Im Westen was Neues?

Die jüngsten Oppositionsgruppen in Kuba sind Teil einer Strategie zur Untergrabung revolutionärer Ideologie. Das war stets das Geschäft der CIA. Überraschend ist allein die Unterstützung durch die deutsche Linkspartei.

Die weltweite Bekämpfung des Marxismus war und ist eine Hauptaufgabe der 1947 gegründeten CIA im Kalten Krieg zwischen 1945 und 1990 und nun im neuen kalten Krieg gegen Russland, China, Kuba, Venezuela, Nicaragua, Vietnam und einige andere Staaten. Das "Gespenst des Kommunismus", das im 19. Jahrhundert nach den Worten von Karl Marx und Friedrich Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei" in Europa umging, verschwindet auch nach dem Untergang der Sowjetunion und der sozialistischen Länder Europas nicht aus der Welt. Inzwischen fasst es, wenn Donald Trump und seinem faschistischen Anhang zu glauben ist, in den USA Fuß. Wer auf Gleichheit vor dem Gesetz, insbesondere dem Wahlgesetz pocht, will in ihren Augen den Sozialismus in Gottes eigenem Land einführen. Daran ist so viel wahr, dass solche Gleichheit allerdings die "white supremacy", die "weiße Vorherrschaft" untergraben würde. Bei allem demagogischen Unfug: Ideen eines Sozialstaates nach sozialdemokratischen Vorstellungen greifen in den USA offenbar erstmals seit den Zeiten der International Workers of the World um 1900 und seit der Großen Depression der 1930er Jahren um sich. Der Name des demokratischen Senators Bernie Sanders steht dafür, noch mehr junge linke weibliche Abgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez. An den Hochschulen der USA sind marxistische Hochschullehrer und Debatten vermutlich weiterverbreitet als etwa in der BRD. Dort wurde nach 1990 effizient und gründlich das ideologische Reinheitsgebot durchgesetzt, das da lautet: Es gibt zum Kapitalismus keine Alternative, vergesst den Sozialismus – oder Eure akademische Karriere.

Verglichen damit lässt sich sagen: Die CIA ist mit ihrem Auftrag fast gescheitert, insbesondere was Kuba angeht. Seit ihrer Gründung setzten die Strategen des Geheimdienstes beim Untergraben der Anziehungskraft marxistischen Denkens in Ost wie in West auf Kunst und Kultur, versuchten sie, möglichst bekannte Künstler und Schriftsteller, am besten linke mit antisowjetischer oder wenigstens antikommunistischer Grundhaltung, für ihre Zwecke einzuspannen. Mit Erfolg: In den sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas sowie den kommunistischen Parteien Westeuropas waren Kunst und Kultur entscheidende Einfallstore, um linken Antikommunismus einzupflanzen. Ein öffentlich bekanntes Vehikel war z. B. der 1950 in Westberlin gegründete "Kongress für die Freiheit der Kultur", der ein weltweites Netz liberaler und links-antikommunistischer Zeitschriften und Intellektueller aufzog – bis 1967 seine Finanzierung durch den US-Geheimdienst aufflog. 1969 wurde er offiziell aufgelöst, an der CIA-Strategie änderte sich wenig.

2017 berichtete der US-amerikanische Philosoph Gabriel Rockhill auf der Grundlage eines Dokuments aus dem Jahr 1985, das aus dem CIA-Archiv freigegeben wurde, dass der Geheimdienst sich intensiv mit der damals in Frankreich als letztem Schrei proklamierten "postmodernen Philosophie" befasste (Das Papier findet sich im Internet unter dem Titel "France: Defection of the Leftist Intellectuals – Frankreich: Das Überlaufen der linken Intellektuellen"). Die US-Beobachter freuten sich: Die früheren Linken, die nach dem Zweiten Weltkrieg und wegen der unanfechtbaren Stellung der Kommunistischen Partei in der Résistance in Frankreich eine Art Monopol auf Meinungsbildung gehabt hatten, distanzierten sich vom Marxismus, ließen von ihrer Kritik an den USA ab und bekämpften die Sowjetunion. Rockhill nimmt vermutlich zu Recht an, dass die CIA diese antimarxistische Tendenz der Postmoderne, die in den folgenden Jahrzehnten im englischsprachigen Raum an Hochschulen dominierend wurde, nach Kräften unterstützt. Die Postmoderne hat einen der ältesten philosophischen Hüte Europas zum letzten Pariser Chic erklärt: Skepsis gegenüber der Wahrheit und zwar so radikal, dass "anything goes – alles ist erlaubt" gelte. Jeder hat demnach seine Wahrheit. Wer darin eine Vorlage für "alternative Fakten" vermutet, liegt richtig. Auch jeder Schwachsinn, insbesondere solcher mit wissenschaftlichem Anstrich, zumal wenn er von einem US-Präsidenten vorgetragen wird, hat demnach sein Recht. Im US-Bundesstaat Oregon will die Schulbehörde laut FAZ vom 3. März 2021 überprüfen, ob Mathematik in ihrer bisherigen Gestalt nicht Ausdruck weißer Vorherrschaft und der Benachteiligung von Menschen anderer Hautfarbe sei. Wissenschaft schreibt man am besten in Anführungszeichen. Aus der Beliebigkeit resultieren im postmodernen Märchen Toleranz, Gleichberechtigung und Verständnis – ungefähr so wie das Google und Facebook ihren Beschäftigten versprechen, es sei denn die wollen eine Gewerkschaft gründen. In Wirklichkeit hat die jeweils lautstärkste Gruppe das Sagen, meistens Fundamentalisten. Die postmoderne Philosophie hält sich für pluralistisch, weil ja jeder Unfug mit Wahrheit gleichberechtigt ist. In der Politik haben Postmoderne und die CIA seit den 80er Jahren auch in den damaligen sozialistischen Ländern Europas ganze Heerscharen von Wissenschaftlern, Journalisten, Künstlern und anderen Intellektuellen mit "Pluralismus" betrunken gemacht. Der Dichter Peter Hacks schrieb einmal dazu: "Das Trickwort Pluralismus hat einen genauen deutschen Sinn. Pluralismus, das bedeutet die Alleinherrschaft der schlechten Seite." Es lässt sich auch sagen: Wer mit postmodernem startet, bekommt die CIA, Donald Trump oder Marine Le Pen und deren Anhänger an den Hals.

