Sein oder nicht sein in der Stunde der Äpfel – wenn es darauf ankommt

Die Linke ist gespalten und die Rechte weiß dies. Und sie ist nicht nur in Europa gespalten, sondern auch in Lateinamerika, ich würde sogar sagen in der ganzen Welt. Wenn ich von der Linken spreche, dann spreche ich von Revolutionären, von Kommunisten und von einigen Sozialdemokraten, die revolutionärer sind als einige Sozialisten und Kommunisten. Ich kenne einige, es sind nicht viele, aber genügend. Ich fürchte, dass auch in Kuba die Linke bzw. die Revolutionäre dabei sind, sich zu spalten. Und diejenigen, die die Revolution zerstören wollen, wissen das. Sie wissen, dass die beste Art zu siegen in der Spaltung besteht, und deshalb stellte ich mir diese Feinde der Revolution hinter einem durchscheinenden Spiegel vor, wie in den Polizei- und Gangsterfilmen, wie sie beobachten, verstohlen auf die Uhr schauen und sich die Hände reiben.

In letzter Zeit geschehen in Kuba seltsame Dinge: So zum Beispiel wenn ein Konterrevolutionär einen Text veröffentlicht oder in einem konterrevolutionären Medium einen Kommentar abgibt und vielleicht nicht so viel Staub aufwirbelt wie wenn ein Revolutionär einen revolutionären Text, einen Kommentar oder Artikel in einem revolutionären Medium publiziert. Dabei reicht es, dass ein anderer Revolutionär nicht mit dem Text einverstanden ist und schon entsteht ein wildes Hin und Her, wobei der Kampf zuweilen auf Leben und Tod geht. Dabei spalten sich diese Revolutionäre in zwei Gruppen, in die, die dagegen und die, die dafür sind.

Vielleicht denken einige, dass die Einnahme einer bestimmten Position in einem bestimmten Moment die normalste Sache der Welt darstellt – das Gleiche denke ich eigentlich auch, es ist nur so, dass man sich im Falle einer Revolution wie der kubanischen, die seit über fünf Jahrzehnten blockiert und belagert wird, nicht den Luxus leisten kann, dass sich ihre Revolutionäre in verschiedene Seiten aufspalten. Wir dürfen nicht vergessen, dass "spalte und du wirst siegen" die Devise der Zerstörer von Ideen ist. Was hierbei auffällt, ist die einzigartige Weise, in der sich jede Gruppe an das klammert, was sie für eine absolute Wahrheit hält. Im Deutschen gibt es ein Sprichwort, das besagt: Wenn zwei sich streiten, gibt es immer einen Dritten, der sich darüber freut.

Zuweilen geschieht es, dass es Revolutionäre gibt, die einen anderen Revolutionär mehr hassen als einen Konterrevolutionär. Ich übertreibe nicht, denn dies habe ich erst neulich festgestellt, als ein revolutionärer Freund mir eine Mitteilung schickte, in der er mir schreckliche Dinge über einen anderen Revolutionär erzählte, nur weil er nicht mit einer Meinung übereinstimmte, die dieser zum Thema dieser verdammten Äpfel von La Puntilla hatte, was bereits innerhalb einer kleinen Gruppe zu vielen Zwistigkeiten geführt hat, während die kubanische Bevölkerung sich in hunderten von Leserbriefen und Kommentaren in der Presse gegen Spekulation und Hamsterkäufe äußert.

Ich werde mich ein wenig deutlicher ausdrücken, damit man mich auch versteht.

