Mit »Sehnsucht Kuba« hat Arne Retzlaff ein Buch mit Alltagsbeschreibungen Kubas an der Schwelle großer Veränderungen vorgelegt. Seine Frage ist: Was wird bleiben vom mutigen Kampf Kubas um seine eigene Identität?
Er selbst sieht das Buch als eine Liebeserklärung an dieses Land und seine Menschen.
Wer das unterhaltsam geschriebene Buch liest, erfährt viele lebendige Details aus dem kubanischen Alltagsleben, in das der Autor mit seiner Familie ein ganzes Jahr lang eintauchte. Dieses spielte sich vor allem in der Kleinstadt Manzanillo ab, das macht es natürlich gerade auch interessant für jene, die bisher eher Havanna und die touristischen Zentren kennengelernt haben. Die meist kurz gehaltenen, themenorientierten Kapitel schildern oft Gegensätze der bundesdeutschen und der kubanischen Gesellschaft (z.B. im Konsumgüterangebot, beim Fernsehprogramm). Retzlaff vermeidet jedoch schnelle Einschätzungen und Wertungen, sondern stellt Hintergründe und Zusammenhänge dar.
Schwierigkeiten und deren Überwindung auf kubanische Art werden anschaulich geschildert, ob es sich um die Renovierung eines Hauses oder bürokratische Hürden bei der Einschulung des Kindes handelt. Sehr lebendig treten dabei die Menschen in den Vordergrund, mit denen die kleine Familie täglich zu tun hat, oder die der Autor als Regisseur für ein deutsch-kubanisches Theaterprojekt anspricht.
Eine faszinierende Theaterkultur in Kuba wird vorgestellt, mit einem Theaterfestival, bei dem die 26 besten Gruppen der Insel in 10 verschiedenen Theatern Camagüeys 86 Vorstellungen geben. Diese werden jeweils von Hunderten von Menschen begeistert besucht und diskutiert. Die Produktionen greifen die aktuellen Veränderungen in Kuba auf und setzen sich ganz unterschiedlich - durchaus auch konfrontativ – damit auseinander und die KünstlerInnen sind am Dialog mit ihrem Publikum in Foren und Diskussionsrunden interessiert.
Überhaupt ist der Jahresablauf stärker von den gemeinschaftlich begangenen Festen geprägt - seien es der 26. Juli oder andere revolutionäre Gedenktage, Silvester, Karneval im Juli oder Feste zu Ehren von Yorubagöttern, wie Yemayá am 7. September - als durch die relativ geringen klimatischen Veränderungen auf Kuba.
Viele Situationen sind aus dem Blickwinkel des Sohnes rezipiert und seine spontanen Reaktionen auf den anderen Lebensrhythmus, die Nachbarschaft oder SchulkameradInnen tragen sehr zur Anschaulichkeit der kubanischen Impressionen bei.
Arne Retzlaff |
Schade nur, dass manche Passagen des Buches doch sehr von der Sprache und den Einschätzungen der deutschen bürgerlichen Presse geprägt sind. Da werden kubanische Regierungsvertreter als Machthaber bezeichnet. Oder die Aussage »Kuba hat keine Demokratie« bekräftigt, weil Kuba kein Mehrparteiensystem habe.
Dabei geht Retzlaff selbst wenige Zeilen später auf die Defizite sogenannter »freier, demokratischer Länder « wie Haiti, Honduras oder Guatemala ein, charakterisiert die vorbehaltlose Zusammenarbeit der USA mit blutigen Diktaturen wie in Argentinien und zeigt auf, dass die Bevölkerung im Westen, trotz ihrer demokratischen Wahlmöglichkeiten, keine Möglichkeit hat, Lügen, Umweltzerstörung und Kriege zu verhindern oder die krasse Umverteilung des Reichtums hin zu einer kleinen Oberschicht zu stoppen.
Auch die bedrohliche Rolle, die die USA trotz der und auch durch die jüngsten Annäherungsschritte für Kuba spielen, wird an mehreren Stellen sehr klar herausgearbeitet. Dass dies von den meisten kubanischen GesprächspartnerInnen Retzlaffs genau so erkannt wird, sollte auch für eine gewisse Beruhigung der Besorgnisse manch hiesiger Linker sorgen.
Insgesamt ist das Buch überaus lesenswert. Die Alltagsschilderungen sind frisch und vielfältig, es sind zu manchen Themen kurzgefasste Darstellungen der kubanischen Geschichte integriert. Vor allem aber drücken die Texte immer wieder eine tief empfundene Sympathie mit dem kubanischen Volk und seinen Leistungen aus.
Marianne Schweinesbein
CUBA LIBRE 3-2016