Aber auch der "Kongress für die Freiheit der Kultur" feiert in Reaktions- und Restaurationszeit nach 1990 seine Wiederbelebung. So fand im Jahr 2000 in Westberlin sogar eine von der deutschen Journalistin Ulrike Ackermann organisierte Tagung zum 50. Gründungsjubiläum des Kongresses statt, die ihn als Erfolg für Freiheit und Demokratie feierte. Rückblickend war diese Veranstaltung Auftakt für eine neue Welle extrem reaktionärer, auf Irrationalismus gegründeter Ideologie im neuen kalten Krieg. Sie bildet die ideologische Begleitmusik zu den neokolonialen Kriegen der USA und ihrer Verbündeten in Westeuropa und auf der Arabischen Halbinsel. Im Herbst 2020 gehörte Ackermann zu den Erstunterzeichnern des "Appells für freie Debattenräume", der von dem Youtuber Gunnar Kaiser und dem Journalisten Milosz Matuschek, einem KenFM-Gesprächspartner zur Pandemie, initiiert wurde. Das war konsequent: Noch weiter in Irrationalismus und rechten Wahn geht es kaum. Der Westen findet nichts Neues auf geistigem Gebiet.

Kuba ist ein zentrales Ziel der erneuerten Roll-Back-Strategie: Der offen propagierte Versuch, das Land wirtschaftlich zu erwürgen, wird ergänzt durch die bewährten Instrumente kultureller Untergrabung. Lange Zeit hofften die US-Strategen darauf, dass Staat und Gesellschaft in Kuba nach dem Versterben der aktiv an der Revolution beteiligten Generation gelähmt sein und zerfallen würden. So berichtet Raúl Capote in seinen Erinnerungen (deutsch 2019: "Der andere Mann in Havanna") an seine Zeit als Doppelagent für CIA und kubanische Staatssicherheit, dass er von den US-Amerikanern dafür vorgesehen war, nach dem Tod Fidel Castros an die Spitze einer "Volksbewegung" zu treten und die USA zu einer zeitlich begrenzten Invasion aufzufordern. Nach dem Ableben Fidel Castros 2016 trat aber der von den Washingtoner "Experten" erwartete Zusammenbruch nicht ein und es blieb bei "sanfteren" Methoden, bei einem "Plan B". Dazu gehört, dass kubanische Künstler und Wissenschaftler auf der Insel und bei Auslandsaufenthalten "Reformen", eine "Modernisierung", "offene Debatten", einen demokratischen Sozialismus und ähnliches zu fordern hatten. Das Ziel ist, eine neue Rechte zu schaffen, die sich gegen "autoritäres" Regieren wendet und als unabhängig von der klassischen Konterrevolution und ihren erfolglosen Dissidenten erscheint: kritisch, aufgeschlossen und nur der Meinungsfreiheit verpflichtet – gute Bezahlung in US-Dollar oder Euro vorausgesetzt. Capote hielt 2017 in seinem Artikel fest, dass diese US-Kampagne nicht ohne Wirkung blieb: Es gebe bereits "Leute, die in der Lage sind, heute in der revolutionären Presse, in ‚Granma‘, ‚Juventud Rebelde‘ und anderen Publikationen zu schreiben und am nächsten Tag in feindlichen Medien". In Deutschland beteiligte sich die Stiftung der "Taz", die "Taz-Panter-Stiftung", an der Schulung des benötigten Personals und veranstaltet seit einigen Jahren "Kuba-Workshops" für willige junge Leute von der Insel. Zugleich entstanden zahlreiche Internetportale, die vorgeben, von auf Kuba Wohnenden betrieben zu werden, sowie private Blogs. Sie tragen Namen wie "On Cuba", "El Toque" oder "Periodismo de Barrio" und zahlen für kubanische Verhältnisse gute Honorare.

