Ein stolzes Kapitel findet ein abruptes, trauriges Ende: Sie haben Geschichte geschrieben, die insgesamt mehr als 20.000 kubanischen Mediziner, die seit 2013 in Brasilien zum Einsatz kamen. Ihre Arbeit kam den Menschen in den ärmeren Regionen des Riesenlandes, an abgelegenen Orten und besonders auch den indigenen Gemeinden zugute. Sie wirkten dort, wo die gesundheitliche Versorgung besonders prekär war. Am 7. November, nur zehn Tage nach der Wahl des Faschisten Jair Bolsonaro zum neuen brasilianischen Präsidenten, gab Kubas Gesundheitsministerium den Abzug aller Ärztinnen und Ärzte bekannt. Zwei Wochen darauf lief die Rückholaktion an, die vor Neujahr, wenn Bolsonaro sein Amt antritt, abgeschlossen sein dürfte.
Vorausgegangen waren Provokationen, Drohungen Beleidigungen Bolsonaros in Richtung Kuba und der Helfer aus dem Inselstaat. Der frühere Hauptmann – bekennender Anhänger der Militärdiktatur 1964–1985 und deren Folterer – zog die Qualifikation kubanischer Ärzte in Zweifel und stellte Havanna unannehmbare Bedingungen. Die Mediziner sollten ihre Befähigung einer erneuten Überprüfung unterziehen. Zugleich behauptete er, diese seien zu sklavenartigen Bedingungen angestellt. Die vertraglich vereinbarte Summe müsse komplett an die Ärzte gehen, damit die "kubanische Diktatur" leer ausgehe. Desweiteren sollten diese ihre Familien mit nach Brasilien bringen dürfen. Als Abgeordneter hatte sich Bolsonaro noch genau dagegen ausgesprochen. Während Brasiliens neue Führer die kubanischen Ärzte – Kubas Knowhow auf diesem Gebiet ist international anerkannt – einerseits zu Scharlatanen abstempeln, bieten sie diesen zugleich politisches Asyl an. Der pensionierte General und neue Vizepräsident Hamilton Mourao erklärte, er rechne damit, dass die Hälfte von ihnen in Brasilien bleiben werde. Da wird er sich gründlich verrechnen.
Vor dem Programm "Más Médicos" hatten an die 800.000 Brasilianer keine sichere ärztliche Versorgung. |
Die Mediziner sind im Rahmen des 2013 von der Regierung von Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT gestarteten Programms "Mais Médicos" in Brasilien tätig, das von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation koordiniert wird. Zuletzt waren dort etwa 8.500 kubanische Ärzte im Einsatz. Alle können bereits Missionen in anderen Ländern vorweisen. Für Brasilien, wo sie vom elitären Ärztestand stark angefeindet wurden, mussten Kubas fachliche und sprachliche Tests bestehen. Etwa 3.000 Real im Monat – umgerechnet etwa 700 Euro – verdienen die kubanischen Ärzte während ihrer Mission in Brasilien. Der Mindestlohn im Land beträgt ein Drittel. Das Einkommen jedes zweiten Beschäftigten liegt noch darunter.
Nach der Abreise der ersten Ärztegruppe erklärte Bolsonaro, bei diesen habe es sich in Wahrheit "um Militärs und Geheimagenten" gehandelt. Bei den Kubanern im Land habe man "nicht den geringsten Beweis" dafür, ob es sich um Ärzte handle oder nicht. Im von durch Bolsonaros Fakenews auf Whatsapp bestimmten Wahlkampf spielte Hetze gegen Kuba und Venezuela eine große Rolle. Nach dem Wahlsieg des Extremisten, der die Gesellschaft militarisieren möchte und eine "noch nie gesehene Säuberungswelle" ankündigte, hat die Gewalt gegen soziale Aktivisten massiv zugenommen.
Die Rückkehr des medizinischen Personals nach Kuba reißt eine große Lücke. Betroffen sind landesweit 2.800 Orte, von den mehr als die Hälfte vollkommen auf das Mehr-Ärzte-Programm angewiesen ist. Etwa 30 Millionen Menschen könnten jeden Zugang zu medizinischer Versorgung verlieren. Der Mediziner-Export in Dutzende Länder hat für Kuba nicht nur wirtschaftlich Bedeutung. In ärmeren Staaten und bei Katastrophenfällen leistet Havanna unentgeltlich solidarische Hilfe.
Peter Steiniger
CUBA LIBRE 1-2019