mediCuba – beispielhafte Internationale Solidarität

In der Schweiz gründeten engagierte Ärzte 1992 den Verein Medicuba Suisse. Später kam es zur Gründung von Medicuba Europa, dessen Präsident Dr. Franco Cavalli ist. Cuba Libre interviewte ihn zu seinen Aktivitäten und denen seiner Organisation.

Cuba Libre: Dr. Cavalli, Sie sind einer der renommiertesten Schweizer Krebsärzte. Da ist es sicher nicht vorgezeichnet, so aktiv Internationale Solidarität auf dem Gebiet des Gesundheitswesens mit Kuba zu organisieren. Wie kamen Sie dazu?

Franco Cavalli: Ich bin ein Alt-68er und war schon zu Zeiten des Vietnamkrieges stark in der Solidaritätshilfe medizinischer Art mit dem vietnamesischen Volk engagiert. Ich bin dann aber vor allem nach dem Sieg der sandinistischen Revolution in Nicaragua wieder aktiv geworden. Bei meinen Besuchen in Nicaragua und vor allem bei der Realisierung unserer medizinischen Projekte dort und später auch in El Salvador habe ich natürlich viele kubanische Ärzte getroffen. Es ist ja so, dass, wenn man im letzten Winkel eines verlorenen Tals auf einen Arzt stösst, dieser mit grosser Wahrscheinlichkeit aus Kuba stammt oder zumindest dort ausgebildet wurde. In Managua habe ich den Direktor des nationalen Krebsinstitutes von Havanna getroffen, der mich sofort nach Kuba eingeladen hat. Deswegen bin ich dann in engeren Kontakt mit dem kubanischen Gesundheitswesen gekommen und habe so gelernt, warum dieses so erfolgreich ist. Das kubanische System basiert auf der hervorragenden Arbeit der Familienärzte, die überall anwesend sind und inmitten ihrer Gemeinschaft leben. In der Tat gibt es einen Familienarzt pro 1000 Einwohner, welche er allesamt mindestens einmal pro Jahr sehen und untersuchen muss. Kommen die Patienten nicht zu ihm, dann muss er (oder sie) zu ihnen nach Hause gehen. Dort habe ich auch erfahren, wie wichtig die medizinische Hilfe Kubas für alle unterentwickelten Länder ist. Wie die WHO mehrmals festgehalten hat, stellt das kubanische Gesundheitssystem ein Modell dar, an welches sich alle armen Länder der Welt anpassen sollten. Zudem werden in Kuba tausende von Ärzten aus diesen Ländern ausgebildet. Als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Kuba in eine äusserst schwere wirtschaftliche Krise rutschte (das innere Sozialprodukt verringerte sich um 50 %), wurde dadurch auch das Gesundheitswesen in Mitleidenschaft gezogen und viele Spitäler respektive Abteilungen standen praktisch still, weil keine Ersatzteile für wichtige Apparate mehr zu erhalten waren. So haben wir 1992 in der Schweiz entschieden, mediCuba zu gründen, um dieser äusserst schwierigen Situation im kubanischen Gesundheitssystem entgegenzuwirken und einen Einbruch des Systems zu verhindern, was nicht nur für die kubanische Bevölkerung, sondern auch für diejenige vieler armer Länder eine Katastrophe gewesen wäre.

Cuba Libre: Die Pharmaindustrie steht im Fokus Ihrer Kritik. Was an deren Agieren kritisieren Sie besonders und wen treffen die Auswirkungen?

Franco Cavalli: Die Pharmaindustrie denkt nur daran, aus den Menschen den grösstmöglichen Profit herauszuschlagen. In den letzten 30 Jahren wurde sie so umstrukturiert, dass heute alles nur noch auf dem Shareholder-Value-Prinzip basiert, d. h. so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich zu "scheffeln", damit die Börsenquotierung immer nur nach oben zeigt. Wenn man die Jahresrechnung der führenden pharmazeutischen Monopole anschaut, dann sieht man, dass ihr Gewinn immer um 20–25% herumpendelt. Keine andere Industrie kann solche Gewinne verbuchen, und andere Industriezweige können von solchen Gewinnmargen nur träumen. Aber das geht dann auf Kosten der Patienten und der Gesundheitssysteme. Vor allem auf meinem Gebiet (Onkologie) kosten neue Medikamente, die in den letzten 2–3 Jahren auf den Markt gekommen sind, um 150–160.000 Euro pro Jahr und Patient. Diese Kosten können unsere sozial ausgerichteten Gesundheitssysteme kaum noch tragen und bald werden wir zwei Gesundheitssysteme haben (erste Anzeichen kann man schon heute ganz klar erkennen): eines für die Reichen, eines für die Armen, wobei die letzteren die besseren Medikamente nicht mehr werden erhalten können. Diese Entwicklung, wenn schon bei uns schwerwiegend, ist in den unterentwickelten Ländern aber höchst dramatisch, wo die meisten Patienten auf keine Krankenversicherung zählen können. Deswegen erhalten zurzeit nur ein Bruchteil der Patienten in diesen Ländern die besten Krebsmedikamente. Wegen dieser Preispolitik der Pharmaindustrie sterben jedes Jahr Hunderttausende von Krebspatienten, weil sie sich eben diese Behandlungen nicht erlauben können, und das finde ich höchst unmoralisch und inakzeptabel.

