Die Plaza San Francisco de Asis – eines der zahlreichen Schmuckkästchen in Habana Vieja nach den Restaurierungsarbeiten unter Eusebio Leal – ist zwar schon seit geraumer Zeit ein angesagter Ort für großflächige Freiluftausstellungen (etwa für die Berliner Buddy Bears), aber als Location für Musik, die richtig laut wird, kannte ich dieses attraktive Geviert bislang noch nicht.
Am 1. August fand hier bei unerwartet erträglichen Temperaturen ein samstägliches Doppelkonzert von »Cultura Profetica«, einer Reggaeband aus Puerto Rico, und den kubanischen Beatles von »Buena Fe« statt.
Die Statue Franz von Assisis, den sich der aktuelle Papst aus Argentinien als historisch erster seiner Zunft ( ! ) zum Namengeber auserkor, blickte wohl mit nachsichtigem Lächeln auf das Gewimmel von Vergnügungssüchtigen im Schatten seiner säkularisierten Kirche.
Um 20 Uhr 30 sollte es losgehen. 21 Uhr 15 wurde es schließlich, doch das ist noch gerade innerhalb des kubanischen »akademischen Viertels«.
»Cultura Profetica« kam mit 12 Musikern (Grundgütiger !), aber sie hatten, wie sie sagten, 13 Jahre lang auf die Gelegenheit gewartet, in Havanna spielen zu können, und nun sollte es sich wenigstens lohnen. Der Auftritt der Band wurde von einer puertoricanischen Bank gesponsert, die auch dafür sorgte, dass das Konzert der »Boricua«-Formation von einem Fernsehsender für die Fans zu Hause aufgezeichnet wurde.
Was ihren Reggae anging, war es ein weiter Weg zwischen den ersten, eher in der akustischen Ursprünglichkeit von Folklore wurzelnden Klängen eines Bob Marley oder Peter Tosh und dem, was diese – zugegebenermaßen nichtjamaikanische – Gruppe zu Gehör brachte. Besonders der Drum Sound kam zu raumgreifend und – wie mir schien – artifiziell aufbereitet rüber. Warum man, wenn man ein richtiges Schlagzeug benutzt, es klanglich so modifiziert, dass es sich wie ein gesampeltes anhört, wird wohl das Geheimnis der Band bleiben.
Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: »Cultura Profetica« war sehr, sehr gut ! Absolute Professionalität, würdig eines Auftritts im Herzen Havannas. Allein die drei Bläser und vor allem der Trompeter! Als er bei einem längeren Stück ein Solo hatte, improvisierte er nicht zum Thema, sondern streute eine völlig neue Melodieführung auf den Perkussionsteppich – gewissermaßen einen Song im Song – bevor am Ende die Musiker wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrten. Das war für ein eher stereotypes Genre wie Reggae sehr experimentell und große Klasse. Dann und wann machten sie sich aber auch selber das Leben schwer, indem sie artfremde Sounds – etwa von tief fliegenden Flugzeugen oder ähnliches – integrierten, manchmal Minuten lang, oder den Blechinstrumentalisten so ungehemmten Lauf ließen, sich gegenseitig ins Wort zu fallen, dass dieses oder jenes Stück am Ende regelrecht zerfaserte. Es war wohl solchen Passagen des Konzerts geschuldet, dass das Publikum zum Schluss nicht einhelliger Meinung war, ob man eine Zugabe hören wollte oder nicht.
»Cultura Profetica« beschloss salomonisch, das Silvio-Stück »Te doy una canción«, das in der ersten Konzerthälfte schon einmal in einer gelungenen Reggaeversion gebracht worden war, ein zweites Mal zu spielen. Eine Notlösung, die vermeidbar gewesen wäre.
Für eine Irritation der wohl meisten im Publikum sorgte – nach dem Wunsch einiger Zuhörer, ein bestimmtes Stück zu hören – der Hinweis von »CP«s Bandleader Willie Rodríguez, das gehe leider nicht, da man von den kubanischen Behörden die Auflage bekommen habe, auf gerade diesen Song zu verzichten und man wolle in Kuba keine Gesetze brechen. Die Auflösung des Rätsels ergab sich am nächsten Tag beim Twittern: In besagtem Lied geht es um Marihuana, und Drogen (auch weiche ) sind in Kuba nun mal gesellschaftlich geächtet.
