Jeder hat begriffen, dass die US-Blockade Kuba kaputtmachen soll

Gespräch mit Hans-Peter Weymar

Havanna Initiative
Der Hamburger Filmemacher Hans-Peter Weymar initiierte mit anderen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur einen Aufruf an die Bundesregierung, sich aktiv für die Aufhebung der US-Blockade einzusetzen. Im Gespräch mit Cuba Libre beschreibt er die Ziele dieser Petition und berichtet über Eindrücke von einem Kuba-Besuch im Frühjahr.



Cuba Libre: Sie sind nach Kuba gereist, als dort die Zahl der Covid-19-Infektionen gerade wieder stieg. Wie war die Lage bei Ihrer Ankunft?

Hans-Peter Weymar: Als ich am 13. März eingereist bin, war die 7-Tage-Inzidenz gerade wieder unter die 50er Marke gesunken. Davor waren die Infektionszahlen für kubanische Verhältnisse seit Januar ziemlich rasant gestiegen und hatten im Februar und Anfang März drei mal die 50er Marke für jeweils kurze Zeit überschritten. Als ich ankam, stabilisierte sich die Lage gerade wieder etwas. Doch obwohl die Letalitätsrate mit 0,59 Prozent deutlich niedriger ist, als die der Welt (2,20%), der USA (2,39%) und Deutschlands (2,70%), bezeichneten die Experten des kubanischen Gesundheitssystems die Situation als nicht zufriedenstellend. Deshalb gab es weiter sehr strikte Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Wie ich den kubanischen Medien nach meiner Rückreise entnahm, war der Sieben-Tage-Inzidenzwert im Mai dann trotzdem auf ca. 70 angestiegen.

CL: Wie sind die Einreise über den Flughafen Varadero und Ihr späterer Aufenthalt in Havanna verlaufen?

Hans-Peter Weymar: Während die PCR-Test-Abwicklung auf deutscher Seite absolut chaotisch ablief und ich Glück hatte, überhaupt fliegen zu können, waren die Zoll- und PCR-Testformalitäten in Varadero schnell und unkompliziert. Mit sechs weiteren Deutschen wurde ich vom Flughafen zu einem Quarantäne-Hotel gefahren, wo wir fünf Tage in unseren Zimmern bleiben mussten. Für mich eine seltsame Erfahrung aber absolut verständlich und meiner Meinung nach richtig, vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass bis 20. Dezember vergangenen Jahres der kubanische Inzidenzwert lediglich bei maximal fünf lag und es in Kuba mit gut elf Millionen Einwohnern so gut wie keine Todesfälle gab.

Als die kubanische Regierung dann über Weihnachten und Neujahr unter anderem tausende Exil-Kubaner aus Florida und anderen US-Staaten einreisen ließ, wirkte sich das aus. Viele der Besucher aus dem Hochrisikogebiet USA sollen sich – wie ich hörte – über die Vorschriften hinweggesetzt, sich um rein gar nichts gekümmert, keinen Abstand gehalten, keine Masken getragen und einfach nur mit ihren kubanischen Freunden und Verwandten Party gemacht haben. Als Ergebnis waren die Zahlen zu Jahresbeginn explodiert. Deshalb halte ich die relativ starken Kontrollen und Einschränkungen für Besucher aus dem Ausland zum Schutz der Bevölkerung und der Gäste für notwendig und richtig. Nach vier Nächten im Hotel wurde ein zweiter PCR-Test gemacht, auf dessen Ergebnis wir eine Nacht warten mussten, bis wir »frei« herumreisen konnten. Ich bin dann problemlos mit einem vorher gebuchten Taxi nach Havanna gefahren und konnte mich bei Freunden im Stadtteil Vedado aufhalten. Für kubanische Bürger wäre so eine Einfahrt nach Havanna zu dieser Zeit aber ohne Sondergenehmigung nicht möglich gewesen, da die Infektionszahlen in der Hauptstadt relativ hoch waren. Im Zentrum Havannas, so wurde mir berichtet, gab es einige wenige Straßen, die wegen besonders hoher Infektionszahlen abgesperrt waren und ebenfalls nur mit Sondergenehmigung passiert werden konnten.