Cuba Libre: Wer sich mit der Pharmaindustrie anlegt und Kuba unterstützt, seinen eigenen Entwicklungsweg zu gehen, bekommt Gegenwind. Das mussten auch Sie leidvoll erfahren. Im Sommer 2017 waren Sie vom Gesundheitsausschuss des Bundestages als Experte zum kubanischen Gesundheitswesen eingeladen worden. Die F. D. P. widersetze sich, konstruierte aus falsch wiedergegebenen angeblichen Aussagen Ihrerseits zur Lage der Palästinenser die Todschlagkeule des Antisemitismus, kurz: Sie wurden ausgeladen. Wie ging es eigentlich weiter?

Franco Cavalli: Es war eine furchtbare Geschichte, die mich wirklich sehr mitgenommen hat. In der Schweiz bin ich bekannt für meinen Kampf gegen den Antisemitismus. Ich habe in eigener Person und auf eigene Rechnung gegen Leute, die antisemitisch aufgetreten sind, prozessiert. Unter den vielen internationalen Auszeichnungen, die ich erhalten habe, gibt es auch eine, die mir in Haifa verliehen wurde. Basierend auf einer Aussage meinerseits über die tragische Lage im Gazastreifen haben extremistischen Kreise diesen absurden Vorwurf aus dem Nichts konstruiert. Ich habe dann direkt beim Präsidenten des Gesundheitsausschusses des Bundestages, und sogar beim Präsidenten des Bundestages Dr. Wolfgang Schäuble, interveniert und habe auch entsprechende Dokumente seitens bekannter Schweizer Politiker zukommen lassen, die diesen abstrusen Vorwurf entkräfteten. Es war auch ein Brief von Frau Ruth Dreifuss dabei, die erste Frau, die in der Schweiz Bundespräsidentin wurde, und die erste Jüdin, die jemals in unserer Regierung saß. Darin bestätigte sie alle meine Auseinandersetzungen mit Antisemiten und entkräftete mit vielen weiteren Beispielen diesen absurden und heuchlerischen Vorwurf. Das hat aber nichts genützt, ich wurde ausgeladen und erhielt seitens der verantwortlichen Politiker des Bundestages kaum eine Antwort.

Cuba Libre: Die Initiativen von mediCuba haben, neben der Weiterführung bewährter Projekte, den Fokus von kleineren Projekten in Richtung größerer Projekte im Bereich der Spitzenmedizin verschoben. Was steht an neuen Projekten an, woran arbeiten Sie gerade?

Franco Cavalli: Anfänglich, während der "Período especial", haben wir uns vor allem mit kleineren Hilfsprojekten befasst: Wenn irgendwo etwas fehlte, haben wir es geliefert. Wenn irgendetwas kaputtging, haben wir dazu geschaut, dass es repariert wurde. Wenn Medikamente fehlten, haben wir sie geliefert. Als sich die Lage einigermaßen normalisiert hatte, haben wir angefangen, uns für langfristige Projekte einzusetzen. Als Erstes haben wir die Lieferung von chemischem Rohstoff in die Wege geleitet, das Kuba wegen der Blockade nicht mehr kaufen konnte, damit die lokale pharmazeutische Industrie anfangen konnte, eine ganze Reihe von essenziellen Medikamenten selbst zu produzieren. Wir haben dann anschließend vor allem die Ausbildung von Spezialisten wie auch den Kauf von speziellen Apparaturen am nationalen Krebsinstitut und an verschiedenen Spitzenforschungsinstituten (vor allem das Centro de Inmunología Molecular) gefördert und weitgehend finanziert. Bis jetzt beläuft sich unsere Hilfe auf etwa 15 Millionen Euro, was natürlich dort, angesichts der Preisunterschiede, mindestens zehnmal so viel wert ist. Seit einem Jahr haben wir mit einem sehr großen Projekt begonnen, das sich auf etwa 1.5 Millionen Euro beläuft. Wir wollen das IPK (Institut Pedro Kourí) mit modernen diagnostischen, molekularbiologischen Mitteln beliefern, damit auch in Kuba alle möglichen Infektionen innerhalb weniger Stunden überall auf der Insel diagnostiziert werden können. Das IPK ist nämlich das zentrale Institut, das die Lage der Infektionen in Kuba kontrolliert, aber auch kubanische Ärzte in den verschiedenen Missionen, die ins Ausland abgesandt werden (z. B. wegen Ebola), entsprechend ausbildet. Gerade deswegen hat Präsident Trump letzthin allen amerikanischen Institutionen und Ärzten verboten, mit dem IPK zusammenzuarbeiten! Wir werden das nationale Zentrum des IPK, aber auch drei neue Zentren, die wir in den Provinzen aufbauen (Santiago, Villa Clara und Havanna) mit den entsprechenden Apparaten ausrüsten, damit diese sehr wichtigen diagnostischen Möglichkeiten auch dezentralisiert eingesetzt werden können. Etwa ein Drittel des Projektes wurde schon realisiert und wir hoffen, es innerhalb von 24 Monaten finalisieren zu können.

Cuba Libre: Herzlichen Dank für das Interview und Ihnen und medi-Cuba weiterhin viel Erfolg.

CUBA LIBRE Das Gespräch führte Marion Leonhardt

CUBA LIBRE 2-2019