Am 24. August 2016 ist in Havanna im Beisein der Garantiestaaten Norwegen und Kuba eine Vereinbarung unterzeichnet worden, die in die Geschichte eingehen könnte. In der Hauptstadt Kubas, die seit 2012 Schauplatz der Friedensverhandlungen zwischen den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC-EP) und der Regierung des südamerikanischen Landes ist, haben die jeweiligen Bevollmächtigten, Iván Márquez für die Guerilla und Humberto de la Calle für die Regierung, an diesem Tag – nach mehr als dreieinhalbjährigen Verhandlungen – ein Dokument über einen endgültigen Friedensschluss unterzeichnet.
Damit wird eine Beendigung des seit 1948 fortdauernden Bürgerkrieges angestrebt. Für die Ratifizierung der Vereinbarung über einen dauerhaften Frieden muss nun eine Mehrheit am 2. Oktober mit "Ja" stimmen.
Aus mehreren Gründen kann jedoch so oder so noch nicht von einem "Ende des Bürgerkrieges" gesprochen werden, wie ihn internationale Nachrichtenagenturen schon nach der vorläufigen Vereinbarung über einen Waffenstillstand im Juni verkündet hatten.
Zwar handelt es sich zweifellos um ein äußerst bedeutsames Abkommen mit der größten der verbliebenen Guerillagruppen, aber die eben erst begonnenen Gespräche mit dem 1965 nach kubanischem Vorbild entstandenen Nationalen Befreiungsheer (ELN) stocken, weil die Regierung als Vorbedingung die Freilassung von Kriegsgefangenen stellt.
Zweitens hat sich dieser Krieg nie aus der bloßen Existenz der FARC genährt, sondern aus dem staatlichen Unwillen, die Attacken gegen die fortschrittlichen Kräfte des Landes zu beenden. Die völlig überdimensionierte Kriegsmaschinerie, die sich nur mit der Existenz eines "inneren Feindes" am Leben erhalten kann, hat mächtige Freunde. Nicht nur Generäle drücken ihre Skepsis gegenüber einem Friedensschluss aus, sondern auch die politische Rechte um Ex-Staatschef Álvaro Uribe mobilisiert gegen das Schlussabkommen. Es paaren sich Rationalismus (lukrative Geschäfte) und Irrationalismus (Antikommunismus) zu einer gefährlichen Mischung.
Drittens kommt es weiterhin Tag für Tag zu Morden an unbewaffneten Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für die Verbesserung der gesellschaftlichen Situation einsetzen – in einem Land, in dem die besitzende Klasse niemals etwas ohne Druck abgetreten hat. Frieden ist unter diesen Bedingungen nicht vorstellbar.
Deshalb ist ein Friedensschluss mit den FARC nicht alles – die Gründe für den Aufstand gilt es zu beseitigen, und da bleibt die Regierung am Zug.
Immerhin sind die Großgrundbesitzer – die mit der Bewaffnung von Todesschwadronen bei diversen "Friedensschlüssen" in der Vergangenheit jeweils in deren Folge die dann unbewaffneten Aufständischen massakrieren ließen – einigermaßen ruhig, denn die bisherigen Beschlüsse des Abkommens sehen hinsichtlich des Grundbesitzes weniger vor als das, wofür die kommunistisch orientierten FARC vor über fünfzig Jahren angetreten waren.
Dennoch sind die FARC moralische Sieger dieses Unentschiedens, wenn man berücksichtigt, dass die verbliebenen Guerillas Kolumbiens nach dem Abtreten ihrer Pendants in Mittelamerika vor einem Vierteljahrhundert einem immensen Druck seitens der USA de facto allein gegenüber gestanden haben: Der bis in die Achtzigerjahre in den Metropolen übliche "antiimperialistische Widerstand" hat sich aufgelöst und ideologisch ist die Option Sozialismus weltweit in die Defensive geraten. Und selbst in Lateinamerika, das von vielen als Triebfeder des sozialen Fortschritts in der Welt angesehen wird, gab es gerade wegen einer scheinbar möglichen linken "Machtübernahme" durch Wahlen öffentliche Vorbehalte und nur noch hinter vorgehaltener Hand Sympathie für die bewaffnete Revolution.
Für Kolumbiens geplagte Landbevölkerung ist jedenfalls ein großes Ziel wahr geworden: ein unbefristeter Waffenstillstand nicht nur durch die FARC, sondern auch durch das kolumbianische Heer. In den nächsten Monaten sollen die FARC, die sich in eine unbewaffnete Bewegung verwandeln werden, unter internationaler Beobachtung ihre Waffen abgeben; daraus sollen drei Stahlmonumente als Symbole für ein neues Kolumbien entstehen.
Und das staatliche Heer? Davon, ob es zu einer deutlichen Verkleinerung des zweitgrößten Militärapparates Lateinamerikas kommt, hängt ab, wie sich die Entwicklung hin zu einem "Frieden mit gesellschaftlicher Gerechtigkeit", der für Kolumbien so notwendig ist, vollziehen wird.
Kuba trug dazu bei: Fidel Castro kann nach manchen Meinungsverschiedenheiten mit den FARC nun auf eine Konfliktlösung in Kolumbien schauen, nachdem er die Guerillas aus El Salvador und Guatemala Anfang der Neunzigerjahre zu einer Beendigung ihrer Aufstände bewegt hatte. Dort blieben die extremen Ungleichheiten, und der Bürgerkrieg wurde vom Bandenkrieg abgelöst. Kolumbiens Gesellschaft steht nun vor der schwierigen Herausforderung, das zu verhindern.
Die Vereinbarung – und das bleibt bei aller Skepsis der Sieg des aufständischen Volkes – ist zustande gekommen, weil die FARC nicht besiegt werden konnten. Die Lüge der Herrschenden, die 220. 000 Menschen das Leben kostete, ist offenkundig: Die FARC waren nie der Grund für den Krieg. Sie waren und sind die Antwort darauf.