Mit ein bisschen Vorstellungskraft und unter Berücksichtigung der momentanen Diskussionen, zumindest derer, deren Zeugen wir mittels der Sozialen Netzwerke werden, werde ich mir die Frechheit erlauben, zwei Gruppen von Revolutionären zu bilden, nämlich einerseits diejenigen, die – wenn es darauf ankommt (zur Stunde der Äpfel sozusagen) – die Kriterien von Iroel Sánchez Blog La pupila insomne [Die schlaflose Pupille] unterstützen, und andererseits diejenigen, die das Werk von Silvio Rodríguez so sehr bewundern, dass alles, was in dessen Blog Segunda cita [Zweite Verabredung oder Zweites Rendezvous] veröffentlicht wird, ohne näheres Hinsehen befolgt wird, da es, weil "Silvio es gesagt hat", die Wahrheit sein muss.

Ich werde zunächst einmal damit anfangen zu sagen, dass Silvio Rodríguez zu meinen bevorzugten Liedermachern gehört, ich bin ein treuer Bewunderer seiner Lieder, so wie ich es eines Tages auch hinsichtlich seiner Orientierung in Bezug auf Kuba und Lateinamerika gewesen bin. Heute erkenne ich, dass ich in dem Maße, wie die Zeit vergeht, weniger mit dem übereinstimme, was er denkt und in seinem Blog sagt und publiziert, insbesondere, was die Themen angeht, die mit dem Geschehen in Kuba zu tun haben.

Silvio trägt die Verantwortung für den Blog Segunda cita, den wir mit ein wenig Phantasie als Aufruf zu einer "zweiten Option" interpretieren könnten, als eine Alternative, als was auch immer, aber nicht als erste, sondern als zweite. Aber gut, das sind bereits meine eigenen Spekulationen.

Segunda cita ist nicht irgendein Blog, es ist der Blog von Silvio und "Silvio" ist eine Marke und verkauft sich auch so wie eine Marke, die für sich steht. Dieser Blog ist zu einer politischen Plattform für eine immer reduziertere Gruppe von Leuten geworden, von denen ein Großteil mit dem "Labor der Ideen" eines möglichen Kuba in Verbindung steht, das sich angesichts dessen Verrufs aufgrund seiner Verbindungen zur Open Society von George Soros beeilt hat, hinter der Gutmütigkeit des emblematischen Troubadours der Revolution Zuflucht zu suchen. Dank ihnen und trotz ehrbarer Leute, die dort auch ihre Kommentare abgeben, sind auf Segunda cita fast immer der kubanische Staat und die "offizialistischen" Journalisten die Schuldigen, weil diese ihnen zufolge in der Mehrzahl der Fälle "das Sofa rausschmeißen" [Botar el sofá], bzw."das Kind mit dem Bade ausschütten". *

Auf der anderen Seite haben wir Iroel Sánchez, einen kubanischen Journalisten und Blogger, der weder Musiker noch Sänger ist, den aber nach dem Skandal von La Puntilla und den 15 Tausend Äpfeln wohl halb Kuba kennt und mit Bewunderung auf ihn schaut. Iroel hat einen Blog, der sich La pupila insomne nennt, der Name seines Blog passt perfekt zu ihm. Ich kenne ihn auch persönlich und deswegen werde ich nicht müde zu wiederholen, dass Kuba noch ein paar Iroel Sánchez mehr braucht mit Pupila insomne und allem drum und dran. Aber gut, dies ist meine ganz persönliche Meinung.

Die Pupila begeistert mich, weil dort über alles Mögliche gesprochen wird, man kritisiert und verurteilt die Blockade wegen der Milliarden, die sie die Kubaner gekostet hat, man klagt die Konterrevolution und ihre Medienkampagnen an und man kritisiert mit Ehrlichkeit und ohne Opportunismus alles, was in Kuba nicht gut läuft.