Gemessen am großen Echo in westlichen Leitmedien, setzt Washington besondere Hoffnung gegenwärtig auf die als "San-Isidro-Bewegung" bezeichnete oppositionelle Gruppe in Havanna. Am 24. November 2020 stellte das US-Außenministerium bis zu einer Million Dollar für "unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen, Journalisten, Künstler und private Unternehmer in Kuba" zur Verfügung, was die Vereinigung offensichtlich beflügelte. Drei Tage später versammelten sich etwa 200 Demonstranten in Anwesenheit von aus dem Ausland angereisten Vertretern "unabhängiger" Medien vor dem Kulturministerium und forderten einen "Dialog", den sie allerdings unter "unverhandelbaren" Bedingungen führen wollten: Es sollten Leute teilnehmen, die öffentlich für eine US-Invasion und für den Wahlsieg von Trump eingetreten waren. Auch das erscheint nur konsequent: Wenn sich in den USA ein Hauch von sozialdemokratischem Gedankengut ausbreitet, kann die kubanische antirevolutionäre Opposition nur auf Seiten Trumps und der aggressivsten antikubanischen Kräfte in den USA stehen.

Als sich das Spektakel am 27. Januar wiederholte, hatte "Der Spiegel" mit der Schlagzeile "Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand" bereits vorab am 20. Januar gesagt, was die Stunde nicht nur seiner Meinung nach geschlagen hatte. Neu war, dass der Vorstand der Partei Die Linke das offenbar genauso sah. Am 23. Januar schloss er sich jedenfalls faktisch der "Spiegel"-Parole an und veröffentlichte einen Beschluss zur Solidarität mit Kuba, in dem er auch die "Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstler*innen und Aktivist*innen zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft" forderte. Allerdings war das Echo in der Partei und außerhalb verheerend, zumal ein Kolumnist der parteinahen Tageszeitung "Neues Deutschland" die zitierte Passage einen "guten Tabubruch" genannt hatte. Am 14. Februar legte der Linke-Parteivorstand nach und erklärte, er habe keine „Neuausrichtung der Kuba-Politik“ beschlossen, eine Unterstützung der San-Isidro-Bewegung, "wie in einigen Medien kolportiert", sei in ihm nicht enthalten. Eine Entschuldigung wie in früheren Fällen, bei denen sich PDS- und Linke-Politiker auf die Seite antikubanischer Kräfte gestellt hatten, gab es nicht.

Der nichtkonventionelle Krieg gegen Kuba, wie es die "Granma" nannte, geht weiter und kann jederzeit forciert werden. Am 20. Februar berichteten westliche Medien, ein in Miami produzierter und auf Youtube veröffentlichter Song unter dem Titel "Patria y Vida" lasse auf Kuba und in Florida "die Klickzahlen durch die Decke" ("Taz") gehen. Die kubanischen Medien reagierten auf vielen Kanälen. Der populäre Schriftsteller und frühere Kulturminister Abel Prieto bezeichnete das Lied als ""musikalisches Pamphlet" und die Musiker als "traurigen Chor von Annexionisten, der das eigene Land angreift". Die "Neue Zürcher Zeitung", die Anfang Februar die Tätigkeit kubanischer Ärzte im Ausland mit Sklaverei gleichgesetzt hatte, jubelte nun, Kubas Regierung sei "in Bedrängnis". Dem soll auch weiter aus Washington nachgeholfen werden: Die United States Agency for International Development (USAID, zu deutsch: Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung)hat bis 2023 für die Förderung der kubanischen "Zivilgesellschaft" 67 Millionen Dollar eingeplant. Unter Trump hatten ab 2017 nach einer Aufstellung des "Cuba Money Project" in den USA ausgewählte Gruppen 16,5 Millionen Dollar erhalten.

Die kubanische Revolution hat bewiesen, dass sie auch auf ideologischem Gebiet einen langen Atem hat, auf Wissenschaft und Aufklärung setzt statt auf pluralistisch daherkommenden irrationalen Unfug. Auch das gehört zur Einmaligkeit dieser Revolution und sichert ihr weltweit Unterstützung. Die kommende UN-Vollversammlung, in der im Mai die Verurteilung der US-Blockade erneut auf der Tagesordnung steht, wird das erneut zeigen.

CUBA LIBRE Dr. Arnold Schölzel

CUBA LIBRE 2-2021