CL: Was war der Grund für Sie, trotz aller Einschränkungen nach Kuba zu reisen?

Hans-Peter Weymar: Ich wollte zunächst einmal meine kubanischen Freund*innen besuchen und von ihnen Informationen über die derzeitige Situation im Land, über die aktuelle Versorgungslage, über Covid-19 und über die allgemeine Stimmung direkt vor Ort erhalten. Zwei der deutschen Mitinitiator*innen unserer Petition zur Beendigung der US-Blockade sind außerdem weiterhin in Havanna beruflich tätig und ich wollte mich mit ihnen vor Ort austauschen, Ideen entwickeln und die weiteren Vorgehensweisen besprechen. Ganz wichtig war mir auch, meine kubanischen Filmemacher-Kolleginnen und Kollegen zu treffen, mit denen ich zusammengearbeitet habe und mit denen ich an alten und neuen Ideen weiterspinnen will. Grundsätzlich plagt mich seit meiner Rückkehr nach Deutschland im vergangenen Sommer außerdem, nachdem ich fast sieben Jahren in Kuba gelebt habe, ein nur schwer zu ertragendes »Heimweh« nach »meiner « sozialistischen Insel, das ich damit ein bisschen lindern konnte.

CL: Die von Ihnen mitinitiierte Petition läuft seit Sommer vergangenen Jahres. Wie bewerten Sie deren bisherige Entwicklung?

Hans-Peter Weymar: Wir waren im vergangenen Sommer geradezu überwältigt, dass wir neben den 60 illustren Erstunterzeichner*innen in kurzer Zeit über 60.000 Unterschriften bekommen hatten. Anfang Juni dieses Jahres waren es schon weit über 72.000 Unterstützer*innen, die unsere Petition auf https://www.change.org/Cuba unterschrieben haben. Allein die dort veröffentlichte Liste der Erstunterzeichner zeigt das breite Spektrum von Menschen, die das Ende der US-Blockade und mehr Engagement der Bundesregierung und der EU fordern. Fast alle großen deutschen und auch kubanischen Tageszeitungen berichteten über unsere Petition, die dann auch bei einer Anfrage in der Bundespressekonferenz thematisiert wurde. Ende November haben wir in Zusammenarbeit mit dem Hamburger DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) eine gut besuchte Online-Konferenz unter dem Titel "Scientific Exchange with Cuba: Freedom of Science – international exchange under conditions of the blockade and pandemic" organisiert, deren Diskussionspanel aus mehreren kubanischen und deutschen Wissenschaftler*innen bestand.

CL: Plant ihre Petitions-Gruppe weitere Aktivitäten?

Hans-Peter Weymar: Im Frühjahr haben wir unsere Mit-Unterzeichner*innen darüber informiert, dass zwei Monate nach Amtsantritt von Präsident Joe Biden noch keine einzige von Trumps Sanktionen zurückgenommen worden war. Leider hat sich bis jetzt daran noch immer nichts geändert. Wir fordern die EU-Abgeordneten auf, ihrer offiziellen Position, die die völkerrechtswidrigen US-Blockade gegen Kuba ja verurteilt, endlich Taten folgen zu lassen, das heißt offensiv in internationalen Gremien und gegenüber der Biden-Regierung eine Rücknahme der Blockade-Maßnahmen einzufordern. Die Unterstützer unserer Petition bitten wir, ihren Abgeordneten im Europaparlament zu schreiben, dass sie sich für eine konsequentere Umsetzung der EU-Forderung zur Beendigung der Blockade einsetzen sollten. Wenn die Covid-19-Situation es wieder zulässt, planen wir eine medienwirksame Übergabe unserer Petition. Auf jeden Fall werden wir uns – auch nach der Abstimmung zur US-Blockade in der Generalversammlung der Vereinten Nationen – weiterhin deutlich zu Wort melden und Aktionen im Sinne unserer Forderung unterstützen.

CL: Wie haben Sie die Transportsituation in Kuba erlebt?

