteller der Serie fahnenflüchtig wurde und in die USA ging, zeigte man sich dort stolz wie Oskar, als habe man soeben einen Weltmeister im Schwergewichtsboxen zum Überlaufen bewegt.

Was freilich auch auffällt, ist die Geneigtheit der Gegenseite, sich – via YouTube – in jenen Kulturkrieg einzumengen, der schon länger latent, aber in jüngerer Zeit verstärkt beim Kampf um die Lufthoheit über die veröffentlichte Meinung eine Rolle spielt. Wie anders sollte man wohl den Aufhänger verstehen: "Tras la Huella zeigt Fotos von Dissidenten wie Verbrecherportraits"? Ohne den Inhalt des Beitrags zu kennen: Zugestanden sei hier, dass man durch den Dissidentenstatus allein noch nicht zum Verbrecher wird; wenn man in dieser Eigenschaft jedoch Steine durch die Fensterscheiben eines Kinderkrankenhauses schmeißt – wie geschehen am 11. Juli 2021 bei den Ausschreitungen in Cárdenas – wird man allerdings ganz schnell dazu.

Aber kümmern wir uns nun einmal um die Innensicht der Serie, denn um die geht es ja vor allen Dingen. Zu diesem Zweck noch einmal zurück zur eben schon bemühten Synopsis: Die operative Einheit "setzt sich aus Männern und Frauen zusammen, die mit Intelligenz und wissenschaftlichen Erkenntnissen bewaffnet sind". Womit sie sonst noch bewaffnet sind? Mit Waffen jedenfalls nicht. Oder genauer gesagt: Ich kann mich nicht erinnern, einen der Protagonisten dieses Teams je mit vorgehaltener Pistole gesehen zu haben, vom Abfeuern einer solchen gar nicht zu reden. Sollte die Lage ein wirklich robustes Eingreifen erfordern, behilft sich die Kriminalpolizei mit Judo-Würfen und Jiu-Jitsu-Griffen.

Intelligenz und Wissenschaftlichkeit – inklusive der dazugehörigen Utensilien – dominieren bei der Aufklärung eines Falles völlig über jede "Äktschen". Das ist vermutlich nicht jedermanns und jederfrau Sache. Aber die es gern ein wenig ruppiger haben, finden im Zeitsegment von 21:45 Uhr bis 1:30 Uhr Samstag/Sonntag häufig etwas in der Art: "Also, ich brauche hier zwei rivalisierende Kokaindealer-Gangs mit Maschinenpistolen unterschiedlichen Typs (wegen der Akustik), eine Massenkarambolage auf dem Highway und zum Schluss ein paar abstürzende Hubschrauber. Die Handlung ergibt sich dann schon." Sowas wird im kubanischen Fernsehen doch gar nicht gezeigt? Das wäre schön.

Bei Tras la Huella halten die Männer so gerade eben den Gleichstand mit den Frauen. Die "Spu-Si" ist gnadenlos weiblich und von Edenis Sánchez Gafas, der Darstellerin der Susel in der Serie, wusste ich längere Zeit gar nicht, wie sie von vorn aussieht, weil man sie beim Mikroskopieren im Profil zu zeigen pflegte – das unbestechliche eine Auge auf das Okular gepresst.

Das geradlinige Erzählen eines Stoffes, der seine Entsprechung im wirklichen Leben hat oder hatte, kann eine spannende Angelegenheit sein, wenn der reale Fall es hergibt. Tut er das nicht, kann es auch schon mal zähflüssig und langweilig werden, denn die Episoden, die auf uns zukommen, dienen nicht allein der Unterhaltung. Sie werden auch danach ausgewählt und produziert, wie groß der erzieherische Wert für die Bevölkerung ist. Und um Einschaltquoten scheren sich die Macher des kubanischen TVs – allem Anschein nach – eher einen feuchten Kehricht.

