Jetzt war er also in Kuba, der erste lateinamerikanische Papst der Geschichte.
Er war der dritte Papst, der die Insel besuchte. Kuba scheint eine besondere Anziehung auf Päpste auszuüben, denn kein Land Lateinamerikas hatte drei Päpste zu Besuch – außer Brasilien. Aber das zählt nicht wirklich, da Papst Franziskus dort im Jahr 2013 den katholischen Weltjugendtag besuchte, eine Veranstaltung, die traditionsgemäß einen päpstlichen Besuch nach sich zieht.
Foto: Roberto Suárez. Juventud Rebelde |
Was diese Faszination Kubas für Päpste ausmacht, darüber darf man spekulieren. Die Anzahl der katholischen Gläubigen kann es nicht sein, denn jedes andere Land Lateinamerikas hat mehr aufzuweisen. Vielleicht ist ja das Prickelnde an einem solchen Besuch, auf dem Platz der Revolution in Havanna umgeben von Che, Camilo und José Martí eine Messe abzuhalten. Vielleicht wollten sie aber auch nur den Kubanern zu ein paar christlichen freien Tagen verhelfen. Nachdem uns aber die zwei Vorgänger Weihnachten und den Karfreitag beschert hatten, blieb der jetzige Besuch auf dem Gebiet ohne Folgen.
Was immer die Gründe sein mögen, die kubanische Führung jedenfalls misst diesen Besuchen große politische Bedeutung bei. Zwar wurde dieses Mal nicht offiziell dazu aufgerufen, die Papstmessen zu besuchen. Aber in den staatlichen Betrieben wurden die Mitarbeiter im Rahmen eines gemütlichen betrieblichen Beisammensein gebeten, wenn möglich doch eine der Messen zu besuchen und auch die Mitglieder der Kommunistischen Partei wurden dazu angehalten. Dieses Ansinnen traf aber nicht auf ungeteilte Zustimmung. Aleida Guevara, eine der Töchter Che Guevaras, machte jedenfalls deutlich, dass sie zu keiner Messe gehen werde, weil sie es für eine Heuchelei hielte. Auch wenn der kubanische Präsident Raúl Castro, wie bei seinem Besuch im Vatikan versprochen, an allen drei Messen teilnahm, hielt sich die Begeisterung seiner Landsleute zum Messbesuch eher in Grenzen. Im Vergleich zu den Menschenansammlungen, die sich bei politischen Ereignissen auf dem Platz der Revolution einfinden, war die Beteiligung am Messbesuch hier eher verhalten. Die Medien sprachen von Tausenden Besuchern – eine Zahl, die mit den Millionen von Besuchern bei den Papstmessen in Ecuador und Bolivien im Sommer dieses Jahres nicht mithalten kann. Aber Papst Franziskus ist eben nicht Fidel.
Foto: Miguel Guzman, CUBAMINREX |
Die Kubaner sagen über sich selbst, dass sie entweder nicht ankommen oder über das Ziel hinausschießen. Bei Papstbesuchen ist sicher letzteres der Fall. Wir haben den Papst in seinem Papamobil gesehen, als wir auf dem Weg zum Arbeitsplatz vor der roten Ampel standen und er an uns vorbei zur Plaza fuhr. Er winkte den Passanten zu, aber an einem Sonntagmorgen in diesem Teil Havannas waren kaum welche zu sehen.
Die Tageszeitung Granma hatte den Ehrgeiz, jede Minute des Ereignisses in fünf Sprachen über Internet der Welt zugänglich zu machen. Warum man unbedingt glaubt, die deutsche linksgesinnte Bevölkerung, die sich möglicherweise auf der deutschen Website der Zeitung einlinkt, über die Geheimnisse der Wandlung – wenn sich Brot und Wein in Jesu Fleisch und Blut verwandeln und die Farbe der Messgewänder, die rot wird, wenn man den Namenstag eines Märtyrers begeht – aufklären zu müssen, bleibt ihr Geheimnis.
Aber dieses Engagement macht deutlich, welches politische Gewicht man dem Besuch des Papstes beimisst.
Er soll einmal mehr der Welt deutlich machen, dass es in Kuba Religionsfreiheit gibt und dass jeder das glauben kann, was er möchte. Wenn die zahlreich vertretene Presse bei den ersten beiden Papstbesuchen noch hoffte, bei den Messbesuchern käme es zu Protesten gegen die Regierung, hat man diese Wunschvorstellungen wohl inzwischen aufgegeben. Zwar sollen die Damen in Weiß einen Provokateur geschickt haben, der aber, da ihn die Schweizer Garde festgenommen und der kubanischen Polizei übergeben hat, noch nicht einmal für eine Meldung taugte.
