Zum 50. Todestag des Che
19. November 1959
Che – hier im Gespräch mit seiner Frau Aleida March – verabschiedet die Delegation der Föderation kubanischer Frauen (FMC), die unter dem Präsidium von Vilma Espín (ganz rechts im Bild ) am ersten Lateinamerikanischen Frauenkongress in Santiago de Chile teilnehmen wird.
Foto: Rafael Calvo
Am 9. Oktober 1967 wurde gemeldet, dass ein Spezialkommando der bolivianischen Armee in der Nähe des Städtchens La Higuera eine Guerillagruppe aufgerieben habe, deren Anführer Ernesto Guevara de la Serna gewesen sei. Heute weiß man, dass der Che am Vortag nach einem Gefecht kampfunfähig festgenommen worden war und in Gefangenschaft unter Anwesenheit eines CIA-Offiziers kaltblütig ermordet wurde.
Dreißig Jahre später gelang es kubanischen Spezialisten, Knochenfunde in Bolivien als die Überreste des Che und einiger seiner Kampfgefährten zu identifizieren. Sie wurden 1997 nach Kuba gebracht und dort in einem Staatsakt im Mausoleum zu Santa Clara beigesetzt. Che Guevara wurde nicht älter als neununddreißig Jahre.
Auf seinen legendären Reisen in jungen Jahren durch die amerikanischen Kontinente (u. a. nach Guatemala, Bolivien, Mexiko sowie in die USA) wurde der Medizinstudent Ernesto Guevara mit der lateinamerikanischen Misere konfrontiert. Ihn erschütterte der Mangel an Bildung und gesundheitlicher Versorgung, welcher die Ärmsten unentrinnbar in der Armut hielt, während der gesellschaftliche Reichtum von einigen wenigen abgeschöpft wurde. Schon bald erkannte er, dass das eigentliche Problem nicht die Krankheit ist, sondern die kapitalistischen Verhältnisse, welche die Massen an Armut und Krankheit fesseln. Da die Zeit nicht nach tüchtigen Ärzten, sondern nach entschlossenen Revolutionären verlangte, schloss sich der Che dem kubanischen Rebellenheer unter der Leitung Fidel Castros als Arzt an. In einer unübersichtlichen Gefechtssituation, berichtete er später, habe er sich zwischen seinem Arztkoffer und einer Munitionskiste entscheiden müssen. Er wählte die Kiste, wurde kurz darauf zum Comandante ernannt und demonstrierte im Marsch gen Havanna und vor allem in der Schlacht um Santa Clara geniale strategische Fähigkeiten.
Der Che ist nach seinem Tod zu einer Ikone geworden, zum Mythos eines ewigen Rebellen, zu einem Popstar. Das wird ihm natürlich nicht gerecht.
Man kann den Guerillakämpfer Guevara nicht trennen vom disziplinierten Parteikommunisten, ebenso wenig den Vortreiber freiwilliger Arbeitseinsätze vom marxistischen Theoretiker.
Der Che leistete einen bedeutenden Beitrag zum Übergang der kubanischen Revolution in eine sozialistische, ausgehend von der festen Überzeugung, dass das Ziel der Befreiung der Kubaner von Ausbeutung und Unterdrückung nur möglich sei, wenn sich Kuba in das Bündnis der sozialistischen Staaten mit der Sowjetunion einbände, die er zugleich kritisierte. Che erkannte als einer der ersten, dass die praktischen Tagesaufgaben des sozialistischen Aufbaus eine intensive Beschäftigung mit der marxistischen Analyse des Kapitalismus und mit der Philosophie – auch, aber nicht nur der marxistischen - verlangt. In einem epischen Brief, geschrieben am 4.7. 1965 an den damaligen Bildungsminister Amando Hart, entwirft der Che ein monumentales philosophisches Studienprogramm für jedermann in acht Abteilungen. In der Kategorie "Marx und marxistisches Denken" empfiehlt er die Lektüre Lenins, aber auch Stalins. Zugleich spottet er über die "sowjetischen Backsteine, die den Nachteil haben, dass sie Dich nicht denken lassen; die Partei hat bereits für Dich gedacht, und alles was Dir übrig bleibt, ist die Verdauung". Che nennt dies "die antimarxistischste aller Methoden". Chruschtschow wird der Abteilung "Revisionisten" zugerechnet, wo er sich mit Trotzki wiederfindet, der, wie der Che witzelt, "allem Anschein nach tatsächlich gelebt und geschrieben hat". Che bestand auf dem Studium der Originalschriften der Klassiker. Insbesondere galt dies für das Kapital, welches er an anderer Stelle ein „Monument menschlicher Intelligenz“ nennt, welches derart schwer wiege, "dass wir immer wieder dazu neigen, den – im besten Sinne des Wortes – humanistischen Charakter seines Forschungsinteresses zu vergessen."