Tras la Huella
Kritikpunkte? Wenngleich die Serie durch die hiesige Kulturkritik wohlgelitten ist, so gibt es auch aus deren Sicht das eine oder andere "Haar in der Butter". Ein erhobener Vorwurf ist der, dass "im Allgemeinen Tras la Huella an zu wenig Privatleben der Polizisten krankt". Na ja, denke ich mir – immer den Ländervergleich im Hinterkopf –, unser "Derrick" hatte auch kein Privatleben und viele seiner virtuellen Kollegen ebenfalls nicht. Commissario Brunetti aus der Venedig-Krimireihe hat zwar eins, gehört jedoch entschieden einer Minderheit an. Vom Publikum der kubanischen Serie wird dieser Mangel anscheinend beklagt, aber obiges Zitat lässt Ausnahmen ja zu und die gibt es auch. Von Maikel Amelia Reyes, die in der Reihe die Polizeioffizierin Lucia spielt, wissen wir aus einem Interview, das sie ACN gab, dass ein Problem - das zugleich eine Herausforderung ist – für die Besetzung darin besteht, es mit Regisseuren und Drehbuchautoren zu tun zu haben, die einem Rotationsprinzip unterworfen sind. Jede Folge eine Wundertüte? Nein, so weit, das zu behaupten, würde ich nicht gehen. Dafür sind sich alle, die in diesem Gewerbe tätig sind, gewisser Erwartungshaltungen allzu bewusst. Dennoch erlebt man Überraschungen: In einer Folge sah man die attraktive, aber strenge Lucia, die sich für gewöhnlich nur in Uniform präsentiert, in einem leibhaftigen Badeanzug am Strand. Ob in einer Undercover-Ermittlung oder wirklich im Urlaub, weiß ich nicht mehr, aber dass ich mich gekniffen habe, weiß ich sehr wohl noch. In einer anderen Folge, sogar einem Double Feature, in dem es um Zwangsprostitution minderjähriger Mädchen ging, hatte sie eine 14jährige Tochter – Körperlichkeit, die für Tras la Huella aus der Art schlägt. Aber es ist durchaus denkbar, dass die Rotation so etwas erst möglich macht. Major – im Spanischen gibt es davon keine weibliche Form – Lucia ist die Verhör-Expertin der Einheit, oft beißend ironisch, wenn sie ihr Gegenüber argumentativ an die Wand nagelt, zuweilen auch ein "Manos" (Hände!) ausstoßend, womit sie deutlich machen will, dass der Verdächtige seine gestikulierenden Flossen gefälligst unter der Tischplatte zu halten habe, wo sie hingehören – eine Benimmregel, die in Kuba übrigens auch für Gerichtssäle gilt.

Wo waren wir doch gleich? Ach ja, bei Kritik. Als die Tageszeitung Juventud Rebelde einige der Macher und Schauspieler der Reihe interviewte, kam zur Sprache, dass irgendjemand moniert habe, Roberto Perdomo, der den Coronel (Oberst) Fernando – Chef der operativen Fernseheinheit – spielt, seine Rolle nicht immer so ausfülle, wie es einem leitenden Beamten des Innenministeriums zukomme, wovon sich derjenige, der den Vorwurf erwähnte, sogleich distanzierte. Auch ich konnte nur noch ungläubig den Kopf schütteln, als ich das las. Coronel Fernando soll sich unbotmäßigen Verhaltens im Amt schuldig gemacht haben? Ach, du liebe Güte! Ich stelle mir vor, der anonyme Kritiker könnte einmal Axel Prahl als Kommissar Thiel im Münsteraner Tatort sehen. Vermutlich müsste man den Betreffenden danach künstlich wiederbeleben …

Die Fälle? Mord kommt natürlich zuweilen vor, wie im realen Leben in Kuba auch, besonders häufig aber nicht. Das liegt allein schon daran, dass Schusswaffenbesitz hier ein Privileg der Staatsgewalt ist. Es gelingt dem einen oder anderen Kriminellen, sich auf verschlungenen Wegen in den Besitz einer Knarre zu bringen (sonst gäbe es ja die jeweiligen Krimi-Episoden nicht), aber solches Tun ist eher exotisch. Häufiger sind Eigentumsdelikte, Drogenhandel, käuflicher Sex und Wirtschaftskriminalität in mannigfacher Form. Namentlich, was letzteres angeht, würden die Urteile – die am Ende jeder Folge für jeden der Tat Überführten genannt werden – deutsche Zuschauer nicht selten schocken, da sie drakonisch anmuten. Hierzu muss man unbedingt in Rechnung stellen, dass Kuba ein seit über sechzig Jahren brutal blockiertes Land ist, absichtsvoll dem Hunger und jedem erdenklichen Mangel preisgegeben durch eine ausländische Macht, vor deren Dominanz und Arroganz fast alle Staaten der sogenannten "zivilisierten Welt" den Schwanz zwischen den Pfoten haben. Kuba gibt durch seine harten Verdikte vor Gericht der Meinung Ausdruck, dass in einer Nation, deren Volk in einer vom Ausland geschnürten wirtschaftlichen Zwangsjacke steckt, inländische Wirtschaftskriminelle, die dies alles noch verstärken, besonders strafwürdige Individuen sind.

Aus ökonomischen Gründen (auch hier) ist die sonntägliche Fernsehpräsenz von Tras la Huella eigentlich nur in den Sommermonaten gesichert. Dann und wann werden außerhalb dieser Regel Mini-Staffeln von sechs bis acht Folgen produziert. Ansonsten füllt man den Platz mit US-Material, für gewöhnlich Episoden der Serie "CSI" – wohl weil man ein gewisses Niveau nicht unterschreiten will.

Was noch zu sagen wäre: Die sozialismusaffine Krimi-Saga Tras la Huella ist "Major Lucia" zufolge nicht nur in den USA beliebt. Sie wird außer in China, wo man es vermuten könnte, auch noch in Ländern, die nicht zu den "üblichen Verdächtigen" gehören, etwa in Thailand, Japan und Italien, gern angeklickt.

CUBA LIBRE

Ulli Fausten

CUBA LIBRE 4-2021