Ideen sind nicht verhandelbar

Mit Diego Maradona verstarb am 25. November 2020 ein Jahrhundertfußballer und langjähriger Freund Kubas.

Es gibt nicht viele Ereignisse des öffentlichen Lebens, bei denen du nicht vergessen wirst, wo du beim Erhalt der Nachricht gerade warst. Der Tod Diego Armando Maradonas gehört gewiss dazu. Die Bilder von hunderttausenden Trauernden in Argentinien und Neapel zeugen von der immensen Bedeutung, die der Jahrhundertfußballer für viele Menschen hatte.

Fußballerisch war er mehr als der Zauberfuß: Er war Spielgestalter und Stratege, auf dem Platz eine Art Comandante. Verehrt für seine Genialität, seine Spitzbübigkeit und auch für seine Haltung. Der ehemalige Präsident Boliviens, Evo Morales, bezeichnete den "Bruder" Maradona als "besten Fußballspieler der Welt" und als "einen Mann, der mit den einfachen Menschen fühlte und für sie kämpfte". "Hasta siempre, Junge Amerikas!", twitterte Nicolás Maduro. Die "Fußballlegende" sei "ein bedingungsloser Freund Venezuelas" gewesen, so der Präsident. Angesichts der Versuche, das Land zu destabilisieren, hatte sich Maradona 2017 als "Soldaten der Bolivarischen Revolution" verstanden. "Ciao, para siempre, comandante", hatte Maradona seinerseits zum Tod Fidels gesagt, den er als "zweiten Vater" bezeichnete. "In einem grauen Moment meines Lebens", so der Fußballer, "hat Fidel mir die Türen Kubas geöffnet. Er war derjenige, der mich beraten hat, was ich tun konnte." Mit dem 25. November eint sie nun auch noch der Todestag. "Ein doppelt schmerzhafter Tag", so Staatspräsident Miguel Díaz-Canel über zwei "Freunde auch in der Ewigkeit".

Maradona und die rote Insel

Erstmals besucht Diego Kuba 1987, zuletzt im Dezember 2016 aus Anlass der Trauerfeier zum Tod Fidel Castros. Dazwischen lagen zahlreiche Aufenthalte. Der Hintergrund: Noch im Spätsommer seiner Laufbahn hatte sich Maradona in Neapel einem ausschweifenden und kokainhaltigen Nachtleben hingegeben. "Die Mafia hat ihn geholt, sie hat ihn mit hochgebracht und ihn schließlich kaputt gemacht", bilanziert Rosario "Rossi" Pennino, der als Rapper von "Microphone Mafia und Bejarano" bis nach Kuba tourte und selbst neapolitanische Wurzeln hat. Nach der aktiven Laufbahn geht es weiter bergab. Anfang 2000 lässt sich Maradona im internationalen Gesundheitszentrum La Pradera in Kuba therapieren. Es ist eine "renommierte Einrichtung in Havanna, die auf neurologische, orthopädische und kardiovaskuläre Rehabilitationsmaßnahmen spezialisiert ist" (kubakunde.de). Bei der Ankunft habe "sein Anblick verraten", so eine arte-Dokumentation von 2020, dass die Ärzte "reichlich zu tun" hätten. Doch nach "acht vollen Monaten" trägt die "kubanische Kur" ihre Früchte".

Ende 2000 ist er fit genug, um von FIFA-Präsident Sepp Blatter auf einer Gala im "Auditorium Foro Italico" die Auszeichnung zum "Fußballer des Jahrhunderts" entgegenzunehmen. Die Trophäe widmete er auch dem "argentinischen und dem kubanischen Volk" sowie "Fidel Castro und Che Guevara". Letzterer sei "der größte Argentinier aller Zeiten" gewesen. Die Auszeichnung kommt durch Publikumswahl zustande. Die FIFA selbst wählt Pelé zur Nr. 1 - einen, der sich bloß bei Gott bedankte. Erhellend ist: In den westlichen Medien müssen sie Maradona auch deshalb als den etwas verrückten, stets rückfälligen Virtuosen darstellen, um ihm seine Ansichten durchgehen zu lassen. Jemand, der immer wieder entgleist, Licht und Irrlicht zugleich, so einer darf auch zu Kuba stehen. In den Barrios und Favelas Lateinamerikas sah man das anders.

Fidel Castro und Diego Maradona

Fidel Castro und Diego Maradona
Foto: Ismael Francisco / Cubadebate


Oktober 2001: Seinen 41. Geburtstag begeht Maradona auf Kuba. Zugleich befindet sich Argentinien in einer tiefen Wirtschaftskrise. Der IWF senkt den Daumen, Bilder von Wasserwerfern und Toten gehen um die Welt. Diego sucht das Gespräch: "Ich sagte zu Fidel: Sie haben Argentinien kaputt gemacht. Sie haben es beraubt und geschändet." Er wird vor die Presse gehen, es seien "immer dieselben, die uns alles nehmen." November 2005: Vor dem Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten im argentinischen Mar del Plata erklärt er bei einem Auftritt mit Castro im kubanischen Fernsehen, er denke, der damalige US-Präsident Bush sei "ein Mörder. Ich werde den Protestzug gegen ihn anführen".


Kuba schärft den Blick

Zugegeben: Leicht verschämt blicke ich auf jene Formel, auf die ich die Sache jahrelang gebracht hatte: »Auf Kuba medizinisch geheilt und politisch geimpft.« Das wird Maradona nicht ganz gerecht. Als sicher darf zwar gelten, dass ihn die Gespräche mit Fidel schulten und in seiner Haltung stärkten, dass sie ihn dazu anspornten, sich einzumischen. Und doch: Diego wusste, wo er herkam, und intuitiv auch, wo er stand.