Dieser positive Bezug auf den Humanismus bei Che ist oft falsch interpretiert worden.
9. Mai 1964
Che bei der Schlusseinschätzung zum Seminar "Die Jugend und die Revolution" im Ministerium für Industrie.
Fotograf/-in unbekannt
Der Humanismus des Che ist der Humanismus des kubanischen Nationaldenkers José Martí, der fast ein Jahrhundert zuvor gefordert hatte: "Ein wirklicher Mensch muss jeden Schlag am eigenen Leib spüren, welcher einem anderen Menschen versetzt wird." Ches Übersetzung dieses Leitsatzes war, dass man die Pflicht habe, Revolutionär zu sein, solange es auf der Welt auch nur einen einzigen Menschen gäbe, der unter Hunger und Unterdrückung leide.
29. April 1963 |
29. Dezember 1963 |
Dass der Argentinier Che für die kubanische Revolution kämpfte, war kein Zufall, sondern entsprang seiner tiefsten Überzeugung, dass die Befreiung vom Imperialismus nur im international vereinten Kampf zu erreichen sei. Der Internationalist Che kämpfte später auch im Kongo für die Erlösung des afrikanischen Kontinentes vom Kolonialismus und gab sein Leben im Kampf für ein befreites Bolivien.
Nichts von dem, was die kubanische Revolution erreicht hat, wäre unter Missachtung des Prinzips des Internationalismus möglich gewesen. Leben und Kampf des Che lehren uns, wie wichtig es ist, aufmerksam für Ausbeutung und Unterdrückung zu sein, die der Imperialismus produziert. Sie lehren uns auch, dass es unabdingbar ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse theoretisch zu erfassen, die dieses Elend immer wieder aufs Neue hervorbringen. Um diese Verhältnisse zu überwinden, braucht es eine theoretische Basis und eine organisierte Kraft. Das war dem Che sonnenklar. Aber als Marxist, der die kritische Reflexion für den Ausgangspunkt des dialektischen Denkens hielt, prüfte er auch die möglichen Versteinerungen einer eindimensionalen Sichtweise. Diese andere Dimension, an die der Che hier erinnert, ist, so würde ich sagen, die Sinnlichkeit des Menschen, seine Emotion, Vertrauen, Hoffnung, seine Willenskraft. Der Che hielt es für eine der wichtigsten Eigenschaften des Revolutionärs, lieben zu können. So wie die bürgerliche Wahrnehmung des Che seine Eigenschaft als marxistischer Theoretiker "übersieht", lassen seine europäischen marxistischen Interpreten diese empathische Seite seines Denkens gerne beiseite. Der Che erkannte diese Dynamik früh und äußerte die Befürchtung, dass die Funktionsweise der Produktionsverhältnisse und ihre Konsequenz, der Klassenkampf, ... in gewisser Hinsicht immer wieder [verschleiern], dass es Menschen sind, die sich im historischen Umfeld bewegen….
Das ist selbstverständlich nicht im Sinne einer bürgerlichen Vorstellung zu sehen, die Veränderungen "im Kleinen" stünden denen "im Großen" entgegen, oder ähnliches. Es geht dem Che um ein umfassendes Menschenbild, in dem die Dimensionen von Arbeit, Notwendigkeit, Kampf und Disziplin mit allen Bereichen, auch und gerade den sinnlichen, empathischen Facetten des Individuums vermittelt werden. Ich meine, dass dieses umfassende Menschenbild nicht nur typisch für das Denken des Che ist, sondern auch die kubanische Revolution bis heute auszeichnet und wohl ihr "Geheimnis" ist. In ihr haben sich viele Ideale, für die Che Guevara Zeit seines Lebens einstand, bereits verwirklicht; andere sind Leitziele für die Zukunft.
Dieses Vermächtnis ist für uns nicht nur eine Bereicherung; es verlangt auch nach einer bedingungslosen Solidarität mit dem sozialistischen Kuba, die den revolutionären Humanismus des Che, von José Martí, aufnimmt.
Tobias Kriele
CUBA LIBRE 1-2018