Politisch war für Kuba die Tatsache, dass der Papst, bevor er die Vereinigten Staaten besuchte, zunächst einmal der Insel einen Besuch abstattete, von enormer Wichtigkeit. Kein Schiff, das kubanische Häfen anläuft, darf in den USA anlegen, bevor nicht sechs Monate verstrichen sind. Der Papst aber traf, bevor er nach Washington flog und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Hand schüttelte, erst einmal mit dem Comandante en Jefe Fidel Castro und dem Präsidenten Raúl Castro zusammen. Die Botschaft, die damit vermittelt wird hat hohen Symbolgehalt und wertet Kuba auf.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern pflegt Papst Franziskus einen Diskurs, mit dem sich die progressiven Regierungen Lateinamerikas identifizieren können, da er antikapitalistische Züge trägt. So hat er zum Beispiel bei seinen Bolivienbesuch im Juli dieses Jahres in Santa Cruz gesagt, dass dieses System dabei sei »möglicherweise irreversible Schäden im Ökosystem zu verursachen und die Erde, die Völker und die Menschen auf eine fast ›wilde‹ Art straft (...) Und hinter soviel Schmerz, soviel Tod und Zerstörung, riecht man das, was Basilius von Cesarea die Exkremente des Teufels genannt hat, das völlig enthemmte Streben nach dem Geld, das ist das Exkrement des Teufels (...) wenn das Kapital zu einem Götzenbild wird und das Leben der Menschen leitet. (...) Bauern ohne Land, Familien ohne Dach über dem Kopf, Arbeiter ohne Rechte, in ihrer Würde verletzte Menschen, sind die Folgen eines Systems, das sich auf der ganzen Welt verbreitet hat.«
Bei der Abschlusskundgebung beim II. Welttreffen der Volksbewegungen, an dem der Papst mit dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales teilnahm, schlug Franziskus drei Punkte vor, die verwirklicht werden müssten, um eine Veränderung zu erreichen: »Die Wirtschaft in den Dienst der Völker stellen, unsere Völker auf dem Weg des Friedens vereinen und die Mutter Erde verteidigen«. Solche Worte ließen bei den linken Regierungen und Bewegungen und den progressiven Richtungen innerhalb der katholischen Kirche den Eindruck aufkommen, man habe in diesem Papst einen Bundesgenossen gefunden.
Foto: Yenny Muñao, CUBAMINREX |
In Kuba sprach er in seinen Predigten von der Versuchung, die der Reichtum darstellt, und wandte sich gegen den Konsumismus. Er lobte die Armut und bedauerte, dass diese von der Welt nicht anerkannt werde. Wenn die materiellen Güter sich Eintritt ins Herz des Menschens verschafften, so begännen sie sein Leben zu bestimmen und er verliere es. Er hob auch die Tugend des Dienens hervor und sagte Sätze wie: »Wer nicht lebt, um zu dienen, hat es nicht verdient zu leben.«
Aber er deutete auch an, dass die katholische Kirche eine Teilnahme am Erziehungssystem wünsche und in ganz Kuba verbreitete Pressemedien. Er sprach sich gegen Ideologien aus, ganz so als ob die Religion keine Ideologie sei.
Er sprach Lobeshymnen auf das kubanische Volk aus, »ein Volk, das vorwärts geht, singt, das seine Wunden hat wie alle, das es aber versteht, mit ausgebreiteten Armen zu leben.
Es ist ein Volk, das mit Hoffnung voranschreitet, weil es die Berufung zur Größe in sich trägt, die seine berühmten Vorfahren in es eingepflanzt haben.«
Der Papst, der zwar aus Lateinamerika stammt, aber aus dem etwas europäischer geprägten Argentinien, fühlte sich inmitten der karibischen Lebensfreude Santiagos sichtlich wohl. Er ließ es zu, dass die örtlichen Regierungsmitglieder ihm auf die Schulter klopften und es fehlte nicht viel, da wären ihm die am Rand stehenden Zuschauer um den Hals gefallen. Aber Franziskus schien das Bad in der Menge, der die ehrfurchtsvolle Distanz dem Papsttum gegenüber fehlte, zu gefallen.
