Vereint sind wir stärker

Auf ihrem VII. Parteitag im April ziehen Kubas Kommunisten Bilanz und entwickeln ihren Sozialismus weiter. Die Theorie von Marx, Engels, Lenin und José Martí bleibt ihre Grundlage. Ein Gespräch mit Alpidio Alonso Grau.

Alpidio Alonso Grau

Alpidio Alonso Grau, Foto: Gabriele Senft


Alpidio Alonso Grau ist Dichter und Schriftsteller, Abgeordneter der kubanischen Nationalversammlung und Funktionär der Abteilung für Ideologie beim ZK der Kommunistischen Partei Kubas. Am 9. Januar war er Gast der von der Tageszeitung »junge Welt« veranstalteten XXI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin.

Im April findet der VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas statt. Wie erlebt die Bevölkerung die Vorbereitungen zu diesem Kongress?

Der Parteitag wird ein sehr wichtiger Kongress werden, und ich würde sogar sagen: Er ist jetzt schon ein sehr wichtiger Kongress. Praktisch hat der Parteitag schon vor einiger Zeit begonnen, denn zu ihm gehört nicht nur die Versammlung der Delegierten, sondern auch der gesamte Vorbereitungs- und Diskussionsprozess in seinem Vorfeld. Ganz wichtige Debatten werden an der Basis und in den Kommunal- und Provinzversammlungen der Partei geführt.



Es ist ein Kongress, der eine Bilanz des gesamten Prozesses zur Aktualisierung des kubanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zieht. Daran beteiligen sich die Mitglieder mit ihren Erfahrungen, ihren Eindrücken, ihrer Kritik. Ich glaube deshalb, dass der Parteitag eine tiefgreifende und objektive Analyse der Situation bewältigen kann, die wir derzeit in Kuba erleben. Durch diese umfassende Diskussion wird der Kongress auch in der Lage sein, Fehler zu korrigieren, die wir begangen haben könnten. Die Entwicklung des Prozesses der Aktualisierung und die Umsetzung der Richtlinien werden einer der Schwerpunkte des Kongresses sein.

Zudem wird er die theoretische Konzeption des kubanischen Sozialismus diskutieren. Das ist ein Dokument, in dem auf wenigen Seiten zusammengefasst wird, welchen Sozialismus wir Kubaner aufbauen wollen. Es ist ein Text, der im gleichen Geist wie die Richtlinien zur Aktualisierung des kubanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells verfasst wurde, die vom letzten Parteitag verabschiedet wurden. Seine Ausarbeitung hat viel Zeit in Anspruch genommen, denn er wurde vielen Diskussionen unterworfen, und wird deshalb meines Erachtens nach ein sehr wichtiges Dokument sein. Dieses Papier definiert für die Gegenwart und die nähere Zukunft die Linie des Aufbaus des Sozialismus in Kuba. Es wird Bedeutung haben für die gesamte Gesellschaft und für viele Menschen auf der Welt, die die gegenwärtigen Veränderungen in Kuba beobachten und wissen wollen, in welche Richtung sich Kuba entwickelt.

Wie definiert dieses Papier die Grundlagen des kubanischen Sozialismus?

Kuba strebt einen Sozialismus an, der wohlhabend und nachhaltig ist sowie den Bedingungen und Möglichkeiten unseres Landes entspricht. Das gilt sowohl für die wirtschaftliche und finanzielle Lage als natürlich auch für die internationale Situation, die uns ebenfalls beeinflusst. Wir wollen eine Gesellschaft aufbauen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und mehr und mehr in allen Entscheidungen die Hauptrolle einnimmt. Die wirtschaftliche und materielle Entwicklung darf nicht von der kulturellen Entwicklung losgelöst sein. Unser Sozialismus versteht die Lebensbedingungen nicht nur in ihrem wirtschaftlichen, sondern auch in ihrem kulturellen Sinn. Es ist ein Sozialismus, der von der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität als unabdingbarer Voraussetzung ausgeht. Ein Sozialismus, der – wie José Carlos Mariátegui sagte – weder Nachahmung noch Kopie von irgendetwas anderem, sondern die heldenhafte Schöpfung von uns selbst sein will. Essentiell ist für diesen Sozialismus also die Verteidigung der eigenen Erfahrungen und Errungenschaften der Kubanischen Revolution. Dieser Sozialismus ist Teil der heutigen Welt.

Sie haben José Carlos Mariátegui (1894 – 1930) angesprochen, der als erster Marxist Perus gilt. Vor einigen Monaten veröffentlichte Fidel Castro einen Artikel über »Unser Recht, Marxisten-Leninisten zu sein«. Behalten die Klassiker des Wissenschaftlichen Sozialismus für Kubas Kommunisten Gültigkeit?

