Mit der Agrarreform begann im Mai 1959 die Veränderung der Eigentumsverhältnisse.
Am 17. Mai 1959 proklamierte die von Fidel Castro geleitete Revolutionäre Regierung Kubas in La Plata, dem ehemaligen Hauptquartier der Rebellenarmee in der Sierra Maestra, das erste Gesetz zur Agrarreform. Es trat am 3. Juni in Kraft. Während 10.000 Großgrundbesitzer enteignet wurden, gewannen die landlosen und landarmen Bauern – und damit 150.000 kubanische Familien – zum ersten Mal die Chance, von den Früchten ihrer Arbeit menschenwürdig Leben zu können. Betroffen waren mehr als 2,9 Millionen Hektar Land, deren Wert damals auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt wurde. Dieses Land, das nun denen übertragen wurde, die es bestellten, hatte zuvor kubanischen und US-amerikanischen Eigentümern zu einträglichen Profiten und zur Vermehrung ihrer Reichtümer verholfen.
Das Gesetz zur Bodenreform war die erste Maßnahme, die eine fundamentale Veränderung der Eigentumsstruktur in Kuba einleitete. Alle bis dahin von der seit Anfang Januar 1959 bestehenden neuen Ordnung erlassenen revolutionären Gesetze hatten die bestehenden Eigentumsverhältnisse noch nicht wirklich verändert. Das Agrargesetz dokumentierte dagegen unmissverständlich, zu wessen Gunsten der Kampf der gegensätzlichen Interessen entschieden worden war. Wer von der Ausbeutung des Bodenmonopols gelebt hatte und kein Verständnis für die Umwälzung zu mehr sozialer Gerechtigkeit aufbrachte, verwandelte sich nun in einen kompromisslosen und verbitterten Gegner der Revolution. "Mit diesem Gesetz hatten wir den kubanischen Rubikon überschritten", kommentierte Fidels Bruder Raúl Castro die Maßnahme.
In der Präambel des Gesetzes zur Bodenreform sind Angaben der landwirtschaftlichen Statistik enthalten, die 1946 nach der letzten Zählung im vorrevolutionären Kuba erstellt worden war. Die Zahlen belegen eine hochgradige Konzentration des Bodens in den Händen weniger Besitzer. Die Erhebung hatte ergeben, dass 8 Prozent der Grundbesitzer fast drei Viertel der bearbeiteten landwirtschaftlichen Flächen besaßen. Davon waren 4,2 Millionen Hektar im Besitz kubanischer Eigentümer und rund 1,6 Millionen Hektar waren das Eigentum US-amerikanischer Firmen. Im Osten des Landes gehörten weite Gebiete der US-amerikanischen United Fruit Sugar Company, der Guantánamo Sugar Company und anderen ausländischen Großunternehmen. Von den achtzehn Zuckerfabriken dieser Gegend waren neun im Besitz von US-Firmen. Dagegen besaß ein großer Teil der Bevölkerung kein eigenes Land. Während die Vorherrschaft der ausländischen Konzerne den Aktionären in den USA satte Gewinne garantierte, waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände im Land katastrophal. Kuba bot "ein erschreckendes Bild wirtschaftlicher Rückständigkeit". Die Mehrheit der Bevölkerung litt unter "Elend, Armut und einem massiven Anstieg lebensbedrohender Erkrankungen", berichtete Antonio Núñez Jiménez, der Direktor des Nationalen Instituts für die Bodenreform.