Dass die kubanische Presse (Zeitung, Funk und Fernsehen) ausgiebig und begeisternd über den Besuch des Papstes in ihrem Land berichtete, ist nur natürlich. Warum aber der Sender TeleSur ebenfalls die ganze Woche über stundenlang als einziges Thema nur den Papstbesuch kannte, war schon etwas befremdlich. Da saß dann als ideologischer Fachmann immer ein Geistlicher, der Franziskus wohl von der Zeit her kannte, als dieser noch kein Papst war, und gab in einem täglich fortgesetzten Interview mit der TeleSur-Chefin Religiöses zum besten, so dass man teilweise das Gefühl hatte, man sei beim Fernsehsender des Vatikans gelandet. Mit keinem Wort wurde in diesen endlos langen Sendungen erwähnt, dass Lateinamerika seine Armut, seine Unwissenheit, seine Ungleichheit und den Verlust seiner Identität der katholischen Kolonisierung und da insbesondere der durch die Jesuiten, dem Orden, dem der Papst angehört, verdankt und dass in diesem Prozess der »Evangelisierung« über 12 Millionen Indios ermordet wurden. Wo immer die katholische Kirche und die Jesuiten hinkamen, rotteten sie die originären Völker und deren Kulturen aus.
Dass dieser Papst Lateinamerikaner ist, kann doch, so sollte man meinen, nicht dazu führen, dass TeleSur völlig seinen Kompass verliert.
Aber zurück nach Kuba. Insgesamt gesehen wird der Besuch des Papstes als ein Erfolg gewertet. Die Welt hat einen gut gelaunten Papst, fröhliche Kubaner und eine entspannte politische Führung gesehen. Jeder Schritt des Papstes in der Öffentlichkeit wurde direkt übertragen. Er sagte viel Pastorales, denn sein Aufenthalt in Kuba lief ja auch unter der Bezeichnung pastoraler Besuch. Was er über Kuba, die Welt, den Sinn des Lebens etc. zum Ausdruck brachte, enthielt nichts Kontroverses. Wenn die bürgerlichen Medien im Ausland das anders interpretiert haben sollten, so ist dies falsch. Der Papst hat sich mit keinem »Dissidenten« getroffen, wohl aber mit Ordensleuten, der Jugend und jungen Familien. Auffällig war, dass er bei allen sich bietenden Gelegenheiten den Satz »Betet für mich« wiederholte. Als er die fragenden Gesichter einiger Jugendlicher erblickte und sich bewusst wurde, dass er in Kuba war, fügte er hinzu, dass wenn jemand nicht wisse, wie man betet, solle er ihm wenigstens alles Gute wünschen. Das hinterließ hier etwas den Eindruck, als ob der Papst sich bedroht fühle oder sich zumindest in einer schwierigen Lage befinde.
Warum die kubanische Regierung anlässlich des Papstbesuches mehr als 3000 Gefängnisinsassen freiließ, die wegen kleinerer Delikte einsaßen und so den Eindruck vermittelte, dass es die Kirche für eine derartige humanitäre Geste brauche, ist ein weiteres Geheimnis dieses Besuches.
Foto: Roberto Suárez. Juventud Rebelde |
Wie auch immer – allein dafür, dass der Papst sich für die Freilassung von Gerardo Hernández, Antonio Guerrero und Ramón Labañino einsetzte, hat er die überschwänglich anmutende Begeisterung verdient, die ihm Kuba zukommen ließ. Dass alle unsere Fünf wieder bei uns sind, ist ein so großes Geschenk, das auch vergessen lässt, dass man möglicherweise hier erwartet hat, dass der Papst zu bestimmten Themen eindeutiger Position bezieht. Das Thema Guantánamo kam aber in keiner seiner Predigten oder Äußerungen vor. Seine Äußerungen zum Thema Blockade waren äußerst sparsam. Seit Johannes Paul II. sich gegen das »Embargo« aussprach, sei die Haltung des Vatikans zu diesem Thema eindeutig, ließ Kardinal Ortega verlauten.
Der Papst selbst meinte sogar, dass er sich dazu nicht äußern werde, da dies Teil der Verhandlungen zwischen den Regierungen Kubas und der Vereinigten Staaten sei. Das ist eine Stellungnahme, die gänzlich der kubanischen Position widerspricht, die eindeutig besagt, dass die Blockade kein Thema von Verhandlungen sein könne, weil es sich dabei um eine einseitige völkerrechtswidrige Maßnahme der USA handele. Schließlich habe Kuba keine Blockade gegen die USA verhängt.
Zum Abschluss des Kubabesuchs hat die Zeitung Granma eine farbige Sonderausgabe zum Besuch des Papstes herausgegeben, ein Vorgeschmack auf die geplante Tageszeitung, die bald mit einem neuem Layout und ebenfalls in Farbe erscheinen soll.
Renate Fausten
CUBA LIBRE 1-2016