Zur Debatte über den Vorstandsbeschluss der LINKEN zu Kuba.
Rolf Becker
Foto: Tom Brenner
Ich wende mich an Euch, alle, die wie ich, es nicht für möglich gehalten haben, was die Partei "Die Linke" am 23. Januar dieses Jahre verabschiedet hat. Ich wende mich an alle, die guten Glaubens sind: an alle, die Kuba für eine Perspektive halten in den Konflikten, die unsere Welt erschüttern, an alle, die kopfschüttelnd wahrnehmen müssen, was weltweit als Kniefall der deutschen Linkspartei wahrgenommen wird, an alle Aufrechten in Kuba, denen weiterhin unsere Solidarität gilt.
23. Januar 2021, verabschiedet vom Parteivorstand: "Für Die Linke gilt, Menschenrechte sind universell, sie gelten für jede und jeden – überall! Wir treten ein für eine Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstlerinnen und Künstlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft."
Richtig verstanden und am 8. Februar 2021 von der "Deutschen Welle", dem Auslandsrundfunk der Bundesrepublik weltweit verbreitet: "Die Linkspartei hat ein Tabu gebrochen, das auf einem Großteil der internationalen Linken lastet. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte solidarisierte sich ihre Führung mit den Kritikern der kubanischen Regierung."
Zwei Schritte vor, einen zurück
Eine Woche danach weist der Parteivorstand "die Interpretation einer Neuausrichtung der Kuba-Politik der Partei Die Linke, die aufgrund des Beschlusses von 23.1.2021 stattgefunden haben soll, entschieden zurück. Im Beschluss hat es keine Unterstützung der sog. San-Isidro-Bewegung, wie in einigen Medien kolportiert, gegeben. Die Linke unterstützt den mit der Verabschiedung der neuen Verfassung von 2019 ausgelösten breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess zur weiteren demokratischen Entwicklung Kubas im Rahmen seines sozialistischen Gesellschaftssystems. Die Linke war, ist und bleibt solidarisch mit dem sozialistischen Kuba und seiner Revolution."
Im Klartext: zurückgewiesen wird "die Interpretation" des am 23. Januar gefassten Beschlusses, der Beschluss selbst wird nicht zurückgenommen. Die "San-Isidro-Bewegung" wurde in diesem Beschluss zwar nicht genannt, ist aber nicht abtrennbarer Teil des "gesellschaftlichen Diskussionsprozess zur weiteren demokratischen Entwicklung Kubas", den die Linke erklärtermaßen weiterhin unterstützt. Der Schlusssatz dieser Richtigstellung "Die Linke war, ist und bleibt solidarisch mit dem sozialistischen Kuba und seiner Revolution" kann im Zusammenhang nur als jämmerlicher Versuch verstanden werden, ihren Einflussbereich zu wahren. Als ob wir nicht lesen könnten.
Rücknahme des Beschlusses vom 23. Januar – warum schreckt der Parteivorstand davor zurück? Warum das Beharren auf seiner Begründung "Menschenrechte sind universell"? Vorstand wie Mitgliedern und Wählern der Linkspartei dürfte doch seit spätestens 1999, als der völkerrechtswidrige NATO-Krieg gegen Jugoslawien als "Verteidigung der Menschenrechte" deklariert wurde, bewusst sein, dass mit dieser Begründung auch alle folgenden Kriege propagandistisch als "humanitär notwendig" vorbereitet und ihre Opfer im Nachhinein als unvermeidlich gerechtfertigt werden. Soll vergessen sein, dass Deutschland sich mit der gleichen Begründung am Krieg – dem ersten Angriffskrieg seit 1939 – beteiligte, nachdem sich zuvor Vorstände der Partei "Die Grünen" wie Petra Kelly und Jürgen Trittin dafür verbürgt hatten, "von deutschem Boden werde nie wieder ein Krieg gegen Jugoslawien ausgehen"?
Es scheint notwendig zu sein, daran zu erinnern, dass am 2. Februar 2006 im Europäischen Parlament (EUP) eine Resolution zur Haltung der EU gegenüber Kuba zur Abstimmung stand. Wie heute ging die damalige Entschließung davon aus, dass es eines der Hauptziele der EU sei, "den Grundsatz zu unterstützen, dass die Menschenrechte einschließlich der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte allgemein gültig und unteilbar sind (…) In einigen Staaten der Welt bestehen immer noch totalitäre kommunistische Regime, und dort werden weiterhin Verbrechen begangen" Bis auf Sahra Wagenknecht stimmten alle Parlamentarier der Linksfraktion für die Entschließung bzw. enthielten sich der Stimme. Begründung: "um Partner für die kommenden Debatten zu bleiben" – wie die unausgesprochene Begründung heute, mit Ulla Jelpke: weil "es einigen weniger um Solidarität mit Kuba geht als darum, gegenüber der olivgrünen Regime-Change-Partei und der SPD Regierungsfähigkeit zu demonstrieren". Illusorisches Hoffen auf Regierungsbeteiligung statt Orientierung an den zunehmenden Nöten der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung.
Zum Grundsätzlichen, mit Hermann Klenner – Parteimitglied im Ältestenrat der Partei und als Jurist spezialisiert auf Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtsauffassung sowie nicht nur in der DDR mit der "Hegel-Medaille", sondern 1998 auch in der BRD mit dem "Hans-Litten-Preis" ausgezeichnet: Es muss "von Beginn an vor der Illusion gewarnt werden, in den Menschenrechten einen absoluten, das heißt, übergeschichtlichen, jenseits der Klassenkämpfe und abseits von der Heerstraße der Geschichte fixierten neutralen Wegweiser für menschliches Verhalten vorzufinden."
Die Wahrheit ist immer konkret: Es gibt kein Land, in dem alle Menschenrechte verwirklicht sind. Wenn wir heute zu Kuba Stellung nehmen, sollten wir bedenken, dass wir damit zu den heutigen realen Kämpfen Stellung nehmen. Bedenken, dass die Menschen Kuba seit mehr als 60 Jahren unter der Blockade der USA leiden, dass sie trotz aller Entbehrungen den eingeschlagenen Weg verteidigen, Zeichen internationaler Solidarität setzen wie durch das Henry-Reeve-Ärztekontingent, dessen Nominierung für den Friedensnobelpreis wir unterstützen sollten. Mit Fidel Castro: "Die entwickelten und reichen Staaten haben Finanzkapital zur Verfügung, aber kein menschliches Kapital. Wir werden beweisen, dass es Antworten auf viele Tragödien des Planeten gibt. Wir werden beweisen, dass der Mensch als Wesen besser sein kann und sollte. Wir werden den Wert des Bewusstseins und der Ethik beweisen. Wir bieten Leben."
Ich verabschiede mich für heute in der Zuversicht, dass Nachdenken, mag es auch schmerzlich sein, zum Verständnis konkreter Fragen und Sorgen von Menschen, ob in Kuba oder hierzulande, führen kann. Mit Bertolt Brecht "…das Mitleid der Unterdrückten mit den Unterdrückten ist unentbehrlich, es ist die Hoffnung der Welt".
Und mit Pablo Neruda: "Kuba, meine Liebe".