7. Parteitag der PCC

7. Parteitag der PCC
Foto: Ismael Francisco / Cubadebate

Die Grundlage des kubanischen Sozialismus bleibt der Martianismus und bleibt der Marxismus und Leninismus. Davon weichen wir nicht ab. Wir glauben weiter an die wissenschaftlichen Ideen, die Marx, Engels und Lenin formuliert haben. Diesem Ideal bleiben wir treu, ebenso wie dem Erbe der revolutionären Denker Kubas, von denen der wichtigste José Martí ist. Dieser Sozialismus wird bereichert durch die Erfahrungen des seit mehr als 50 Jahren andauernden Prozesses der Kubanischen Revolution, durch das Denken von Fidel, von Raúl und der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Revolution. Dieser Sozialismus hat in sich zudem einen Großteil des revolutionären Denkens Lateinamerikas aufgenommen. Dieser Sozialismus verzichtet nicht auf die Modernität und ist offen für den Dialog mit den Ideen der Erneuerung in der Wissenschaft und Technik, doch seine Grundlage bleiben der Marxismus-Leninismus und das Denken von José Martí.

Welchen Einfluss haben Sozialismusvorstellungen, wie sie etwa in Südamerika entwickelt wurden, etwa in Venezuela oder Bolivien?

Kuba ist heute lateinamerikanischer als je zuvor. In den ersten Jahrzehnten der Revolution wurde Kuba lange sehr angefeindet. Die Organisation Amerikanischer Staaten, der wir zunächst angehörten, stellte den Kontinent in den Dienst der Interessen der Yankees und beteiligte sich an der Belagerung der Revolution. Mit Ausnahme Mexikos brachen alle Länder Lateinamerikas die diplomatischen Beziehungen mit Kuba ab. Es war sehr hart für die Kubaner, mit dieser Feindseligkeit leben zu müssen, die nicht nur von unserem historischen Gegner – den Vereinigten Staaten – ausging, sondern von zahlreichen Regierungen unterstützt wurde, von denen einige blutige Tyranneien waren.

Die neue Zeit, die Lateinamerika inzwischen erlebt, hat zu einer massiven Ausweitung der revolutionären Ideen geführt. Es ist ein politischer, ein ökonomischer, ein interkultureller Dialog entstanden, der unseren Kontinent sehr befruchtet. Viele der Ideen von Simón Bolívar, von José Martí, von Sandino, von Che Guevara, von Fidel werden heute Realität. Dinge, die früher nicht erreicht werden konnten, werden heute vorangetrieben, weil Revolutionäre an der Regierung sind.

Es gibt jedoch eine Gegenoffensive des Imperialismus, um die revolutionären Regierungen zu stürzen. Diese Gegenoffensive wird von der internationalen Rechten und den nationalen Oligarchien unterstützt. Wir prangern das an, denn das eigentliche Ziel dieser Gegenoffensive ist, Lateinamerika in frühere Zeiten zurückzuwerfen. Mit dem Sturz dieser Regierungen soll alles zerstört werden, was zur Integration der Region erreicht worden ist. Sie wollen die CELAC (Lateinamerikanische und Karibische Staatengemeinschaft) zerstören, sie wollen die ALBA (Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas) zerstören, sie wollen die UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen) zerstören, sie wollen Petrocaribe zerstören, sie wollen die Caricom (Gemeinschaft der Karibikstaaten) zerstören.

Lateinamerika ist heute stärker und damit unabhängiger als je zuvor. Lateinamerika hat heute erreicht, was es seit den Zeiten von Christoph Kolumbus nie erreichen konnte: zusammenzukommen, sich ohne die Vereinigten Staaten zu treffen, ohne den Einfluss der Metropole zusammenzuarbeiten. Weil wir heute vereinter sind, wird Lateinamerika heute sehr viel mehr zugehört. Aber all das ist im Visier der Vereinigten Staaten und soll zerstört werden. Was heute in Venezuela passiert, geschieht nicht unabhängig vom nordamerikanischen Imperialismus. Die Angriffe auf Nicolás Maduro und die Niederlage bei den Wahlen im Dezember können nicht verstanden werden ohne die Destabilisierungspolitik der USA gegen Venezuela. Die Vereinigten Staaten stehen auch nicht außerhalb dessen, was in Argentinien passiert ist, was in Bolivien versucht wird, was in Brasilien gegen die Regierung von Dilma Rousseff betrieben wird. Es gibt eine von den USA und den nationalen Oligarchien geführte internationale Verschwörung der Rechten und vor allem ihrer Medienkonzerne, um die revolutionären Regierungen des Kontinents zu dämonisieren, sie zu destabilisieren und zu stürzen.

7. Parteitag der PCC

7. Parteitag der PCC
Foto: Ismael Francisco / Cubadebate


Weil wir vereint sehr viel stärker sind, arbeitet Kuba dafür, die Einheit der Völker unserer Region weiter zu stärken. Das internationale Hauptaugenmerk der Kubanischen Revolution richtet sich immer auf Lateinamerika. Darauf stützen wir unsere Hoffnung, und wir sehen die Zukunft unseres Landes nicht isoliert von den anderen Ländern der Region. Wir verbinden die Entwicklung Kubas mit der wirtschaftlichen und politischen Integration der Länder Lateinamerikas. Voraussetzung für die Niederlage der Ideen des Imperialismus ist die Stärkung der Integration Lateinamerikas und die Stärkung der Einheit der Revolutionäre.


CUBA LIBRE Das Interview führte André Scheer

CUBA LIBRE 2-2016