"Wir machen Journalismus im Sinne der Jugend"

Interview mit Yoerky Sánchez Cuellar, Chefredakteur der Tageszeitung Juventud Rebelde und Mitglied des Staatsrates der Republik Kuba.

Yoerky Sánchez Cuellar

Yoerky Sánchez Cuellar spricht auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2020
Foto: Tom Brenner

CL: Yoerky, Du kommst aus einer einfachen Familie aus dem Ort Manicaragua im Escambray-Gebirge. Mit 19 Jahren wurdest Du Parlamentsabgeordneter, leitest heute die zweitgrößte kubanische Tageszeitung und bist Mitglied des Staatsrates. Hättest Du Dir als kleiner Junge träumen lassen, eines Tages Chefredakteur der Tageszeitung Juventud Rebelde zu werden?

Yoerky Sánchez Cuellar: Nein, natürlich nicht. Damals las ich die Juventud Rebelde und andere Zeitungen und schnitt die Artikel aus, welche mir am meisten gefielen. Dennoch ahnte ich damals nicht, dass ich einmal Journalist werden würde. Mich interessierte damals jede Nachricht über Kuba und ich las mit großer Begeisterung in der Zeitung. Meine Familie beschwerte sich darüber, dass ich sämtliche Zeitungen abonniert hatte. Beinahe das gesamte Familienbudget ging dafür drauf (lacht).

Vielleicht bin ich ein Beispiel dafür, dass die Kubanische Revolution allen Kubanern, auch denen, die in einfachen Verhältnissen leben, eine kostenlose Bildung garantiert. Natürlich leben wir nicht in einer perfekten Gesellschaft, und es mag den einen oder anderen geben, der einen Traum hat und ihn nicht komplett verwirklichen kann. Aber in Kuba gibt unser politisches System jedem einzelnen die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Das ist nicht nur ein Satz, der auf einem Stück Papier geschrieben steht, sondern in der Realität nachprüfbar.

CL: Bist Du so etwas wie ein Beweis für die Durchlässigkeit der kubanischen Gesellschaft?

Ich bin vielleicht ein Beispiel dafür, was die Revolution allen Kubanern gegeben hat, nicht nur der Jugend: Die Sicherheit, dass auch für die einfach lebenden Menschen eine kostenlose Bildung für ihre Kinder garantiert ist. Natürlich leben wir nicht in einer perfekten Gesellschaft, und es kann den einen oder anderen geben, der einen Traum hat und ihn nicht komplett verwirklichen kann. Da kommt es auf viele Faktoren an, nicht nur darauf, ob die Regierung den Willen zeigt, Dich in Deiner Entwicklung zu unterstützen. Auch persönliche Willensstärke und Lerndisziplin sind entscheidend. In Kuba gibt uns unser politisches System die Möglichkeit, dass jeder, der in unserem Land geboren wird, die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln. Das ist nicht nur ein Satz, welcher in der Verfassung steht, sondern in der Realität nachprüfbar.

CL: Du bist 36 Jahre alt. Ganz schön jung für einen Chefredakteur…

Yoerky Sánchez Cuellar: Die JR-Chefredakteure waren in der Regel bisher alle recht jung. Viele kamen direkt aus der Jugendorganisation und haben in der Mehrzahl mit 32, 33 Jahren angefangen.

CL: Welche Rolle spielt die Tageszeitung Juventud Rebelde in der kubanischen Presselandschaft?

Yoerky Sánchez Cuellar: In Kuba gibt es zwei landesweit erscheinende Tageszeitungen, Granma und Juventud Rebelde. Manche Leute sagen, dass die Granma die Meldungen bringt und Juventud Rebelde sie erklärt. Diese Meinung teile ich natürlich nicht (lacht).

Die Juventud Rebelde besetzt in der kubanischen Presselandschaft einen Platz, welchen sie sich – ähnlich wie ihrerseits die Granma – in 55 Jahren erarbeitet hat. In unserem Fall bedienen wir mit unserem Journalismus in erster Linie die Interessen der Jugend; nicht nur des Kommunistischen Jugendverbandes, sondern der gesamten kubanischen Jugend. Da wir uns als eine Zeitung für junge Menschen verstehen, bemühen wir uns, auf der Titelseite auch vor allem junge Menschen zu zeigen und die Nachrichten unserem Zielpublikum entsprechend aufzubereiten.