Hans-Peter Weymar: Die Transport-Situation innerhalb von Havanna war im Frühjahr einigermaßen gut. Neben Linienbussen verkehrten weiterhin »Ruteros« (Kleinbusse), Sammeltaxis und natürlich Einzel-Taxis. Aber, wie gesagt, an Havannas Grenze war damals Schluss, ins Land hinein ging es nur mit Sondergenehmigungen. Die Lage in anderen Provinzen war – je nach Infektionslage – unterschiedlich. Mit zunehmenden Impfungen wird sich das hoffentlich weiter entspannen.

CL: Und die Versorgungslage für die Bevölkerung?

Hans-Peter Weymar: Die Versorgungslage hatte sich gegenüber meinem Aufenthalt im November 2020 weiter verschlechtert. In Havanna habe ich überall lange Schlangen vor Geschäften gesehen. »Du stehst Stunden für Waschmittel an, dann musst du zum nächsten Laden, wo es Fleisch gibt oder geben soll, wartest Stunden und bist noch nicht einmal sicher, ob du überhaupt etwas kriegst. Jetzt gibt es kaum noch Schweinefleisch, weil es auch zu wenig Futter für die Tiere gibt – es ist wirklich schlimm«, klagte eine Freundin, die in Alt-Havanna lebt. »Die Hoffnung, die uns am Leben hält, sind die Impfstoffe, die in unserem Land entwickelt werden«, höre ich vereinzelt. Es ist für mich ein kleines (oder großes) Wunder, dass in einem Land, in dem es fast an allem mangelt – trotz der US-Blockade – mehrere eigene Covid-19-Impfstoffe entwickelt wurden.

Und es heißt, dass damit nicht nur die kubanische Bevölkerung geimpft werden kann, sondern auch andere Länder unterstützt und dringend benötigte Devisen-Einnahmen durch Verkäufe der Impfstoffe ins Ausland erzielt werden können.

CL: Welchen Einfluss hat das alles auf die Stimmung im Land?

Hans-Peter Weymar: Die US-Sanktionen sollen die Menschen zermürben. Eine Filmemacher-Kollegin in Centro-Havanna sagte mir, dass die Blockade sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Besonders verheerend sei die Situation im medizinischen Bereich, wo viele Medikamente nicht mehr geliefert werden können. Und in immer mehr Bereichen fehlen Rohstoffe, Ersatzteile, die Kuba nicht selber herstellen kann. Die US-Blockade verletzt jeden Tag fundamentale Menschenrechte der Kubaner*innen! Meine Film-Kollegin aus Centro-Havanna, von der ich früher durchaus sehr Kritisches über Staat und Verwaltung gehört habe, sieht jetzt aber auch Positives in der Situation: »Während früher nicht so klar war, worin die Ursachen unserer Krise bestehen, hat jetzt jeder begriffen, dass die US-Blockade uns total kaputt machen soll – und das führt zu einer noch größeren Solidarität, wo jede*r jeder/m hilft«, sagte sie mir. »Klar, wir jammern auch, heftig! Aber das Gemeinschaftsgefühl ist noch stärker geworden als es sowieso schon war.«

CL: Im Vorfeld der Abstimmung über die US-Blockade in der Vollversammlung der Vereinten Nationen fanden weltweit Aktionen statt. Was erwarten Sie für die nächsten Monate?

Hans-Peter Weymar: Die weltweite Solidarität, die Informationen über die Auswirkungen der US-Sanktionen auf die Bevölkerung und das Land und die Aktionen gegen die Blockade sind sehr zu begrüßen und absolut notwendig. Es ist auch richtig und nötig, sich an die EU zu wenden, wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die Bundesregierung, die sich sonst so gern auf Menschenrechte beruft, sich endlich deutlich für ein Ende der inhumanen und völkerrechtswidrigen US-Blockade einsetzen sollte. Wir dürfen nicht lockerlassen, das zu fordern! Allerdings warten wir Initiatoren der Petition noch immer auf eine uns zugesagte Antwort der Bundesregierung auf die darin von uns erhobenen Forderungen. Aber wir werden weiter bohren!

Weitere Informationen zur Online-Petition: www.change.org/Cuba

CUBA LIBRE Das Gespräch führte Volker Hermsdorf

CUBA LIBRE 3-2021