Hurrikan Matthew – Ein Bericht aus Kuba

In den letzten Wochen überschlugen sich in den internationalen Medien die Meldungen über den Hurrikane Matthew, der sich an der Westküste Afrikas bildete und sich – immer stärker werdend – langsam der Ostküste Südamerikas und der Karibik näherte. In seinem weiteren Verlauf entwickelte er sich zu einem tropischen Sturm der Kategorie 5, dem stärksten atlantischen Hurrikan seit 2007 und verwüstete auf seinem Weg vor allem Haiti, Kuba und die Bahamas.

Doch auch St. Lucia und St. Vincent waren von starken Winden und Regenfällen betroffen, die großflächig Erdrutsche und Überschwemmungen verursachten und damit einhergehend Teile der Infrastruktur, das Stromnetz und viele Wohnhäuser beschädigten. An der Südostküste der USA kamen bei Überschwemmungen und orkanartigen Winden 33 Menschen ums Leben und über eine Million Einwohner waren zeitweise ohne Strom.

In Haiti zerstörte Matthew mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 170 km/h und Überschwemmungen Brücken, Straßen und in vielen Städten mehr als 80 % der Gebäude. Insgesamt forderte der Hurrikan hier mehr als 1000 Todesopfer und löste eine humanitäre Katastrophe aus. "Einige Städte und Dörfer seien fast von der Landkarte getilgt worden.", so Ban Ki Moon. Mehr als 1,4 Millionen Menschen benötigen nun Hilfe.

Hurrikan wütet in Kuba

Den Osten Kubas erreichte der Hurrikan, als Sturm der Kategorie 4, mit maximalen Windgeschwindigkeiten von 220 km/h und Sturmfluten und verursachte enorme Schäden. Insbesondere die Region Guantanamo war betroffen und kämpft nun mit großflächiger Zerstörung der Wohnhäuser, der Transportwege und in der Landwirtschaft. Einige Orte des Gebietes waren auf dem Landwege nicht erreichbar und die Straßen der Region waren auf Grund von Erdrutschen, umgefallenen Bäumen und heruntergerissenen Ästen nicht passierbar. In Städten wie Baracoa, Maisí, Imías und San Antonio del Sur sind schätzungsweise 90% der Wohnhäuser ernsthaft beschädigt oder gar komplett zerstört worden. Auswirkungen des Sturms reichen noch bis Camagüey in der Mitte des Landes.

Kuba mit beispielhaftem Katastophenschutzprogramm

In der Vor- und Nachbereitung des Sturms auf der sozialistischen Karibikinsel – auf welche ich im Folgenden insbesondere eingehen werde – lassen sich Besonderheiten erkennen, die es so, in keinem anderen Land der Welt zu beobachten gibt.

Bereits am 1. Oktober begannen die Vorbereitungen und die Evakuierung von über 230.000 Personen in 235 Katastrophenschutzzentren und in hurrikansichere Wohnungen von Nachbarn und Verwandten. Um die zu erwartenden Schäden zu beseitigen, wurden in Guantanamo und den umliegenden Provinzen im Vorhinein Hilfsbrigaden gebildet. Die Akteure des Rates der Provinzverteidigung (CDP) sind durch die Bezirke gereist und haben eine präzise Orientierung für die Notfallmaßnahmen ausgearbeitet. Laut des CDPs gebe es nichts wichtigeres als ein Menschenleben, weshalb es unverzichtbar sei, die Risiken mit größtmöglicher Aufmerksamkeit wahrzunehmen.

Große Solidarität in der kubanischen Gesellschaft

Viele Leute berichten von einer großen Solidarität während des Sturms und danach. "Dass 50, 60 und mehr Leute in einem Haus zusammen Schutz fanden war völlig normal und dass sie dort in der Dunkelheit alles teilten, den Schmerz, die Angst und das Wenige, was sie besaßen, den Becher Kaffee, das Handtuch, die Windel für das Kind und andere Dinge, ist etwas, das man nicht überall sieht." berichtete beispielsweise ein Redakteur der Granma – zentrales Medienorgan der kommunistischen Partei Kubas – der sich nach der Katastrophe vor Ort befand. Karawanen mit tausenden von Elektrizitätsarbeitern, Bauarbeitern, LKW-Fahrern, Mitarbeitern unzähliger anderer Unternehmen und freiweilligen Helfern machten sich auf den Weg, um die entstandenen Schäden schnellstmöglich zu beseitigen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der extremen Knappheit an Baumaterialien beeindruckend. Ein Mann aus Guantanamo, gerührt und ergriffen von den endlosen Massen sagte im Gespräch mit der Granma: "Mann, ganz Kuba ist ja in Baracoa." Organisationen wie der Studentenverband FEU oder Kirchen rufen seit Tagen zu Geld- und Sachspenden auf und bringen diese in den nächsten Tagen in den Osten. Insbesondere wurde Wert darauf gelegt, den Schulunterricht wieder möglichst schnell aufzunehmen, wofür es notwendig war, einige Wohnhäuser und staatliche Einrichtungen zu benutzen und einige Schüler in andere Schulen zu versetzen. Wieder einmal wird deutlich, welche Priorität die kubanische Gesellschaft ihrer Jugend einräumt. Weiter schrieb der Redakteur der Granma: "Wenn du glaubst, du hast alles gehört, taucht eine neue Anekdote auf, die über das solidarische Verhalten von Menschen erzählt, das es ermöglicht hat, dass ein Hurrikan Stärke vier kein einziges Menschenleben forderte." Und das ist der springende Punkt. Trotz der überwältigenden Stärke, mit der Matthew auf die Ostküste traf, kam dank des Katastrophenschutzprogramms – das zu einem der Besten der Welt gehört und von der UN vor kurzem gelobt wurde – laut Angaben der Behörden niemand an den direkten Folgen des Sturms ums Leben. Darüber hinaus ist es beeindruckend, dass Kuba – trotz der Misslage in der es sich zur Zeit noch befindet – mehr als 600 Ärzte auf Haiti im Einsatz hat, die sich um die Eindämmung der Choleragefahr und die medizinische Versorgung der Hurrikanopfer bemühen und stetig weitere entsendet.

