Kuba und die Oktoberrevolution

Aus heutiger Sicht liegen die Oktoberrevolution in Russland und die Kubanische Revolution mit ihrem Abstand von 42 Jahren nicht weit auseinander. Der Fortbestand und die erfolgreiche Verteidigung der Kubanischen Revolution über nun bald 59 Jahre übertrifft diesen Zeitraum in Kürze um die Hälfte.

Fidel Castro und Camilo Cienfuegos

Fidel Castro und Camilo Cienfuegos
Die Unterstützung der Sowjetunion kam erst nach der Revolution
Foto: Alberto Korda



Damit ist die Wirkung der epochalen Revolution im zaristischen Russland auf den klassenkämpferischen Teil der antibatistianischen Aufständischen in Kuba von der Zeitsicht her größer als man heute vielleicht annehmen würde. Dennoch: Niemand macht einen revolutionären Aufstand, weil es anderswo einen erfolgreichen Aufstand gab; dazu müssen im eigenen Land die Bedingungen gereift sein. Das war auf Kuba sicher der Fall. Denn vor allem ist zu berücksichtigen, dass es dort in erster Linie um den Sturz der staatsterroristischen Batista-Diktatur ging. Und darüber hinaus hatten einige US-Monopole Fabriken und erheblichen Großgrundbesitz auf der Insel, von deren Erträgen gewiss zum Teil etwas bei der kubanischen Bourgeoisie, aber de facto nichts beim ausgepressten und zu weiten Teilen unterdrückten Volk blieb. Die USA selbst haben nach den Januartagen des Jahres 1959 mit ihrer Politik zu einer Radikalisierung der Revolution beigetragen; die Invasion in der Schweinebucht im April 1961 führte zur Deklarierung der Revolution als sozialistisch und in der Folge zur vertieften Annäherung der kubanischen Revolutionsregierung an die Sowjetunion. Danach kam es zur Einbindung Kubas in den "Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe" (RGW) der sozialistischen Staaten, bis zu deren Zusammenbruch 1989 bis 1991.



Trotzdem sind die politischen Wurzeln der Vorkämpfer des revolutionären Wegs Kubas auch im Vorbild der Oktoberrevolution zu suchen. Die historische KP Kubas um Julio Antonio Mella wurde 1925 gegründet, so wie auch in anderen Ländern der Region und der Welt als Ergebnis der Spaltung der damaligen Sozialdemokratie in einen pragmatischen und einen revolutionären Flügel, wobei sich letzterer bald in Kommunistische Parteien verwandelte. Ab 1944 nannte sich die PCC fortan "Sozialistische Volkspartei" (PSP). Erst 1965 wurde die heutige Kommunistische Partei Kubas wiedergegründet, nun auch mit ideologischem Bezug auf Lenin, den Anführer der Oktoberrevolution. Dass das Modell der Einheitspartei auf Kuba von interessierter (oder auch uninformierter) Seite gern mit dem Vorbild UdSSR bzw. KPdSU begründet wird, kann einfach zurückgewiesen werden. Für Kuba ist nach Worten Fidel Castros die Einheit des Landes nur über die politische Einheit der Kubanerinnen und Kubaner zu garantieren; unterschiedliche und konkurrierende Parteien stünden dem entgegen. Deshalb ist der Marxismus-Leninismus nicht der Grund für das kubanische Parteiensystem, sondern die Vermeidung des Rückfalls in die Abhängigkeit.

Julio Antonio Mella

Julio Antonio Mella


Der Bezug von Julio Antonio Mella und anderen Revolutionären der 20er Jahre auf die Oktoberrevolution der Bolschewiki war auch ein Akt der Solidarität. Nachdem klar wurde, dass die erwarteten Revolutionen in Deutschland, England und anderen industrialisierten Staaten Europas ausblieben bzw. niedergeschlagen wurden, war die Sowjetunion auf sich allein gestellt. Die zuvor nicht für möglich gehaltene Situation des Aufbaus des Sozialismus in einem Land brachte eine weltweite Solidarität mit den Revolutionären Russlands und der anderen Republiken der entstehenden UdSSR.

Doch erst die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs stärkten die Sowjetunion nachhaltig und färbten die politische Landkarte Europas um. Die Rote Fahne auf dem Reichstag in Berlin im Mai 1945 wirkte als Fanal. Überall auf der Welt erstarkten die Kommunistischen Parteien; in Asien entwickelten sich vor allem die Kämpfe in China und Vietnam. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren waren die Befreiungsbewegungen in den unterentwickelt und – besonders in Afrika – kolonial gehaltenen Regionen der Welt erfolgreich. Der Sturz Batistas ist daher in diese Periode einzuordnen und ging regional einher mit Versuchen gesellschaftlicher Umwälzungen wie 1954 in Guatemala oder 1965 in der Dominikanischen Republik.

Wenn auch die Sowjetunion in Lateinamerika keine Waffenhilfe leistete, so war ihre pure Existenz doch Ansporn. Und für Kuba bedeutete sie durch die wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen letztlich Sicherheit und die Möglichkeit einer allseitigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Kuba hatte einen umfassenden Maschinenpark vor allem in der Landwirtschaft; es entstanden Industriebetriebe, und das in der Welt vorbildliche Bildungs- und Gesundheitssystem hatte ebenfalls wesentliche Unterstützung durch die sozialistische Bruderhilfe der Sowjetunion.

Letztlich ist es eben genau so, wie Fidel es einmal ausdrückte: "Die eigentliche Sonderperiode war die Zeit vor dem Ende der Sowjetunion." Denn die Tatsache, dass sich ein Land der „Dritten Welt“ aufmacht und politisch beschützt von einer Großmacht den Sozialismus aufbauen kann, ist in der Geschichte natürlich nicht der Normalfall. Deshalb endete diese Art der Sonderperiode mit dem Zerfall der Sowjetunion, und in dieser Lesart begann ab 1991 die Normalperiode – die aber natürlich den Namen Sonderperiode bekam. Wie dem auch sei: die Freundschaft zur Sowjetunion hat Kubas Revolutionäre auch gelehrt, wie man ohne sie überlebt.

CUBA LIBRE Günter Pohl

CUBA LIBRE 3-2017