Interview mit Arlin Alberty Loforte
Arlin Alberty Loforte ist stellvertretende Chefredakteurin der Tageszeitung Granma, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, und zuständig für die wöchentlich bzw. monatlich erscheinende internationale Ausgabe Granma Internacional.
Cuba Libre: Sie stehen mit an der Spitze der offiziellen Tageszeitung Kubas. Für eine so herausgehobene Funktion sind Sie mit 31 Jahren ziemlich jung. Wie fühlen Sie sich mit dieser Verantwortung?
Arlin Alberty Loforte: Das ist für mich eine große Herausforderung und Verpflichtung. Die Granma ist das wichtigste gedruckte Medium des Landes und auch das, das weltweit die größte Aufmerksamkeit genießt. Ich bin aber nicht die einzige junge Vizechefredakteurin der Granma. Für die Tageszeitung ist eine andere junge Frau, Karina Marrón, zuständig. Zudem gehören der Granma-Redaktion viele junge Journalisten an und leiten auch die Ressorts. Wir können aber auch auf Kollegen mit großer Erfahrung zählen, wie etwa Marta Rojas, die schon beim Moncada-Prozess gegen Fidel Castro dabei war. In der Granma fließen also Erfahrung und Jugend zusammen, aber vor allem eint uns die große Lust auf die Arbeit und darauf, die Herausforderungen zu bewältigen – sowohl die als Zeitung als auch die für die kubanische Gesellschaft.
CL: Die Granma ist einerseits die wichtigste Zeitung zur Information der Bevölkerung, aber andererseits ist es auch das Organ der Regierung, was man ja an den offiziellen Noten und Verlautbarungen bei jedem Staatsbesuch erkennen kann. Ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich kompliziert ist, einerseits diese protokollarischen Funktionen erfüllen zu müssen, und andererseits eine interessante Zeitung machen zu wollen.
Arlin Alberty Loforte auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz |
AAL: Das ist Bestandteil unserer Arbeit und macht eine der Besonderheiten der Zeitung aus. Da die Kommunistische Partei die führende Kraft der Gesellschaft ist, hat auch das Zentralorgan in gewisser Weise diese Aufgabe. Aber es ist tatsächlich eine Herausforderung, einerseits diese offizielle Funktion zu erfüllen, andererseits aber auch die Widersprüche und Probleme der Gesellschaft widerzuspiegeln und zu beleuchten, wie sich die Politik des Landes entwickelt und wie die politischen Maßnahmen in der Gesellschaft umgesetzt werden.
CL: Vor einigen Wochen haben Sie das Layout der Granma verändert und modernisiert. Ist das eine Anpassung an die Herausforderungen eines freien Marktes? Werden Sie jetzt ein Boulevardblatt?
AAL: Nein, die Veränderungen sind rein visuell. Wir haben nur das Design der Granma verändert, um sie grafisch noch attraktiver zu machen. Die Fotos sind jetzt zum Beispiel größer. Es geht darum, die Zeitung zeitgemäß zu gestalten. Es geht darum, dass die Form den Inhalt unterstützt. Aber unsere inhaltliche Politik bleibt die gleiche.
CL: In welcher Beziehung stehen die gedruckte Ausgabe und die Online-Edition der Granma zueinander?
AAL: Hinsichtlich der Aktualisierungsmöglichkeiten ist die Homepage sehr viel dynamischer und sie bietet uns sehr viele Möglichkeiten, zusätzliche Informationen zu verbreiten. Die Tageszeitung hat täglich acht Seiten, außer am Freitag, dann sind es 16 Seiten. Auf der Homepage haben wir die Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, die auf den gedruckten Seiten der Tageszeitung keinen Platz hätten. Wir haben zum Beispiel eine neue Rubrik „Pensamiento“ – Denken –, die sehr tiefgreifende Analysen der Realität unseres Landes enthält. An ihr beteiligen sich kubanische Intellektuelle, Schriftsteller, Wissenschaftler, die zu bestimmten Themen bereits eingehender geforscht haben und mit ihren Ergebnissen auf die Seiten der Granma kommen.
