Diese Blockade muss endlich ein Ende haben

Gespräch mit Hans-Peter Weymar, Mitinitiator einer Petition an die Bundesregierung und freier Autor, Regisseur und Produzent.

CL: Sie haben im Juni 2020 gemeinsam mit fünf anderen deutschen in Kuba lebenden Kulturschaffenden und Wissenschaftlern eine Petition für das Ende der Blockade gegen Kuba gestartet. Was hat Sie motiviert?

Hans-Peter Weymar: Wir haben in den vergangenen Jahren erleben müssen, wie die sanften Lockerungen in den Beziehungen zwischen USA und Kuba aus der Obama-Zeit in der Trump-Ära nicht nur zurückgenommen wurden, sondern die Blockade in verschiedensten Bereichen drastisch verschärft wurde. Das Tempo dieser Verschärfung hat in den vergangenen Jahren und insbesondere in den letzten Wochen und Monaten ständig zugenommen. Vor 60 Jahren wurde unter Eisenhower als Ziel dieser Blockade formuliert, die "Wirtschaft Kubas schwächen und Kuba Geld und Versorgung zu rauben und Hunger, Elend und Verzweiflung und den Sturz der Regierung zu provozieren".

Das haben sie nicht erreicht, aber das Ziel ist immer noch dasselbe. Zugleich ist das Instrumentarium seit der Ägide Trump pervers verfeinert und aktualisiert worden. Trumps Sonderbeauftragter für Venezuela, Elliott Abrams, hat wortwörtlich erklärt, das Ziel sei es, die kubanische Wirtschaft zu "erdrosseln".

Ein Paradebeispiel für die Blockade war vor fünf Jahren der Fall der französischen Bank BNP Paribas, welche aufgrund der Abwicklung von Geldtransfers mit Kuba, aber auch dem Iran und Venezuela, ins Visier der US-Behörden geraten ist. Der BNP Paribas wurden 9 Milliarden Dollar Strafe auferlegt, die sie tatsächlich auch gezahlt hat.

Obwohl diese Strafmaßnahmen von der Welthandelsorganisation längst als illegal bezeichnet worden sind, haben die betroffenen Firmen Angst, sich mit dem großen Handels- und Finanzpartner USA anzulegen – und sie bezahlen. Im Zuge der verschärften Blockademaßnahmen sind Tankschiffe, die mit dem Ziel Kuba unterwegs waren, nicht nur blockiert, sondern auch regelrecht zur Umkehr gezwungen worden. Es hat zeitweise in Kuba einen enormen Treibstoffmangel gegeben. Durch den Ausfall vieler innerkubanischer Transporte konnten Obst, Gemüse und andere verderblichen Waren nicht transportiert werden und sind verrottet. Gleichzeitig wird dieser Mangel dann im Ausland der angeblich selbstverschuldeten Misswirtschaft in Kuba angekreidet.

HP Weymar (r.) in der Ladengalerie der "jungen Welt"

HP Weymar (r.) in der Ladengalerie der "jungen Welt"


Ähnliches gilt für den Medikamentenmangel. Viele Firmen aus Argentinien, Brasilien und anderen Ländern haben ihre Geschäftsverbindung mit Kuba eingestellt, da sie Angst haben, den bedeutenderen Markt in den USA zu verlieren oder sogar verklagt werden. Es gibt das Beispiel mit den Beatmungsgeräten aus der Schweiz, wo eine US-Firma den Schweizer Hersteller übernommen und die Lieferung von Beatmungsgeräten nach Kuba inmitten der Corona-Pandemie gestoppt hat. In einem anderen Fall hat sich eine Frachtgesellschaft geweigert, Hilfslieferungen mit medizinischem Gerät aus China nach Kuba zu transportieren, weil ihr Hauptaktionär eine US-amerikanische Firma war.


Es ist quasi weltweit nicht mehr möglich, mit Paypal Produkte zu bezahlen, die irgendwas mit Kuba zu tun haben oder auch nur in der Betreffzeile das Wort Kuba erwähnen. Also wenn ich hier irgendwo eine Flasche Kuba-Rum online bestellen und versuchen würde, mit Paypal zu bezahlen, würde das nicht klappen. Das Schlimme ist dabei, dass Paypal eine monopolähnliche Stellung einnimmt.

Darüber hinaus können Finanztransaktionen nicht mehr abgewickelt werden, weil sich die Banken und Finanzinstitute weigern – aus Angst, bestraft zu werden wie die BNP Paribas.

Die Blockade trifft auch den Kulturbereich. Traditionell hat es ja immer sehr enge Beziehungen zwischen USA und Kuba gegeben, auch noch zu Beginn der Trump-Regierung. Jetzt sind diese Beziehungen zusammengeschrumpft. Nach Schätzungen konnten in 2018/2019 ungefähr 500 kubanische Künstler ihre Werke nicht mehr in den USA präsentieren. Man schätzt, dass Kuba in diesem Zeitraum ungefähr 17 Milliarden US-Dollar durch die Einschränkung des Kulturbereichs verloren hat.

CL: Was hat denn für Sie den Ausschlag dafür gegeben, diese Petition gemeinsam zu verfassen?

