Kontinent der Extreme


Amerika in Zeiten der Pandemie.

Hat sich Deutschland in der Corona-Krise bislang noch halbwegs vernünftig aus der Affaire gezogen, so haben die Lockerungen der Einschränkungen und die Urlaubsrückkehrer im Sommer laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) zu einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen geführt.

So auch zunächst in Serbien, Israel und dem australischen Bundesstaat Victoria, wo nach einsetzender Kontrolle der Pandemie die Lockerungen laut einem Bericht von AFP von Anfang August vehemente Neuausbrüche provozierten. Derzeit befindet sich das Virus weltweit immer noch in einer Offensive, die ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht hat. Dabei wurde der amerikanische Kontinent zum Brennpunkt – vorneweg die USA und Brasilien.

Zusammenhänge zwischen einer auf Profitinteressen ausgerichteten Politik und der Heftigkeit der Ausbrüche sind unübersehbar. Sowohl US-Präsident Trump als auch sein von Teilen der bürgerlichen Presse bereits als "Tropen-Trump"etikettierter brasilianischer Kollege Bolsonaro haben die Pandemie von Anfang an heruntergespielt, ins Lächerliche gezogen, notwendige Beschränkungen abgelehnt und Wirtschaftsinteressen in den Vordergrund gestellt. Den Preis dafür zahlen die sozialen Klassen, die auf schlecht bezahlte Jobs angewiesen sind oder sich und ihre Familien mit Kleinhandel oder Tagelöhnerei von einem Tag auf den nächsten hinüberretten müssen, die weitermachen mussten wie gehabt und ein erhöhtes Risiko eingingen. Denn sie sind in der Regel in einer Ellenbogen- oder Leistungsgesellschaft neoliberalen Zuschnitts nicht als Empfänger für rettende Staatshilfen vorgesehen und können keine arbeitslose Auszeit verkraften.

Doch angesichts sinkender Popularität beziehungsweise bevorstehender Wahlen wurde man flexibel: In beiden Ländern wurden nach anfänglichem Abwinken dann doch Corona-Hilfsgelder ausgezahlt. Bolsonaro schaffte es dadurch, bei den besonders Bedürftigen zu punkten. Laut Handelsblatt vom 2. August und dem Spiegel ist er weiterhin populär, die pro Monat und Person gewährte Summe im Gegenwert von circa 90 Euro an rund 60 Millionen Brasilianer ist für Arme viel Geld. Jetzt ist sogar die Einführung einer Grundrente im Gespräch. Gleichzeitig brüskiert er dadurch wohlhabende Sektoren und die Wirtschaft, die ihn ins Amt gebracht haben und die für diese Art der Imageaufbesserung wenig Verständnis haben. Was Trump betrifft, so darf man gespannt sein, womit er bei potenziellen Wählergruppen für gute Laune Sorgen wird, falls seine Abwahl drohen sollte. Die Corona-Krise belastet alte Bündnisse und sorgt für überraschende Wendungen.

Polit-Gestalten wie Trump und Bolsonaro machen nichtsdestotrotz aus ihrer Verachtung für die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten Angesiedelten keinen Hehl. Sie hetzen gegen Migranten, Menschen dunkler Hautfarbe, sexuelle Minderheiten und Frauen. Sie reden einer hemmungslosen Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt das Wort und leugnen den Klimawandel. Warnungen von Wissenschaftlern treten sie mit grotesken Behauptungen und Vorschlägen entgegen. Die Gesundheitssysteme ihrer Länder wurden weitgehend privatisiert und schließen große Teile der Bevölkerung von der Versorgung aus. Ihre Rhetorik zielt auf die großen bildungsfernen Sektoren ihrer Gesellschaften, welche sie mit großmäuligem Chauvinismus bauchpinseln und mit gleichzeitiger Abwertung von Minderheiten und Unterprivilegierten auf einen imaginären Sockel heben. Dass zu ihrer Klientel auch die Wohlhabenden gehören, deren materielle Interessen sie vertreten, ist offensichtlich. Die Sorte, welche über eine wie auch immer geartete formale Bildung verfügt, der es jedoch an Empathie für andere mangelt und die von Geldgeilheit und Statusdenken getrieben wird. Dass in beiden Ländern eine breite Palette religiöser Sekten zusätzlich das Denken beeinflusst, macht das Bild komplett. Es existiert eine gesellschaftliche Gemengelage aus Klassenhass, Rassismus, Nationalismus, Verdummung, Halbbildung, religiöser Gehirnwäsche und falschem Verständnis von Freiheit, elitärem Größenwahn und wirtschaftlichem Darwinismus. Auf diesem geistig-ideologischen Dunghaufen findet die Seuche ihren idealen Nährboden.

Ein ganz anderes Bild liefert Kuba. Obwohl das wirtschaftlich arme Land nicht über die finanziellen Mittel wie andere verfügt, hat es weltweit die größte Dichte an Ärzten und Pflegepersonal im Verhältnis zur Bevölkerung. Die bestmögliche medizinische Behandlung ist für alle kostenfrei garantiert. Erste Anlaufstelle für Patienten ist die Familienarztpraxis, die für die Betreuung von 120 bis 130 Familien im Barrio (Wohnviertel) zuständig ist. In der Corona-Krise gehen die Ärztinnen und Ärzte, unterstützt von Krankenschwestern und zu diesem Zweck mobilisierten Medizinstudenten, zu "ihren" Familien und befragen diese nach Veränderungen im gesundheitlichen Befinden. Ein Verhalten, das auch zu normalen Zeiten nicht ungewöhnlich ist, wird in der Krise zur täglichen und lückenlosen Routine. Vorbeugung ist ein zentrales Element medizinischer Versorgung in Kuba. Dem Virus wird kaum Zeit gegeben, sich unbemerkt auszubreiten. Finden sich Verdachtsfälle, so werden die Familien in Quarantäne-Zentren einquartiert. Das sind meist Ferienanlagen, die derzeit wegen des Ausbleibens von Touristen leerstehen. Diese dürfen sie nicht verlassen, erhalten die benötigten Lebensmittel vor die Tür gebracht und werden mehrfach am Tag von Ärzten aufgesucht. Bestätigt sich der Verdacht nicht, kehren sie nach Hause zurück. Solche Isolation hat sich als effektiver erwiesen als der anderswo praktizierte, halb freiwillige und kaum zu überwachende Rückzug in die eigenen vier Wände.

Gesundheitsprobleme werden auf Kuba stets da sofort angepackt, wo sie entstehen. Schnelle Diagnose, die Ermittlung der Ansteckungsquelle und die Quarantäne sind Maßnahmen, die mit dem nötigen politischen Willen umgesetzt werden und keinem öffentlichen Gezänk unterliegen. Auch nicht das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit, wobei dessen bewusste Verweigerung empfindlich bestraft wird. Kuba setzt konsequent um, was Ärzte und Wissenschaftler weltweit und in Abwesenheit einer Impfmöglichkeit empfehlen. Seine in hohem Maße humanistisch gebildete und aufgeklärte Bevölkerung zieht mit. Dadurch wurde die Zahl der Krankheitsfälle im Vergleich zu anderen Ländern sehr niedrig gehalten. Wir haben nichts anderes erwartet.

CUBA LIBRE Wolfgang Mix

CUBA LIBRE 4-2020