Uschi Diesl erinnerte an seine stete Wertschätzung der Menschen aus jenem Armutsviertel, dem er als eines von acht Kindern eines Fabrikarbeiters entstammte: "Ich bin kein Magier. Ich bin Diego, der in Fiorito geboren wurde. Magier sind die, die dort in Fiorito leben. Denn sie zaubern mit nur 1.000 Pesos im Monat." (jW, 27.11.2020) Auf ein Detail nach dem Gewinn der Junioren-WM 1979 verwies Günther Pohl: "Als Diktator Videla die Mannschaft empfing, verschenkte Maradona auf Bitten der Schwester eines politischen Gefangenen sein Trikot mit Widmung an das Opfer genau der Politik, die Diego zeit seines Lebens verabscheute. Auf die Vorhaltung, wieso er sich denn damit Ärger einhandeln wolle, fragte der Achtzehnjährige zurück, warum er das denn nicht machen sollte." (UZ, 4.12.2020)

Unklar ist, inwieweit die Haltung des Trainers César Luis Menotti auf Maradona abfärbte. Während sich die westdeutsche Auswahl bei der WM 1978 in Argentinien der Militärjunta andiente, distanzierte sich Menotti nach dem Titelgewinn: "Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt." Das damals 17-jährige Jahrhunderttalent holte Menotti ein Jahr später in die Auswahl. In der Nationalelf spielte dieser bis 1983 unter Menotti, anschließend kreuzten sich beider Wege 1983/84 beim FC Barcelona.

Bemerkenswert auch Diegos Vereine: Mit Neapel führt er eine Stadt zur Meisterschaft, die geschmäht wurde wie keine zweite. Der große Eduardo Galeano erinnerte daran, wie das Team des Südens in den Stadien des Nordens mit "Cholera-Neapel"- oder "Wascht euch"- Chören empfangen wurde: "Als die Mannschaft von Neapel dank des magischen Einflusses von Maradona den besten Fußball Italiens zu spielen begann, reagierte das Publikum aus dem Norden des Landes, indem es die alten Waffen der Verachtung zückte. Die Neapolitaner, die verbotenen Ruhm einheimsten, nahmen den ewig Mächtigen die Trophäen weg, und die Zuschauer bestraften die Aufsässigkeit des aufdringlichen Pöbels aus dem Süden." Es blieb an Diego, dem Süden die Würde zurückzugeben. Wer mochte, bezog das nicht bloß auf Italien. In Argentinien war er zuvor trotz lukrativerer Angebote zu Boca Junior gegangen. Auf den "Lieblingsverein der armen Leute mit dem strähnigen Indiohaar" (Galeano), verschrien als Hort von "Schwarzen", "Schwulen", "Bauertrampeln", blickte Diego noch lange nach dem Meisterjahr von 1981 mit Freude zurück.

Als er Argentinien 1986 den WM-Titel schenkte, führte der Weg über das zwei:eins gegen England, jenes Spiel mit der "Hand Gottes" und dem unglaublich Solo zum zwei:null. Mit Blick auf den Falklandkrieg sollte Maradona später sagen: "Wir wussten, dass unzählige argentinische Kinder dort gestorben waren. Das war unserer Rache." So widersprüchlich die Realität sein mag – zur Zeit des Krieges von 1982 herrschte noch die Putschregierung –, so sehr lässt sich aus den Worten ein antikoloniales Selbstverständnis lesen: Was zum Teufel hatte England auf den Malwinen verloren?!

Diego Maradona, Fidel Castro und Hugo Chávez
Drei Freunde: Diego Maradona, Fidel Castro und Hugo Chávez
Foto: Estudios Revolución/Archivo de Cubadebate


Eben dieses Selbstverständnis war es, das ihn immer wieder nach Kuba führte. Das Che-Tattoo auf der Schulter war kein Zeichen von Folklore. Auf seinem famosen linken Bein war das Konterfei von Fidel eingraviert. Denn es könne "viele Spieler geben, aber er war der Führer der politischen Weltmannschaft".

In Anbetracht seiner gesundheitlichen Heilung, seiner politischen Überzeugung und der Wertschätzung für Fidel verbarg Maradona keine Emotionen. Er war um große Worte, ja: um Pathos bemüht, was ihm nur übelnehmen konnte, wer die Sache übelnimmt. Er sei "ein kubanischer Soldat", immer da, "wenn Kuba mich braucht". Die "Granma" erinnerte auch an diese Worte: "Ich habe vier Jahre in Kuba gelebt und Fidel hat mich um zwei Uhr morgens angerufen und wir haben einen Mojito getrunken und über Politik, Sport oder irgendetwas gesprochen, was in der Welt passierte. Das ist die schönste Erinnerung, die mir bleibt. Wenn es ein Event gab, hat er mich immer angerufen, um zu fragen, ob ich hingehen wollte, ob ich mitarbeiten wollte und so etwas vergisst man nicht so leicht." Es war ein Geben und Nehmen, in seiner berühmten Sendung "De Zurada" ("Mit links") gab Maradona auch Castro ein Forum. 2015 erklärte er vor dem "Tele Sur"-Publikum: "Fidel, wenn ich etwas von dir im Laufe der ehrlichen und schönen Freundschaft gelernt habe, ist es, dass die Loyalität unbezahlbar ist, dass ein Freund mehr Wert ist als alles Gold der Welt und dass Ideen nicht verhandelbar sind. Deswegen ist ›De Zurda‹ ein Tribut an unsere Freundschaft."

Mehr wert als Gold - der "Goldjunge" wird er trotzdem immer bleiben: Adios, pibe de oro.

CUBA LIBRE Glenn Jäger

CUBA LIBRE 1-2021