CL: Welchen Einfluss nimmt das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas auf die Inhalte der Zeitung?
AAL: Die Granma ist das offizielle Organ des Zentralkomitees, wir haben eine sehr enge Arbeitsbeziehung mit dem ZK, und die redaktionelle Linie wird natürlich auch von Interessen der Partei bestimmt. Aber die Redaktion mit der Chefredakteurin an der Spitze hat die Kompetenz, über die Art und Weise der Information zu entscheiden, so lange sie nicht von der Linie und der Ethik der Partei und der Kubanischen Revolution abweicht.
Wir vergessen nie, welche Verantwortung wir als Zentralorgan haben. Wir sind uns bewusst, dass nicht nur unsere Freunde, sondern auch unsere Feinde sehr genau lesen, was in der Granma steht, denn die offizielle Position unseres Landes wird über die Granma verbreitet.
CL: War das auch der Grund dafür, warum die traurige Nachricht vom Tod Fidel Castros auf der Internetseite der Granma erst mit einer gewissen Verspätung erschienen ist? Das Portal Cubadebate zum Beispiel hatte die Information schon rund eine Stunde früher auf seiner Seite.
AAL: Wir sind davon ausgegangen, dass in diesem Fall jede Information der Granma als offizielle Verlautbarung verstanden werden würde. Deshalb haben wir uns entschlossen, zunächst die offiziellen Informationen zu verbreiten, also das erste Kommuniqué, die Note über den Ablauf der Trauerfeierlichkeiten und diese Texte. Zudem mussten wir die vielen Seitenaufrufe bewältigen, die fast zu einem Kollaps der Seite geführt hätten. Das hat uns etwas langsamer gemacht.
CL: In den Tagen nach dem Tod Fidels hat die ganze Welt auf Kuba geblickt, es gab unzählige Staatsgäste zu den verschiedenen offiziellen Trauerveranstaltungen. Wie haben Sie in der Granma diese Zeit erlebt?
AAL: Das waren Tage mit ziemlich wenig Schlaf... Es war zum einen aufgrund unserer professionellen Aufgaben und dem Einsatz von uns allen eine ziemlich angespannte Zeit. In dieser Zeit waren wir alle dort in der Redaktion, wo wir gebraucht wurden, um die umfassende Berichterstattung möglich zu machen und die Gefühle des kubanischen Volkes wiederzugeben, das Bekenntnis zur Treue, zur Revolution. Die Hunderttausenden, die während der Karawane am Straßenrand standen, hat niemand dort hingetrieben. Es war das Volk, das seinem Anführer die Ehre erweisen wollte. Auch das „Ich bin Fidel“ war nicht einfach eine Parole. Es war eine Verpflichtung, seine Aufgabe zu erfüllen und sie gut zu erfüllen.
In der Redaktion war das eine Zeit mit viel Arbeit, nicht nur, weil wir viele Seiten füllen mussten. Wir haben in dieser Zeit täglich 16 Seiten produziert, und die gesamte Redaktion stellte sich dafür bereit, über alles, was in unserem Land passierte, zu berichten – die Kundgebungen, die Karawane quer durch das Land, die offiziellen Besuche, die Beileidsbekundungen, die uns aus aller Welt erreichten. Und wir haben die Erinnerungen der Menschen gebracht. Eine sehr schöne Rubrik, die wir eingeführt haben, ist „Meine Geschichte mit Fidel“, in der unsere Leser über ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Comandante berichten konnten. Es haben darin Ärzte geschrieben, die ihr Studienzeugnis von Fidel überreicht bekamen, oder Leute, die an der Alphabetisierungskampagne teilgenommen haben, oder Internationalisten, die vom Comandante am Flughafen verabschiedet wurden. Jugendliche berichteten, wie er sie in der Schule besuchte und sich einfach zu ihnen in die Klasse gesetzt hat. In unserer Redaktion waren alle immer bereit, jede Aufgabe zu übernehmen, die erfüllt werden musste, und zwar so lange, wie es nötig war. Da hat niemand auf die Uhrzeit und den Feierabend geschaut. Das war eine Frage des Gefühls und der Dankbarkeit, die über die professionelle Pflicht hinausging. Ich denke, das sah in anderen Medien unseres Landes in diesen Tagen ganz genauso aus.