Kubanische Regierung an der Seite der Menschen

Unmittelbar nach der Katastrophe kam Staatspräsident Raúl Castro in die gebeutelte Provinz, um seine Unterstützung und seine Dankbarkeit gegenüber den Helfern auszudrücken. "Ihr habt einen schweren Schlag hinnehmen müssen, aber wir werden uns davon erholen. Jetzt ist es lebenswichtig, dass man so schnell wie möglich genau alle Schäden registriert, um zu wissen was an den verschiedenen Stellen benötigt wird. Ich beglückwünsche euch, weil ihr tapfer, gefasst und sehr revolutionär seid. Ich bin stolz auf die Kubanerinnen und Kubaner im ganzen Land, aber vor allem auf euch, weil ihre eine sehr schwere Prüfung bestehen musstet.", sagte Castro in einer seiner vielen Reden vor der ostkubanischen Bevölkerung.

Große Schäden im Osten Kubas hinterlassen Spuren

Jedoch hat die Region mit extremen Mängeln zu kämpfen. Trotz aller Anstrengungen herrscht ein extremer Ausnahmezustand und die Situation vieler Menschen ist von Elend und Angst vor den nächsten Wochen bestimmt. Die Aufräum- und Reparaturarbeiten an Wohnhäusern, öffentlichen Gebäuden, Strom-, Gas-, Wasser- und Telefonleitungen werden nach Schätzung der örtlichen Behörden noch Monate dauern. Es besteht eine extreme Lebensmittel- und Wasserknappheit und viele Leute sind obdachlos und müssen langfristig in Sammelunterkünften, bei Nachbarn oder Familienmitgliedern unterkommen. Vor den Supermärkten ist die Stimmung extrem angespannt. Auch wenn die Regierung und der Rest der Bevölkerung alle zur Verfügung stehenden Ressourcen bereitstellt, ist es in jedem Fall eine harte Probe, auf die die Betroffenen und ihre Angehörigen zurzeit gestellt wird.

Solidarität mit Kuba

Doch auch Kuba, kann sich in dieser Situation auf seine Verbündeten verlassen. Den bedeutendsten Akt der Solidarität hat Venezuela geleistet. Das südamerikanische Land, das seit der bolivarischen Revolution 1998 in einem ausgeprägten Handelsverhältnis und politischer Harmonie mit Kuba steht, schickte am 11.10. 327 Tonnen Hilfsgüter in die Republik. In erster Linie handelt es sich hierbei um Baustoffe und Straßenbaumaschinen, um zur Wiederherstellung der Infrastruktur beizutragen, aber auch um Lebensmittel und Kleidung.

Der venezolanische Minister für Wohnung und Lebensraum, Manuel Quevedo betonte, dass diese Hilfslieferungen Teil der Reserve der bolivarischen Regierung für den Notstand seien, die man jetzt solidarisch mit Kuba teilen werde. Auch in Deutschland hat die Solidaritätsbewegung nicht auf sich warten lassen und diverse Spendenaufrufe gestartet und ihre Solidarität erklärt. Spenden kann man beispielsweise über die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba einreichen.

Trotz extremer Bedingungen und großem Unmut über den Ausnahmezustand, der noch einige Wochen, wenn nicht Monate anhalten wird, zeigt sich wieder einmal, dass es nicht nur materieller Ressourcen, sondern vor allem einer solidarischen Gesellschaft, die in guten, wie in schlechten Zeiten zueinander steht, bedarf.

CUBA LIBRE Website des Proyecto Tamara Bunke
https://berichteaushavanna.de/

CUBA LIBRE 1-2017