Natürlich findet heutzutage nicht mehr alles nur auf dem Papier statt. Die Nachfrage unserer Online-Angebote nimmt ständig zu. Im letzten Jahr hatten wir sechs Millionen Zugriffe auf unsere Webseite, die Hälfte davon über Smartphones. Kuba befindet sich inmitten eines Prozesses der Digitalisierung. Mittlerweile sind mehr als 6 Millionen Handy-Linien freigeschaltet, viele von ihnen mit Zugang zum Internet. Der Zugriff auf unsere Online-Bereiche ist heute wesentlich vereinfacht, 80 Prozent der Zugriffe auf unsere Seite erfolgen aus Kuba, in der Mehrzahl durch Smartphones in den Händen junger Menschen.

CL: Besteht die Strategie also darin, über die Webpräsenz die Aufmerksamkeit der Jugend zu erreichen?

Yoerky Sánchez Cuellar: Ja, und dabei gleichzeitig die Qualität der Zeitung zu erhöhen. Wir wollen unsere jungen Leser mit interessanten Infografiken erreichen und sie damit an die Printausgabe heranführen. Im Netz herrscht die Gewohnheit vor, Artikel nur anzulesen und dann weiter zu klicken. Eine Zeitung kannst Du auch mal zur Seite legen, um sie später weiterzulesen.

CL: In Deutschland verlieren die meisten Printmedien an Leserschaft. Hat die Juventud Rebelde heute dieselbe Auflage wie vor zehn Jahren?

Yoerky Sánchez Cuellar: Ja, wir geben 200.000 Exemplare heraus, wie eh und je. Die Zeitungen sind in Kuba natürlich subventioniert. Eine Tageszeitung kostet nur 20 Centavos. Sie gehört damit zu den günstigsten Produkten, die man in Kuba erwerben kann. Ich glaube, nur die Fähre zwischen der Altstadt von Havanna und dem Stadtteil Regla ist noch günstiger (lacht). Unser Problem ist die verschärfte US-Blockade und der durch sie provozierte Papiermangel. In diesem Jahr mussten wir deshalb die Samstagsausgabe der Juventud Rebelde streichen.

CL: Im Zuge der Kampagnen gegen Kuba wurde immer wieder der Vorwurf geäßert, die Regierung würde den Internetzugang bewusst beschneiden, um zu verhindern, dass die Kubaner die "freie Presse" lesen würden. Heute gibt es in Kuba einen praktisch unbegrenzten Internetzugang. Inwiefern stellt diese Konkurrenz eine Herausforderung dar?

Yoerky Sánchez Cuellar: Wir waren in der ersten Zeit des Internets in Kuba gezwungen, die knappen Ressourcen auf diejenigen Institutionen zu konzentrieren, welche das Internet am dringendsten brauchten. Das hatte mehr mit der US-Blockade zu tun als mit der Angst davor, dass die Leute Informationen von "draußen" lesen könnten.

Heute sind wir, was die Anbindung ans Internet angeht, ganz weit vorne. Im letzten Jahr veröffentlichte die BBC eine Umfrage, wonach Kuba nach Uruguay das zweitschnellste Internet in ganz Lateinamerika habe. Im vorletzten Jahr verzeichneten die Sozialen Netzwerke in Kuba ein Wachstum von 300 Prozent. Die große Herausforderung besteht darin, die jungen Menschen (und auch alle anderen) auf diese Welt vorzubereiten, ihnen beizubringen, nicht gleich die erste Nachricht, die Ihnen unterkommt, auch zu glauben. Wenn ich auf die Nachricht stoße, dass in der New Yorker U-Bahn Haie gesichtet wurden, sollte ich sie besser nicht weiterverbreiten. Unsere Leute wissen, dass die sozialen Netzwerke mit Psychologie arbeiten, mit Gefühlen, Emotionen, mit Irrationalität und deshalb einer kritischen Rezeption bedürfen. Auch in dieser Hinsicht verfügt das kubanische Volk über einen hohen Bildungsstand.

Yoerky Sánchez Cuellar

"Juventud Rebelde" wird im ganzen Land gelesen
Foto: escambray.cu


CL: Wie schätzt Du den derzeitigen Fortschritt des 2006 begonnenen Aktualisierungsprozesses in Kuba ein? Ist die Revolution auf dem richtigen Weg?

Yoerky Sánchez Cuellar: Ja. Wir werden erst im kommenden Jahr auf unserem Parteitag die Ergebnisse auswerten, aber ich denke, wir stehen gut da. Und wir werden gegen alle Widerstände und die Angriffe der US-Regierung weiterhin für einen wohlhabenden und nachhaltigen Sozialismus kämpfen. Alle geplanten Maßnahmen für die sozioökonomische Erneuerung unseres Landes gehen in diese Richtung, und - vielleicht nicht alle, aber doch die allermeisten - haben sich umsetzen lassen.




CUBA LIBRE Das Gespräch führte Tobias Kriele

CUBA LIBRE 2-2020