In diesem Blog findet man einen Artikel über den Putsch in Chile, genau wie über die politische Gewalt und die Wirtschaftsblockade, wie auch den psychologischen Krieg gegen Venezuela, oder über die "Mülltaucher" und den Abfall in Havanna und das Zugangsrecht zu den Stränden in der neuen Verfassung. Die Pupila erinnert uns an die Worte des kubanischen Präsidenten Diaz Canel, mit denen er die Informationsberufler mahnend an die Notwendigkeit erinnert, "die öffentliche Tagesordnung mehr mit der mediatischen Agenda in Übereinstimmung zu bringen". Und wenn ein in Kuba akkreditierter Korrespondent oder eine diese "unabhängigen" Webseiten, die so sehr von ausländischem Kapital abhängen, einen dieser uns bereits wohlbekannten Artikel publiziert, dann ist es La pupila insomne, die dem mit Argumenten und nicht mit Parolen entgegen tritt. In der Pupila finden wir alles in reichlicher Auswahl und zwar im weitesten Sinne des Wortes.

Die 15 Tausend Äpfel von La Puntilla haben in Kuba eine wahrhaftige Büchse der Pandora geöffnet. Als ich die Nachricht zum ersten Mal las, habe ich mich sehr gefreut, weil es sich um ein Thema handelt, das uns alle angeht. Anfänglich füllten sich die Sozialen Netzwerke mit Kommentaren, die sich bei Iroel Sánchez dafür bedankten, den Mut gehabt zu haben, ein solches Vergehen anzuklagen. Allmählich jedoch tauchen dieselben Kritiker und "Spezialisten" auf wie immer, Freunde des "Labors der Ideen", und zwar mit denselben Argumenten wie immer und mit dem verflixten Kind, das man ihnen zufolge mit dem Bade ausschüttet. Obwohl Iroel zu keinem Zeitpunkt die beteiligten selbstständigen (Klein-)Unternehmer, sondern den verantwortlichen staatlichen Betrieb beschuldigt hat, wird nun er angegriffen, und zwar ohne andere Beweise als die Schreckbilder und Frustrationen jener, die ihn hassen, weil er ihnen einmal bezüglich ihrer Verbindungen zur Politik der Vereinigten Staaten gegen Kuba gründlich die Meinung gesagt hat.

Ich jedenfalls nehme mir, ganz abgesehen davon, dass Iroel ein Bewunderer Silvios ist und niemals ein Wort gegen ihn oder gegen Segunda cita gesagt hat und diesen Artikel sicherlich schlecht findet, das Recht als Kubaner heraus zu sagen, dass ich mich in der Stunde der Äpfel und wenn man mich dazu auffordert, Stellung zu beziehen, auf die Seite von La pupila insomne schlage, weil diese mir weit mehr bedeutet als Iroel Sánchez, als Silvio Rodríguez und als die Mutter aller Äpfel. Mag sein, dass Torheit aus mir spricht … jedenfalls ziehe ich es vor, weiter nach groben Worten und Werkstatt zu riechen und nicht nach altem Wein und importierten Tischtüchern.

* Botar el sofá heißt ein neuer Liedtext von Silvio Rodríguez Der original kubanische Ausdruck, "das Sofa rausschmeißen" geht auf eine volkstümliche Anekdote zurück laut der ein Mann seiner Frau untreu ist und von dieser mit deren bester Freundin in eindeutiger Situation auf dem heimischen Sofa erwischt wird, worauf die Frau in Wut gerät und das Sofa aus dem Fenster schmeißt.

Mit "Botar el sofá" werden jene oberflächlichen Maßnahmen charakterisiert, die in dem Glauben unternommen werden, Probleme mit grob vereinfachenden Methoden zu lösen. Man sagt zu dieser Methode der Ersetzung der Zweige durch die Wurzeln auch "das Kind mitsamt der Wanne und dem Wasser auskippen".

"Botar el sofá" bedeutet die Anwendung einfacher Antworten auf Schwächen und Mängel. Beispiel: wenn die Musik in einer Diskothek stört und sich die Nachbarn beschweren, wird nicht die Option gewählt, die Lautstärke zu senken, sondern gleich alles auszumachen Anmerkung durch den Übersetzer

Übersetzung: Klaus E. Lehmann

CUBA LIBRE Justo Cruz

CUBA LIBRE 1-2019