CL: Die kubanischen Medien müssen sich heutzutage ja auch vor dem Hintergrund der Veränderungen in Kuba und in Lateinamerika in einem anderen Umfeld bewegen als früher. Besonders im Internet haben Sie es ja heute auch mit gegnerischen Medien und ausländischen Stimmen zu tun. Wie positionieren Sie sich zum Beispiel mit der Granma Internacional in diesem Umfeld?
AAL: Uns ist bewusst, dass die transnationalen Medienkonzerne die großen Monster sind, die gewaltige Mengen an Informationen bewältigen können und Orte erreichen, an die wir mit Medien wie den unseren nicht kommen. Aber uns bewegt die Überzeugung, dass wir unsere Botschaft auch mit der Unterstützung unserer Freunde und der internationalen Solidaritätsbewegung verbreiten können. Es ist ja nicht die Botschaft dieser Zeitung, sondern die Botschaft unseres Landes und unserer Revolution. Aber es ist eine riesige Herausforderung, uns in einem Umfeld zu positionieren, in dem hauptsächlich verzerrte Darstellungen der Kubanischen Revolution angeboten werden. Diejenigen, die diese verzerrten Berichte verbreiten, sind große Massenmedien mit riesiger Reichweite, an die wir als kubanische Medien nicht herankommen. Unsere Aufgabe ist aber, schneller zu reagieren, beweglicher zu sein, um unsere Nachrichten zu verbreiten.
Wenn es darum geht, offizielle Informationen über Kuba zu erhalten, liest man die Granma. Unsere Freunde und oft auch diejenigen, die nicht unsere Freunde sind, wollen genau wissen, welche Linie Kuba in einer bestimmten Frage vertritt. In solchen Fällen stehen wir alleine da. Wir wissen, dass es in unserem Land noch vieles zu verbessern und zu perfektionieren gibt, und daran arbeiten wir. Aber das ist eine Entscheidung Kubas und der Kubaner. Deshalb ist jede Diskussion, jede Debatte in der Gesellschaft und in der Partei Teil der Schlacht um die Informationen, die wir Tag für Tag führen.
CL: Welche Rolle spielt dabei die Granma Internacional?
AAL: Die Granma Internacional ist eine Publikation in spanischer Sprache, die aber ins Deutsche, Englische, Französische, Portugiesische und Italienische übersetzt wird. Viele der Übersetzer, die bei uns arbeiten, sind Freunde aus Deutschland, Italien, anderen Ländern, die uns bedingungslos unterstützen und eine großartige Arbeit leisten. Die Aufgabe der Granma Internacional ist es, die Diskussionen, die in Kuba stattfinden, in viele Teile der Welt zu tragen. Das gilt auch für kulturelle oder ökonomische Themen, die entscheidend sein können. Wir informieren über die Erfolge Kubas im Gesundheitswesen, in der Kultur, im Tourismus, im Sport. Hinzu kommen einige Analysen der Perspektiven Lateinamerikas und der Welt von einem linken Standpunkt aus. Die Granma Internacional hat eine große Wirksamkeit in der Solidaritätsbewegung und bei den Menschen, die uns seit vielen Jahren in der einen oder anderen Weise unterstützen.
CL: Die fremdsprachigen Ausgaben sind reine Übersetzungen aus dem Spanischen. Oder gibt es auch eigene Beiträge?
