In Kolumbien wollen Regierung und Guerilla bis März 2016 einen Friedensvertrag unterzeichnen. Kuba spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Historischer Händedruck: Kolumbiens Präsident Santos (li.) und Timeon Jiménez, Oberbefehlshaber der FARC |
Wird 2016 das Jahr, in dem nach mehr als einem halben Jahrhundert der unendliche Bürgerkrieg in Kolumbien zu Ende geht? In Havanna kündigten die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und die kolumbianische Regierung im September an, bis März die seit 2012 laufenden Verhandlungen beendet haben zu wollen, um dann mit einem Friedensvertrag zumindest dieses Kapitel der Auseinandersetzung beenden zu können. Denn auch ein Frieden zwischen den FARC und der Regierung wäre noch kein Ende des Krieges. Dafür müsste es zumindest noch ein ähnliches Abkommen mit der zweitgrößten Guerillaorganisation, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN), geben. Zum anderen müsste Bogotá sicherstellen, dass nicht wieder ultrarechte Paramilitärs und Drogenbanden die Opposition dazu zwingen, zu den Waffen zu greifen.
Schon als im August 2012 der Beginn von offiziellen Verhandlungen zwischen Bogotá und den FARC angekündigt wurde, war das eine Sensation. Möglich gemacht hatten das in monatelangen Geheimgesprächen die als Vermittler auftretenden Regierungen Kubas und Norwegens. Hinzu kamen die Regierungen Chiles und Venezuelas, die mit logistischer Hilfe die Suche nach einer politischen Lösung unterstützen sollten. Diese vier Länder spielten auch in den folgenden Jahren eine entscheidende Rolle, denn immer wieder stand der Friedensprozess auf der Kippe. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, selbst verantwortlich für Kriegsverbrechen und den völkerrechtswidrigen Angriff auf ecuadorianisches Staatsgebiet 2008, wurde von der politischen Rechten seines Landes heftig attackiert. Vor allem sein Amtsvorgänger álvaro Uribe zeigte sich als wutschäumender Gegner jeder Aussöhnung. Doch auch Santos selbst blieb widersprüchlich. Während in Havanna seine Unterhändler mit den Vertretern der Guerilla diskutierten, attackierte Kolumbiens Armee weiterhin Stellungen der FARC. Eine Waffenruhe lehnte Bogotá immer wieder ab – und verhinderte so, dass zwischen beiden Seiten tatsächlich Vertrauen entstehen konnte.
Es ist kein Zufall, dass Havanna seit November 2012 Schauplatz der Verhandlungen ist. Zum einen sind die Bedingungen hier gut – beide Seiten können ungestört tagen. Und politisch gibt es keinen Ort, der für beide Seiten so akzeptabel sein könnte. Denn während Kuba und Kolumbien bilateral und im Rahmen der regionalen Staatenverbände inzwischen souveräne diplomatische Beziehungen pflegen, gibt es seit Jahrzehnten auch enge Kontakte zwischen Kolumbiens Guerilla und der kubanischen Führung. Sie reichen zurück bis in die ersten Jahre nach dem Sieg über die Batista-Diktatur. Damals, 1959, dauerte der Krieg in Kolumbien schon mehr als ein Jahrzehnt. Ausgelöst worden war die Gewalt 1948 durch die Ermordung des linksliberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán. Die Empörung über das Verbrechen an dem Hoffnungsträger für eine sozial gerechtere Zukunft entlud sich in tagelangen Straßenschlachten, die als »Bogotazo« in die Geschichte eingingen. Ein Augenzeuge der Ereignisse war der spätere kubanische Comandante Fidel Castro, der damals an einem lateinamerikanischen Studentenkongress in der kolumbianischen Hauptstadt teilnahm.
Aus der spontanen Gewalt entwickelte sich organisierter Widerstand, zunächst liberaler Gruppen, die zu den Waffen griffen. Parallel begannen auch arme Bauern, sich gewaltsam gegen den Terror der Großgrundbesitzer zu wehren. Einer dieser Bauern, der sich in den 50er Jahren dann einer kommunistischen Selbstverteidigungsstruktur anschloss, war Pedro Antonio Marín Rodriguez. Er wurde später unter dem Namen Manuel Marulanda Vélez der oberste Comandante der 1964 entstandenen FARC. Die Organisation war lange der bewaffnete Arm der legal arbeitenden Kolumbianischen Kommunistischen Partei (PCC), bis es 1993 zu einer organisatorischen Trennung beider Organisationen kam. Im Jahr 2000 gründeten die FARC die »Klandestine Kolumbianische Kommunistische Partei« (PCCC) als politische Struktur, denn bis heute verstehen sich die FARC als marxistisch-leninistisch.
Ein schweres Jahr erlebten die FARC 2008. Zum einen gelang es der kolumbianischen Armee damals, die prominenteste Gefangene der Guerilla, die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, zu befreien. Zum anderen starb Manuel Marulanda. Fidel Castro würdigte ihn in seiner Reflexion vom 5. Juli 1998. Zwar sparte er in seinem Text nicht mit Kritik an der Guerilla und forderte sie auf, die noch verbliebenen Gefangenen dem Roten Kreuz zu übergeben. Andererseits unterstrich er jedoch: »Ich lege niemandem nahe, die Waffen niederzulegen. Diejenigen, die dies in den letzten 50 Jahren getan haben, haben den Frieden nicht überlebt.«
Damit erinnerte Fidel vor allem daran, dass es Ende der 80er Jahre schon einmal ein Abkommen zwischen Bogotá und den FARC gegeben hatte. Diese gaben den bewaffneten Kampf auf und gründeten eine legale Partei, die Patriotische Union (UP). Doch die UP wurde von Todesschwadronen des Militärs, der Drogenmafia und den Großgrundbesitzer angegriffen. Mehr als 5.000 Mitglieder der Partei wurden ermordet. Als das kolumbianische Militär dann auch noch direkt die Zentrale der FARC im Dschungel attackierte, kündigte die Guerilla den Friedensvertrag auf und kehrte zum bewaffneten Kampf zurück.
Comandante Laura Villa (li.) und Andrés Paris (re.), Mitglieder der Delegation der FARC |
Diese bitteren Erfahrungen machen heute den Abschluss eines Friedensabkommens zwischen dem Staat und den Aufständischen so schwierig. Um sicherzustellen, dass sich der schmutzige Krieg gegen die UP nicht wiederholt, schlossen die FARC und die Regierung unter anderem ein Abkommen, das die legalen Aktivitäten der politischen Linken in Kolumbien sicherstellen soll. Das letzte Abkommen, das im September vorgestellt wurde, sieht zudem die juristische Aufarbeitung des Bürgerkriegs durch eine Sonderjustiz vor, die auch von ausländischen Juristen unterstützt werden soll. Dabei geht es nicht nur um Gesetzesverstöße der Guerilla, sondern ausdrücklich auch um Kriegsverbrechen des Regimes und des Militärs.
Es war historisch, als sich aus diesem Anlass Ende September in Havanna Präsident Santos und der derzeitige Oberbefehlshaber der FARC, Timoleón Jiménez (»Timochenko«, eigentlich Rodrigo Londoño Echeverri), die Hand reichten – und Kubas Präsident Raúl Castro seine Hand darauf legte. Doch die FARC haben ihre Lektion gelernt: In den gemeinsamen Ankündigungen ist zwar die Rede davon, dass sie zwei Monate nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens die Waffen niederlegen werden, nicht die Rede ist aber davon, dass sie diese abgeben würden.
André Scheer
CUBA LIBRE 1-2016