Lob von Raúl Castro, Angriffe von US-Rechten und Contras.
Foto: Ismael Francisco / cubadebate |
Nach den Besuchen von Karol Wojtyla (21. bis 25. Januar 1998) und Joseph Ratzinger (26. bis 28. März 2012) wäre eine Papstreise nach Kuba im Jahre 2015 streng genommen kein ungewöhnliches Ereignis mehr. Dennoch verdient die Visite des ersten aus Lateinamerika stammenden Pontifex Maximus auf der sozialistischen Karibikinsel (vom 19. bis 22. September) – ebenso wie der anschließende einwöchige Besuch in den USA – zu Recht das in diesem Jahr in Bezug auf Kuba von vielen Medien inflationär gebrauchte Etikett »historisch«.
Das von Fläche und Einwohnerzahl eher kleine Kuba ist neben Brasilien, dem größten und bevölkerungsreichsten Staat Südamerikas, das einzige Land der Welt, das in den letzten 17 Jahren alle drei amtierenden Päpste empfangen hat. Der in Buenos Aires geborene Jesuit mit dem bürgerlichen Namen Jorge Mario Bergoglio, ein Landsmann des in Kuba verehrten Argentiniers Che Guevara, hat hinter den Kulissen maßgeblich an dem Austausch von auf der Insel inhaftierten US-Spionen gegen die drei in den USA noch bis Dezember 2014 festgehaltenen Mitglieder der Aufklärergruppe »Cuban Five« mitgewirkt. Raúl Castro wie Barack Obama haben ihm mehrfach für seine hilfreiche Rolle bei den vertraulichen Gesprächen zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern gedankt. Dazu passend und wohlüberlegt war auch die Reiseplanung der Vatikan-Diplomaten, nach der zuerst Havanna, Holguín und Santiago de Cuba, dann Washington, New York, Philadelphia auf dem Programm standen. Als einer der politischen Höhepunkte war von Anfang an die erste Rede eines Papstes vor dem Kongress der Vereinigten Staaten am 24. September eingeplant.
Seine Popularität in Kuba verdankt der erste Papst mit derselben Muttersprache wie die dortige Bevölkerung nicht nur seiner Herkunft, seiner Freundschaft mit dem angesehenen, katholischen Stadthistoriker von Havanna, Eusebio Leal, und seinem glaubwürdigen Engagement gegen die US-Blockade, sondern auch den anerkennenden Worte des kubanischen Präsidenten Raúl Castro nach dessen Vatikan-Besuch am 10. Mai. Das kubanische Außenministerium (Minrex) – auch das ist ein Novum – hatte schon Wochen vor dem Besuch des Papstes eine ständig aktualisierte Homepage (http://papafranciscoencuba.cubaminrex.cu/) mit allen Details der Reise eingerichtet.
Problematisches Verhältnis
Die Beziehungen Kubas zum Vatikan bestehen seit 1898, waren jedoch problematisch. Den Metzeleien der sich zum Katholizismus bekennenden spanischen Eroberer an den indianischen Ureinwohnern und den entwürdigenden Peinigungen der aus Afrika geraubten Sklaven im Namen der Kirche, folgte die Komplizenschaft vieler klerikaler Würdenträger mit der Oberschicht und verschiedenen, von den USA abhängigen Diktatoren. Während und nach der Revolution bekämpfte der Klerus die Guerilleros und die Repräsentanten der revolutionären Volksmacht und unterstützte zudem subversive Aktivitäten. Die von der katholischen Kirche mitinitiierte CIA-Aktion »Peter Pan« etwa brachte zwischen 1960 und 1962 rund 14.000 Kinder unter dem erfunden Vorwand außer Landes, die Kommunisten wollten sie ihren Eltern wegnehmen und ideologisch indoktrinieren.
