Lernen, stufauf, stufab

Die Neuangekommenen des Proyecto Tamara Bunke machen ihre ersten Erfahrungen auf Kuba.

Bleibt Kuba noch Kuba? Lässt sich die kubanische Jugend von den Versuchungen und vermeintlichen Freiheiten aus den USA überwältigen? Wie lange gibt es noch Kaffee für einen kubanischen Peso in der »Casa del Huevo«?

Die Praxis gilt bekanntlich als ein probates Kriterium für die Wahrheit. In Kuba Urlaub machen kann jeder, insofern man über das nötige Kleingeld verfügt. In Kuba leben, das ist die Probe aufs Exempel, und sei es nur für einige Monate. Das haben sich auch sieben junge Frauen und Männer gedacht, die im Rahmen des Proyecto Tamara Bunke seit September in Kuba leben und lernen.

Besagtes Proyecto bietet in Zusammenarbeit mit der technischen Hochschule von Havanna, der CUJAE, jungen Menschen die Möglichkeit, Kuba hautnah zu erleben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer belegen dabei Kurse an der CUJAE, für die in der Regel keine spezielle Vorkenntnisse vorausgesetzt werden. Erste Lernpriorität hat dabei der Spanischkurs, ebenfalls von der CUJAE angeboten. Die Kursgebühren sind moderat, dafür wird aber ein ehrenamtliches Engagement nach Unterrichtsschluss vorausgesetzt. In der Regel sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam im Studentenwohnheim untergebracht. Mindestens einmal wöchentlich trifft sich die Gruppe, um ihre Eindrücke auszutauschen und Aktivitäten vorzubereiten. Dabei werden auch die Beiträge für den gemeinsamen Blog (http://berichteaushavanna.wordpress.com) abgestimmt, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Erfahrungen in Kuba reflektieren.

Seit dem Sommer 2015 unterstützt die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba das Projekt finanziell und organisatorisch, welches in der Hauptsache mittlerweile von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) verantwortet wird. Julián Gutiérrez, an der CUJAE verantwortlich für die Betreuung der zahlreichen ausländischen Studierenden, zeigte sich sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit den muchachos alemanes, wie er sie nennt. »Jedes Mal, wenn ich erlebe, wie die muchachos Dinge in Kuba entdecken, die ihnen aus ihrer Heimat nicht vertraut waren wie die Solidarität und die Uneigennützigkeit der Leute im täglichen Umgang, dann weiß ich, warum wir dieses Projekt auf die Beine gestellt haben«, sagt er. Die Herausforderung, so Julian, liege darin, »zu begreifen, warum die Kubaner anders miteinander umgehen. « Dabei legt er großen Wert darauf, die entscheidende Rolle der sozialistischen Gesellschaftsform für die Entwicklungsmöglichkeiten der Persönlichkeit und der Beziehungen der Menschen untereinander zu unterstreichen. Nicht ohne Rührung berichtet er von einem Dialog mit einer Teilnehmerin, die sich an dessen Schluss erkundigte, ob es wahr sei, dass er, Julián, nach Afrika gegangen sei, um dort die Werte der kubanischen Revolution zu verteidigen. Als Julián bejahte, umarmte ihn die junge Deutsche: »Danke dafür!« Während er mir diese Geschichte erzählt, ist der alte Haudegen sichtlich gerührt.

Projekt Tamara Bunke

Foto: cubadebate



Das Proyecto Tamara Bunke schafft zweifellos Begegnungen. Wie immer ist der Anfang, was die spanische Sprache angeht, auch bei dieser Gruppe schwer. Wenn es nur das Spanische an sich wäre – die Kubaner sprechen es zudem auch noch fast konsonantenfrei aus! Gerade deshalb erstaunt die Kommunikativität der Gruppe. Es ist zweifellos unbehaglich, die Landessprache zunächst nur kauderwelschend zu beherrschen. Von Zurückhaltung ist jedoch wenig zu spüren, die Wissbegierde ist stärker.




Als wir uns ein paar Tage später auf einem Fest wieder treffen, belagern die muchachos meine kubanischen Freundinnen und bombardieren sie mit Fragen. Wieso sind sie damals in die Berge gegangen? Was verstehen die Kubaner unter den viel zitierten Prinzipien der Revolution? Wie schütteln die kubanischen Frauen aufdringliche Verehrer ab? Eine Freundin lacht: »Wollt Ihr auf alles eine Antwort? Dann solltet Ihr bei mir zum Kaffee vorbei kommen und Zeit mitbringen!«

Überhaupt, Zeit. Vielleicht die Frage, an der sich der deutsch-kubanische Kulturschock am heißesten entzündet. In ihrem Beitrag »Wie Havanna mich entschleunigt«, beschreibt Mary auf dem Blog die Hilfsbereitschaft der Passanten, die ihr in ratlosen Momenten nicht nur den Weg erklären, sondern die Fragende gleich an ihr Ziel begleiten. Haben diese Leute nichts anderes zu tun? fragt sich Mary und kommt zu dem Schluss: In Kuba herrscht keine »Just-in-time«-Mentalität wie in Deutschland.

Proyecto Tamara Bunke

Natürlich fällt ins Auge, dass die kubanische Realität widersprüchlich, das Leben in Kuba hart ist. Auf der Suche, die Kubaner zu verstehen, hat eine andere Projektteilnehmerin, Alisa, den Mathematikprofessor Humberto einen Tag begleitet – oder doch zumindest einen typischen Tag in seinem Leben auf dem Blog nachvollziehbar gemacht. Man spürt zwischen den Zeilen, wie schwer es zu verstehen fällt, wie ein Hochschullehrer mit einem Leben voller materieller Entbehrungen zufrieden sein kann. Hätte man angesichts Reis mit Bohnen zweimal täglich nicht manchmal Lust, in anderen Teilen der Welt zu leben? Humberto antwortet lakonisch: »Der Kapitalismus ist nur eine Stufe auf der Treppe unserer Geschichte«.



Kuba ist eine Universität, sagen die Kubaner. Und um das Bild von Humberto aufzugreifen: In diesen Wochen sitzen die muchachos vom Proyecto Tamara Bunke auf der Uni-Treppe. Dabei erfahren sie in Kuba auch Neues über ihr eigenes Leben in der Bundesrepublik und über Dinge, die im »Justin-time«-Land nicht zu haben sind. Wie könnte man sagen? Lernen, stufauf, stufab.

Proyecto Tamara Bunke
Die Beiträge der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer sind auf dem Blog http://berichteaushavanna.wordpress.com nachzulesen. Junge (oder auch ältere) Leute, die sich für einen Aufenthalt in Kuba interessierten können sich an berichteaushavanna@yahoo.de wenden. Der Aufenthalt an der CUJAE beginnt üblicherweise jeweils im Februar oder September.


CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 1-2016