Der Umbau auf der Bühne zog sich, wie befürchtet, in die Länge. Hier hätte es wahrscheinlich auch eine schlauere Lösung gegeben, aber da die meisten kulturellen Events auf der Insel gratis sind, machen sich hier die wenigsten Veranstalter einen Kopf um »schlaue Lösungen«. Außerdem eilt Israel Rojas, dem Chef von »Buena Fe«, der Ruf voraus, ein Perfektionist zu sein.
Israel ist von Berufs wegen eigentlich Anwalt, aber als er 1999 in Guantanamo mit Yoel Martínez das Duo »Buena Fe« ins Leben rief, änderte sich sein Leben gründlich – spätestens seit dem ersten CD-Album »Déjame entrar« aus dem Jahre 2001, das gleich ein Riesenerfolg wurde.
Israel Rojas ist der kreative Kopf der Band. Jedes Stück stammt aus seiner Feder. Er spielt kein Instrument, singt aber (womit sehr wenig gesagt ist, denn er ist unstrittig die Frontfigur auf dem Podium). Sein Gründungspartner Yoel singt die zweite Stimme und spielt akustische Gitarre. Bereits früh kamen Musiker hinzu, die die Formation auf Gruppenstärke hochfuhren: ein E-Gitarrist, ein Bassist, ein Keyboarder und ein Schlagzeuger (also die üblichen Verdächtigen).
Cultura Profetica, Nikaragua, 2013; |
Ich erinnere mich an das erste Konzert, das Renate und ich von ihnen live miterlebten. Es fand am 28. Dezember 2003 in der Sala Avellaneda des Teatro Nacional statt und das zum überwiegenden Teil aus 14- bis 16jährigen bestehende Publikum war zwei Stunden lang wie auf Extasy. Ohrwürmer wie »Llegaré, llegaré« und »Nacimos ángeles« wurden bei diesem Konzert erst vorgestellt. Es gab sie auf Tonträger damals noch gar nicht zu kaufen. Aber alle anderen Lieder kannten die Kids auswendig. Israel und Yoel hätten das Singen ebenso gut einstellen können. Man hätte trotzdem jedes Wort verstanden. Nach dem Konzert, auf dem Nachhauseweg, das gleiche Bild, nur ohne Band. Trauben von Jugendlichen, die singend das Erlebte wiederholten. So wie wir als Halbwüchsige Lieder der Beatles wie »A hard day's night«, »Michelle« oder »Bungalow Bill« mitsangen, so sangen diese Kinder »Arsenal«, »No jueges con mi soledad« und »Fin de fiesta«. Die gleichen Identifikationsmuster. Die gleiche Begeisterung.
Inzwischen sind es neun CDs geworden, und allein mit den Top Hits daraus könnte »Buena Fe« drei komplette Auftritte füllen.
Im vergangenen Jahr sorgten sie mit einem Konzert im Miami Dade County Auditorium für Furore. 300 – 500 Exilkubaner hatten im Vorfeld jenes 18. 9. 2014 noch versucht, die Veranstaltung zu kippen. Auf einem nicht ganz unwitzigen Transparent stand zu lesen: »Vayan a cantarle a Fidel« (»Haut doch ab und singt Fidel was vor !«) Das bezog sich darauf, dass nur einen Monat vorher»Buena Fe« dem Comandante en Jefe ein Geburtstagsständchen gebracht hatte. Die Demonstranten beriefen sich auf Torricelli und auf Helms-Burton, um ein Auftrittsverbot zu erwirken, aber das Event fand statt und es war mit über tausend Besuchern fast ausverkauft. Die Leute sollen übrigens kräftig mitgesungen haben. Ob sie dies allerdings auch bei »Cuba va«, einem patriotischen, revolutionären Trova-Lied taten, das Israel und Co. die Eier hatten anzustimmen, ist nicht überliefert.
Das Konzert am 1. August. Wie das war? Es war wie immer: wunderbar! Die Zahnspangenträger von 2003 waren ungefähr 12 Jahre älter geworden und hatten ihren eigenen Nachwuchs mitgebracht. »Buena Fe« sind zwar noch nicht ganz so weit wie die Rolling Stones, bei deren Auftritten Omas und Opas gemeinsam mit ihren Enkeln auf und ab hüpfen, aber auf dem besten Wege dorthin.
Ulrich Fausten
CUBA LIBRE 4-2015