Hans-Peter Weymar: Wir haben gesehen, dass die Versorgung der Bevölkerung zunehmend schwieriger wurde und auch in unseren Arbeitsbereichen in Kultur und Wissenschaft immer größere Probleme auftraten. Sei es die Abwicklung von Konferenzen, sei es die Finanzierung von Kulturveranstaltungen. Bis hin zu kubanischen Künstlern, die ihre im Ausland gewonnenen Preisgelder nicht entgegennehmen konnten.

Da abzusehen war, dass in Kürze Deutschland die Ratspräsidentschaft in der EU übernehmen würde, haben wir unsere Petition sowohl an die Bundesregierung als auch an die Europäische Union adressiert. Die Bundesregierung möge ihren Einfluss geltend machen, dass diese Blockade, – naja, sagen wir es ganz vermessen! – endlich ein Ende haben möge. Auch wenn wir Realisten genug sind um zu wissen, dass dies nicht plötzlich zu erreichen ist.

Wir haben prominente Erstunterzeichner dazu bekommen: Margarethe von Trotta, Wim Wenders, Konstantin Wecker, Noam Chomsky, Jean Ziegler, Udo Lindenberg, Jan Delay und viele andere, insgesamt ungefähr 60. Eine bunte Mischung aus Kultur und Wissenschaft. Inzwischen haben wir 58.000 Unterschriften bekommen, mit sehr viel Erwähnung in diversen Medien, in allen großen Tageszeitungen bis hin zur Webseite der Tagesschau. In der Bundespressekonferenz wurde der Regierungssprecher nach unserer Petition gefragt. Er kannte sie nicht, erklärte aber, dass die Bundesregierung jegliche Boykottmaßnahmen mit extraterritorialem Charakter ablehne. Das ist ja auch schon mal was.

Uns ist völlig klar, dass damit die Welt noch nicht geändert ist. Deshalb machen wir weiter. Wir werden am 30. November in der Hamburger Forschungsanstalt DESY eine Online-Veranstaltung organisieren. Das dortige Deutsche Elektronen-Synchroton hat international einen sehr guten Ruf. Das DESY-Direktorium begrüßt die Initiative zu dieser Veranstaltung. Und wir halten es für wichtig, dass sie an so einem Ort der Wissenschaft stattfindet.

CL: Seit dem Jahr 1996 existiert eine EU-Verordnung, welche die europäische Wirtschaft vor Anwendung der US Blockade schützen soll. Warum wird diese Verordnung, wenn überhaupt, nur sehr zögerlich angewandt?

Hans-Peter Weymar: Diese Verordnung geht sogar noch weiter, denn in ihr werden alle Verhaltensweisen von Unternehmen oder Verbänden verurteilt, die sich diesem Druck beugen. Und trotzdem dominiert offensichtlich die Angst, es sich mit der immer noch wohl stärksten ökonomischen und militärischen Macht zu verderben. Dazu kommen die mit Lobbyisten gepflasterten EU-Standorte. Die EU agiert ja nicht im luftleeren Raum. Und wie heißt es so schön? Das Kapital ist ein scheues Reh. Ein bisschen Kritik an den USA wird noch akzeptiert, aber vor einem tieferen Konflikt herrscht weiterhin Angst. Es gibt einige wenige, ganz offensichtlich, in EU-Institutionen, die sich dem nicht beugen. Aber die sind nicht sehr einflussreich. Auf der anderen Seite: Wenn wir nicht darauf hoffen würden, dass sich doch etwas ändern könnte, dann hätten wir unsere Petition nicht verfasst. Die Hoffnung ist weiter da. Man muss eben an allen Ecken und Enden nach Ansatzpunkten suchen und sie nutzen.

CL: Sie haben selbst sieben Jahre auf Kuba gelebt. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie das Leben auf Kuba sein könnte, wenn die Blockade nicht mehr existieren würde?

Hans-Peter Weymar: Die Kubanerinnen und Kubaner könnten mit Sicherheit ein besseres Leben führen. Die Blockade betrifft ja wirklich alle Bereiche. Zur Zeit ist natürlich alles durch Corona überlagert. Aber gerade in diesen Krisenzeiten erleben wir, was Kubanerinnen und Kubaner zu leisten imstande sind. Alleine die Corona-Infektionsrate geht, verglichen mit europäischen Verhältnissen, fast gegen Null. Das hängt natürlich damit zusammen, dass in Kuba eine entschieden bessere Vorsorge praktiziert wird. Wir haben es selbst erlebt, wie in Corona-Zeiten die Ärzte und Krankenschwestern auf den Straßen unterwegs waren, an jedes Haus klopften und nachschauten, wie es den Leuten geht. Von derlei Maßnahmen sind wir hier meilenweit entfernt. Gleichzeitig ist es grandios, was kubanische Ärzteteams in den diversen verschiedenen Ländern in aller Welt leisten.

Kuba hat gelernt, mit Krisensituationen zu leben und eine solide Basis dafür geschaffen, gut und sozial mit ihnen umzugehen. Und das ganze soziale System wäre natürlich noch entschieden perfekter, wenn es diese Blockade nicht gäbe. Das steht für mich fest.

CUBA LIBRE Das Gespräch führte Tobias Kriele

CUBA LIBRE 1-2021