AAL: Es gibt manchmal schon Artikel, die nur in der jeweiligen Sprache erscheinen, das ist nicht ausgeschlossen. Aber meistens erscheinen in den fremdsprachigen Ausgaben schon Artikel, die bereits in der spanischsprachigen Ausgabe veröffentlicht wurden. Aber uns interessiert natürlich, was das jeweilige Publikum erwartet, und dabei helfen uns die Übersetzer, die die Menschen in ihren Heimatländern gut kennen und uns Hinweise geben.
CL: Granma Internacional ist, glaube ich, das einzige lateinamerikanische Internetportal, das in deutscher Sprache über Lateinamerika berichtet...
AAL: Und die deutschsprachige Seite wird sehr häufig aktualisiert. Aber Voraussetzung dafür ist natürlich immer die Übersetzung, und dafür muss die Zeit da sein. Und die Arbeit bringt natürlich eine große Verantwortung mit sich. Wenn etwa Reden übersetzt werden, dann kann ein Wort oder ein Satz in einer anderen Sprache eine ganz andere Bedeutung haben. Deshalb müssen die Übersetzer sehr genau wissen, was die Politik von Kuba in einem bestimmten Zusammenhang ist, und sich sehr konzentrieren, damit es eine gute Übersetzung wird. Zumal Granma ja das einzige kubanische Medium ist, das auf Deutsch übersetzt wird, und wir sind uns bewusst, dass viele unsere deutschsprachigen Versionen übernehmen und weiterverbreiten.
CL: Werden die Übersetzer irgendwie kontrolliert?
AAL: Da es sich um Übersetzer handelt, die seit vielen Jahren mit uns zusammenarbeiten, vertrauen wir ihnen sehr. Und wir sind ihnen auch sehr dankbar, weil sie ihre Aufgabe bedingungslos erfüllen. Die Texte werden dann ja auch überall auf der Welt gelesen, und die Leser teilen uns mit, was sie davon halten. Aber natürlich lässt sich alles immer noch verbessern.
CL: Viele Menschen waren hierzulande sehr überrascht über das Gesetz, dass es verbietet, Straßen und Plätze nach Fidel Castro zu benennen oder Denkmäler für ihn zu errichten. Nun haben uns Leute hierzulande gefragt, ob sie künftig kein Bild von Fidel mehr zu Hause aufhängen oder kein T-Shirt mit seinem Bild tragen dürfen. Könnten Sie dieses Missverständnis aufklären?
AAL: Bei dem Gesetz geht es darum, dass nicht Plätze, Straßen, Parks usw. seinen Namen tragen. Es geht darum, wie Fidel selbst mit einem Zitat von José Martí sagte, dass aller Ruhm der Welt auf ein einziges Maiskorn passt. Das Ziel ist, dass von ihm nicht so sehr Bilder bleiben, sondern vor allem die Ideen. Seinem Beispiel zu folgen ist eine bessere Ehrung, als eine Statue oder eine Büste aufzustellen. Zudem war das der Wunsch des Comandante. Etwas anderes ist aber ein Institut, das sich mit dem Werk Fidel Castros beschäftigt, das kann natürlich den Namen tragen. Was die Bilder von Fidel Castro angeht, ist nur verboten, sie für kommerzielle Zwecke zu verwenden, wie es ganz oft mit den Bildern des Che Guevara passiert. Fidels Vermächtnis zu bewahren und seinem Beispiel zu folgen ist viel mehr, als ein Bild von ihm aufzuhängen oder einen Park nach ihm zu benennen.
CL: Und das symbolisiert die Granma, indem sie nun jeden Tag einen Satz von Fidel Castro auf der Titelseite veröffentlicht?
AAL: Ja, jeden Tag haben wir einen Satz des Comandante auf der Titelseite. Er hat von vielen Dingen gesprochen, und manchmal gibt es sogar Sätze aus der Zeit vor der Revolution, die so klingen, als seien sie gestern erst gesagt worden. Sein Denken hat eine außerordentliche Gültigkeit auch für uns heute.
Das Interview führte André Scheer
CUBA LIBRE 2-2017