Kubas Internationalismus

Was der weltbekannte US-amerikanische Sprachwissenschaftler und Philosoph Noam Chomsky über Kubas Rolle inmitten der Corona-Pandemie denkt und was die unbekannte Marisol Bonome Borges dazu zu bemerken hat. Kubanisches Medizinpersonal landet in Venezuela
Friedliche Invasion: Kubanisches Medizinpersonal landet in Venezuela
Foto: Radio Rebelde / Elvis Gil Domínguez


Noam Chomsky, einer der meist zitierten Gelehrten unserer Zeit, äußerte sich Ende April 2020 in einem Interview mit der spanischen Nachrichtenagentur EFE zu den mit der Corona-Pandemie verbundenen internationalen politischen Auswirkungen. Der Sprachwissenschaftler und Philosoph kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Welt derzeit ein "massives Versagen der neoliberalen Version des Kapitalismus" erlebe. Obwohl nach der SARS-Epidemie im Jahr 2003 vorhergesagt wurde, dass weitere, größere Epidemien zu erwarten seien, mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Abart des Corona-Virus, seien keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen worden. Chomsky kommt mit Blick auf die USA – aber auch auf die sonstigen kapitalistischen Länder – zu dem Schluss, dass das Virus bewiesen habe, dass ihre Regierungen handlungsunfähig seien: "Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung".

Die USA, beispielsweise beschuldigten die ganze restliche Welt, um von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken. So habe sich ein Land in das Epizentrum der Pandemie verwandelt – ein Land, welches so schlecht funktioniert, dass es noch nicht einmal in der Lage ist, präzise Informationen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiterzuleiten, erklärte der US-amerikanische Intellektuelle. Die Entscheidung, der WHO keine weiteren Gelder zukommen zu lassen, hält er für "soziopathisch". Die WHO arbeite auf der ganzen Welt, insbesondere in Ländern der Dritten Welt, wo sie Durchfallerkrankungen bekämpfe und Frauen in der Mutterschaft schütze. Die Logik hinter der Streichung der US-Beiträge lautet nach Chomsky: "Lassen wir doch einfach eine Menge Menschen in der Dritten Welt verrecken, wenn das unsere Wahlkampfaussichten verbessert." Und so kommt Chomsky zu dem bemerkenswerten Urteil, US-Präsident Donald Trump der wahrscheinlich am meisten von sich selbst überzeugte Mensch, der jemals existiert habe.

Aber nicht nur die USA bekommen von Chomsky ihr Fett weg, sondern auch die Europäische Union. Dem Begriff "Union", der ja eigentlich "Vereinigung" bedeutet, wird die EU alles andere als gerecht, so Chomsky. "Deutschland meistert die Krise sehr gut - In Italien dagegen ist sie zugespitzt." Aber Italien könne sich nicht auf Hilfe aus Deutschland verlassen.

Das einzige Land, welches einen aufrichtigen Internationalismus gezeigt habe, sei tatsächlich Kuba, so Chomsky. Und das, obwohl die Insel stets unter dem wirtschaftlichen Würgegriff der USA gelitten, aber wie durch ein Wunder überlebt habe. "Heute zeigt Kuba der Welt, was Internationalismus ist", so der Gelehrte. Und so kann Italien mit der Hilfe der "Supermacht" Kuba rechnen, welches seine Ärzte schickt, oder auch mit dem Material, welches aus China kommt. "Von den reichen Ländern der EU kann Italien dagegen keine Unterstützung erwarten. Das sagt schon viel aus…"

In den USA sei es unmöglich, Kuba für diese Haltung zu loben, so Chomsky. Man werde sozusagen dazu verpflichtet, es der Verletzung der Menschenrechte zu bezichtigen. Tatsächlich würden die Menschenrechte aber in einem Territorium im südöstlichsten Zipfel Kubas verletzt, welches die USA "unter vorgehaltener Pistole" entwendet habe und sich bis heute weigere zurück zu geben, so Chomsky mit Bezug zur US-Marinebasis Guantanamo, die gegen den Willen des kubanischen Volkes und seiner Regierung völkerrechtswidrig besetzt ist.

In den USA werden die Rechte der dort lebenden Menschen Tag für Tag verletzt. In den Staatshaushalten, die Trump präsentiert hat, benennt Noam Chomsky Kürzungen im Gesundheitsbereich und der Prävention. Trump habe diese Kürzungen inmitten der Pandemie umgesetzt und zugleich die Förderung fossiler Brennstoffe finanziert, den Militärhaushalt erhöht und die Mauer an der Grenze zu Mexiko gebaut. Diese Entscheidungen gäben einen tiefen Einblick in die soziopathischen Anwandlungen, unter denen ein ganzes Volk zu leiden habe, so Chomsky.

Wenn die Menschheit aus dem Versagen des neoliberalen Kapitalismus jetzt nicht die richtigen Schlüsse ziehe, so schlussfolgert der Philosoph, "dann wird es beim nächsten Mal, wenn etwas Vergleichbares geschieht, schlimmer enden." Soweit dieses bemerkenswerte Interview.

Unter der spanischsprachigen Veröffentlichung des Gesprächs mit Noam Chomsky auf dem kubanischen Nachrichtenportal cubadebate. cu kommentierte eine Kubanerin Chomskys Aussagen wie folgt: "So ist Kuba, es erfüllt die Idee von Martí, wonach unser Vaterland die ganze Menschheit umfasse. Wir erwarten nichts im Gegenzug, außer vielleicht, dass alle anderen dasselbe praktizieren. Wir geben von dem wenigen, was wir besitzen und verschenken nicht nur das, was wir übrig haben. Deshalb sind wir so stolz darauf, Kubaner zu sein. Die Blockaden machen uns nichts aus, ebenso wenig die Verleumdungen. Die willkürliche US-Politik der Mauern, der Raketen und der Drohungen geht gegen das Wesen der Menschheit, und wir wissen, dass all das eines Tages einstürzen wird."

Die Frau, die diese Zeilen schrieb, heißt Marisol Bonome Borges, und ich kenne sie nicht. Aber so wie sie denken und handeln die meisten mir bekannten Bewohnerinnen und Bewohner einer kleinen Insel, welche den Internationalismus groß schreibt.

CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 3-2020