Fidel Castros kluger Schachzug
Mit dem Auftreten linker Theologen in Lateinamerika begann sich das Verhältnis jedoch langsam zu entspannen. Auch tiefgläubige Katholiken widersprachen den Versuchen, die Revolution und ihre Anführer zu verteufeln. »Fidel Castro bekennt sich zum Atheismus. Trotzdem hat das kubanische Volk seine Würde wiedererlangt, hat zu essen, hat Wohnungen und Schulen und Ausbildung für alle«, sagte der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff und fügte hinzu, er sei der Ansicht, dass Fidel Castro »mehr den Ansprüchen des Evangeliums« entspreche, als mancher Staatsmann, der sich als Christ bezeichnet. Sein Glaubensbruder, der ebenfalls in Brasilien geborene Dominikaner Frei Betto, ging noch weiter: »Wenn das Leben Gottes Geschenk ist, dann sind die Zeichen des Reiches Gottes in keinem anderen Land Lateinamerikas so deutlich zu erkennen wie in Kuba«, erklärte Betto. Es sei »ungerecht, ein Land wie Kuba, in dem das Volk so sehr teilhat am Aufbau einer neuen Gesellschaft, als Diktatur zu bezeichnen. Die sozialistischen Länder müssen eine starke Regierung haben, um der permanenten Aggression des Kapitalismus begegnen zu können.«
Am 19. November 1996, Kuba litt nach dem Verschwinden der sozialistischen Länder Europas und der Sowjetunion unter den Folgen der Spezialperiode, reiste Fidel Castro nach Rom und wurde von Papst Johannes Paul II., den er dabei einlud, zu einer 35-Minuten Audienz empfangen. Ein diplomatischer Schachzug Castros, der auch mit Skepsis betrachtet wurde, denn schließlich hatte der polnische Papst in seiner Heimat mit für den Untergang des Sozialismus gesorgt. Auf der anderen Seite war der Comandante en Jefe davon überzeugt, dass der Vatikan ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die US-Blockade werden könnte. Wie Wojtyla war auch sein Nachfolger Ratzinger ein militanter Antikommunist, dessen Kubabesuch im Jahr 2012 jedoch nicht zur Stärkung konterrevolutionärer Kräfte führte.
Kritik am Kapitalismus
Im Gegensatz zu seinen stramm antikommunistischen Vorgängern tritt mit Franziskus erstmals ein Papst auf, der den Kapitalismus in einer Schärfe kritisiert, die bisher allenfalls von im Vatikan ausgegrenzten Vertretern der Befreiungstheologie zu hören war. In Bolivien geißelte Franziskus im Juli den Kapitalismus öffentlich als »ein erschöpftes System, das nicht mehr zu ertragen sei«, nannte die Monopole »ein Unglück«, bezeichnete das Kapital als »Mist des Teufels« und forderte die Lateinamerikaner auf, vor den »alten und neuen Formen des Kolonialismus« auf der Hut zu sein. In Rom hatte er schon im März die Ansicht vertreten, dass die Desinformation »die schlimmste Sünde der Medien« sei. Im rechtskonservativen US-Nachrichtensender »Fox News« mit Sitz in New York bezeichnete Star-Kommentator Greg Gutfeld vermutlich wegen solcher äußerungen Papst Franziskus folgerichtig – aber wenige Wochen vor dessen Ankunft in der Stadt schlecht getimt – als »gefährlichsten Mann der Welt«.
Contras schäumen
Die militanten Contras in Kuba schwanken zwischen Anbiederung und Konfrontation. So warnte die rechtslastige »Internationale Gesellschaft für Menschenrechte« (IGFM) den Vatikan allen ernstes vor »einem Bruch zwischen der katholischen Kirche und der kubanischen Oppositionsbewegung«. Grund für den Ausraster sind Äußerungen des mit Franziskus eng befreundeten Erzbischofs von Havanna, Kardinal Jaime Ortega, der im Juni in einem Interview gesagt hatte, dass es in Kuba »keine politischen Gefangenen mehr gebe, sondern nur Häftlinge, die wegen gewöhnlicher Straftaten inhaftiert« seien. IGFM-Ehrenmitglied Jorge Luis Garcia Pérez Antúnez, ein Ex-Krimineller und selbsternannter »Dissident«, lief offenbar die Galle über. Er beschimpfte den ranghöchsten Vertreter des Vatikans in Kuba in einen offenen Brief mit den Worten: »Sie mit Ihrer Feigheit und lakaischen Haltung sind ein Komplize und Teil der grausamen Tyrannei. … Hören Sie mir gut zu, lieber Herr Kardinal, Sie bereiten den Boden für einen Genozid.« Papst Franziskus wird Antúnez mit den Ausfällen vermutlich nicht beeindruckt haben, doch vielleicht reichen sie als Qualifikation für den mit 50 000 Euro dotierten Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments. über dessen Geldsegen freuen sich Antúnez peinliche Mitstreiter Berta Soler und Guillermo Fariñas noch heute.
Volker Hermsdorf
CUBA LIBRE 4-2015