"Sobald wir Gelegenheit dazu haben, werden wir den Boden kostenlos verteilen", hatte der Comandante Raúl Castro den Bauern bereits während der Kämpfe in den Bergen der Sierra Maestra im Namen seines Bruders versprochen. Fidel Castro hatte bereits am 16. Oktober 1953 in seiner berühmten Verteidigungsrede "Die Geschichte wird mich freisprechen" fünf Revolutionsgesetze angekündigt, die nach dem Sturz der Batista-Diktatur umgesetzt werden sollten. Dazu gehöre auch ein Gesetz, das "Bauern, Pflanzern, Pächtern und Tagelöhnern unveräußerliche Eigentumsrechte für ihr Land" zubillige, erklärte Fidel. Im September 1958 stellte Raúl Castro in Mayarí auf dem ersten Kongress "Campesino en Armas" (Bauer unter Waffen) weitergehende Überlegungen der Rebellen für eine Agrarreform nach dem Sieg der Revolution vor. Fidel hatte bei der Ausarbeitung auf eine Definition von Friedrich Engels verwiesen, nach der die arme und landlose Bauernschaft jene Klasse sei, "die den industriellen Arbeitern der Städte am nächsten steht, die mit ihnen dieselben Lebensbedingungen teilt, die sogar noch tiefer im Elend steckt als sie". Weil die Herrschenden um die „verborgene Macht“ dieser Klasse wüssten, schrieb Engels, ließen "sie absichtlich die Schulen verkommen, damit sie nur ja unwissend bleibe". Denn "von dem Tage an, wo die Masse der Landtagelöhner ihre eigenen Interessen verstehen gelernt hat, ist eine reaktionäre, feudale, bürokratische oder bürgerliche Regierung … unmöglich" (MEW 16, S. 400).
Für Fidel Castro schien Engels hier eine Situation zu beschreiben, in sich auch Kuba befand. Bei einer Bevölkerung von etwas mehr als sechs Millionen Menschen,lebten dreieinhalb Millionen "in Hütten, Baracken und elenden Löchern, die alles andere als menschenwürdige Wohnungen waren", erinnerte Castro im September 1960 auf der 15. Tagung der UNO-Vollversammlung an die Zustände vor der Revolution. "In den Städten verschlangen die Mieten bis zu einem Drittel des Einkommens einer Familie. Die Mieten und Stromtarife gehörten zu den höchsten der Welt. 37,5 Prozent unserer Bevölkerung waren Analphabeten, konnten weder lesen noch schreiben. 70 Prozent unserer Kinder auf dem Lande hatten keine Lehrer. Die Kindersterblichkeit war sehr hoch und die durchschnittliche Lebenserwartung sehr gering". Mit dem Sieg der Rebellen begann – nach der "zerstörenden Phase der alten Macht" – die "konstruktive Phase der Revolution", sagte Fidel.
Obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht explizit auf den Sozialismus berief, kam Fidel Castro offenbar zu der Überzeugung, dass wirkliche Verbesserungen und der Aufbau einer seinen Vorstellungen entsprechenden Gesellschaftsordnung unter den bestehenden Wirtschaftsstrukturen und dem bürgerlichen System nicht zu erreichen war. Im Februar 1959 war zunächst ein provisorisches Grundgesetz erlassen worden, das den Transformationsprozess ermöglichen sollte. "Wenn eine Revolution von 1868 mit der Befreiung der Sklaven beginnen musste, hatte eine Revolution von 1959 die Pflicht, die Gesellschaft von jenem Monopol zu befreien, kraft dessen eine Minderheit den Menschen ausbeutete. Und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen bedeutet, das Recht auf den Besitz jener Güter zu beseitigen, die der ganzen Gesellschaft gehören und gehören müssen", schrieb Fidel. Das am 17. Mai 1959 proklamiere erste Gesetz zur Agrarreform war dazu der erste Schritt. Später wurden nach und nach alle Hauptzweige der Wirtschaft in allgemeines Volkseigentum überführt. Die enteigneten kubanischen Großgrund- und Fabrikbesitzer machten daraufhin gemeinsam mit US-Unternehmern gegen das "Gespenst des Kommunismus in Kuba" mobil.
Die ersten Maßnahmen der USA, die bis heute in Kraft sind und immer wieder verschärft werden, verfolgten bereits das Ziel einer Destabilisierung der revolutionären neuen Ordnung. US-Präsident Dwight D. Eisenhower verhängte 1960 die ersten Sanktionen. Fidel Castro parierte die Angriffe aus Washington in einer Rede vor Vereinten Nationen am 26. September 1960 mit den Worten: "Soll niemand glauben, dass wir hier ein "mea culpa" anstimmen werden. Nichts dergleichen. Wir haben niemand um Verzeihung zu bitten. Was wir getan haben, haben wir sehr bewusst getan und vor allem mit der festen Überzeugung, dass wir das Recht dazu hatten". In einer ersten Bilanz der von der Revolutionären Regierung Kubas beschlossenen Veränderungen stellte Castro dann fest: "Unsere Träume von gestern wurden zu den Gesetzen von heute."
Volker Hermsdorf
CUBA LIBRE 2-2019