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In mehr als 135.000 Veranstaltungen in Betrieben, Stadtteilen und Ausbildungsstätten diskutiert die Bevölkerung in einem Zeitraum von mehreren Monaten einen neuen Verfassungsentwurf. Rund 15.000 Menschen sind für die Leitung dieser Diskussionsrunden geschult. Sie führen in den Entwurf ein, sammeln die Anmerkungen und Änderungsvorschläge der Diskutanten. Die werden von Juristen und anderen Fachleuten eingearbeitet. Letztentscheidungsrecht über die neue Verfassung hat ein Referendum.

Ein historischer Rückblick, wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entstand? Nein, mitnichten. Was oben beschrieben ist, ist wie unter breitester Einbeziehung der Bevölkerung der Entwurf für eine neue Verfassung in Kuba diskutiert und bearbeitet wird.

Wie sah aber nun die Entstehung des Grundgesetzes in der Bundesrepublik aus?

Es gab nicht so etwas wie eine "verfassungsgebende Versammlung", sondern einen Parlamentarischen Rat. Seine 65 Mitglieder wurden von den westdeutschen Landtagen entsprechend dem Bevölkerungsproporz und der Stärke der Landtagsfraktionen gewählt:

Nordrhein-Westfalen entsandte 17, Bayern 13, Niedersachsen neun, Hessen sechs, die übrigen Länder zwischen fünf und einem Abgeordneten. Von den 65 Mitgliedern gehörten 27 der CDU oder CSU sowie 27 weitere der SPD an, die FDP entsandte fünf Mitglieder, die (nationalkonservative und föderalistisch ausgerichtete) Deutsche Partei, das (katholische) Zentrum und die (kommunistische) KPD je zwei Mitglieder. Diese arbeiteten den Grundgesetzentwurf aus, der dann durch die Landtage ratifiziert und nicht durch Volksabstimmung beschlossen wurde. Wie heißt es so schön in der Werbung eines Elektronikmarktes: "Gut, dass wir verglichen haben".

Kuba entwickelt sein Gesellschafts- und Sozialmodell weiter und dies muss und soll sich auch in der neuen Verfassung widerspiegeln. Wir berichten in dieser Ausgabe über Meinungen, historische Entwicklungen und Hintergründe dazu. Die Diskussionen sind vielfältig, engagiert, manchmal auch strittig – aber in einem sind sich die Kubaner einig: Mit der neuen Verfassung soll der Weg zum Sozialismus gestärkt werden.

Übrigens: Zum Jahreswechsel 1958/59 siegten die Revolutionäre in Kuba über das Batista-Regime. Zum 60. Jahrestag dieses historischen Ereignisses bieten Cuba Libre und die Wochenzeitung Unsere Zeit eine Reise auf die Insel an.

CUBA LIBRE Marion Leonhardt

CUBA LIBRE 4-2018