An der Ecke G (identisch mit der Avenida de los Presidentes) und Einundzwanzigste steht das Internationale Presseinstitut José Martí. Wenn man den Garten des Gebäudes linkerhand durchquert, kommt man über eine schmale, verwinkelte Treppe in einen etliche Meter tiefer gelegenen Innenhof, der von der Straße aus wie ein spiegelverkehrtes L aussieht. Längs der Wände, unterhalb des Einfriedungsgitters, hat man ein paar stufenförmige Sitzreihen eingerichtet, davor noch einige Tische und Stühle. Von dort aus haben vielleicht hundert Menschen Platz, auf eine betonierte Bühne zu blicken. Dieser seltsame Ort, an dem zuweilen kleinere Trova-Konzerte stattfinden, ist despektierlich als »El hueco« (das Loch) bekannt. Eine winzige Gastronomie sorgt dafür, dass der Mojito in Strömen fließt. Und daran tut sie gut, denn da »El hueco« ein ganzes Stück unter Straßenniveau liegt, befindet es sich auch in einem Windloch. Will sagen: Hier bewegt sich kein Grashalm.
»El Hueco«; Foto: Renate Fausten |
Iroel Sánchez gilt in Kubas Journalistenszene als ein Typ mit Ecken und Kanten, den man nicht unbedingt mögen muss. Aber er macht gute Sachen. Seine Website »La pupila insomne« (Die schlaflose Pupille) sucht unermüdlich nach gedruckten und audiovisuellen Beiträgen, mit denen sich notorische Anti-Kuba-Kampagnen in ihrer Einfalt selbst unmöglich machen. Der leicht abgewandelte Titel seines jüngsten Projekts »La pupila asombrada« (Die erstaunte Pupille) ist Zitat aus einem Lied von Silvio Rodríguez. So heißt das Programm, das nun gleichsam aus dem Computer heraus ins Leben getreten ist. Iroel Sánchez moderiert die Veranstaltung, die seit noch nicht allzu langer Zeit an jedem ersten Freitag des Monats vor meist proppenvoller Kulisse in »El hueco« inszeniert wird – mit einem Riesenbildschirm, illustren Gästen (die Fünf waren auch schon da) und Live-Musik.
Provokation vor dem Gipfel
Am 8. Mai ging es im politischen Teil des Abends um eine Nachlese zum sogenannten »Gipfel der Völker«, der im April im Vorfeld des Amerika-Gipfels in Panama stattfand. Es wurde die erwartete Show, mit der die Vereinigten Staaten eine Art Gegengewicht zu der für sie bitteren Tatsache schaffen wollten, dass sie eine Teilnahme Kubas am eigentlichen Gipfel erstmalig nicht hatten verhindern können. Um die ungeliebte Karibikinsel als Diktatur vorzuführen, hatten die USA jede Menge »Zivilgesellschaft« aufgeboten, überwiegend aus den Reihen der Miami-Mischpoke, aber auch viele konservative Medien begleiteten das Event. Als besonderes »Schmankerl« hatte man Felix Rodríguez anreisen lassen, den Mörder Che Guevaras, dessen Akkreditierung überhaupt kein Problem war, während sie dem kubanischen Präsidentenberater und ehemaligen Kulturminister Abel Prieto – zunächst – verweigert wurde. Wenn man sagt, dass die USA bei dem inszenierten Spektakel des »Gipfels der Völker« in Panama ein Heimspiel hatten, so ist das noch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Die aus Kuba angereiste »Zivilgesellschaft« wurde übrigens nicht als solche anerkannt, weil der »freie Westen« beschlossen hat, dass eine »Zivilgesellschaft« per definitionem zur Regierung ihrer Heimat in Dissidenz stehen müsse. Also z. B. Wie die Leute, die in Baltimore Polizeiautos in Brand stecken, weil es sie erbost, dass irgendwelche Uniformierte ihre farbigen Mitbürger umbringen, wenn ihnen danach ist (wie auf einem bei der Veranstaltung in Havanna vorgeführten Amateurvideo konturenscharf zu sehen war). Nein? So ist das gar nicht gemeint? Ja, wie denn dann?
Elier Ramirez (mi.), Iroel Sanchez (re.); Foto: Renate Fausten |
Zwei Sorten Zivilgesellschaft
Es kam in Panama wenige Tage vor dem berühmten Händedruck zwischen Raúl und Obama zu erbitterten Scharmützeln von Sprechchören und Gegensprechchören und zuweilen flogen auch die Fäuste. Zwei Delegierte der »falschen«, nämlich kubanischen »Zivilgesellschaft« waren im »hueco« zu Gast und erzählten von ihren Erfahrungen. Es sei ihnen fast unmöglich gewesen, in Gremien hineinzukommen und die Medien hätten sich nur für die andere Seite interessiert, wodurch für die Öffentlichkeit der völlig irrige Eindruck entstanden sei, eine andere Haltung als die der Exilkubaner habe es in Panama zu Kuba gar nicht gegeben. Einmal, so berichteten sie, sei ihnen ein Coup geglückt, als eine unbedarfte Interviewerin eines kolumbianischen Senders Elier Ramirez gefragt habe, woher er käme. Die Antwort »Von der Stiftung Hermanos Saíz« interpretierte sie falsch. Sie musste die verhasste Linke drei Minuten reden lassen, denn das Fernsehinterview wurde live gesendet.
Die kolumbianischen Zuschauer werden sich gewundert haben, dass ihrem Bildschirm als Unterzeile »kubanischer Dissident« zu lesen war. Diese Episode löste natürlich beim Publikum im »hueco« Heiterkeit aus. Aber insgesamt war der »Gipfel der Völker« für die kubanische Delegation alles andere als lustig. So wurde die Tochter eines der beiden Piloten, der bei der Sprengung der »Cubana de Aviación«-Maschine 1976 ums Leben gekommen waren, von den Gesinnungsgenossen Luis Posada Carriles' bei einem Treffen der »Zivilgesellschaft« beschimpft und hinausgeworfen. (Auch hiervon gibt es einen ausführlichen Video-Mittschnitt). Eine US-Kollegin, die für die Granma Internacional arbeitet, war als Delegierte in Panama. Sie berichtete nach ihrer Rückkehr, sich der ganzen Anfeindungen zu erwehren, sei Schwerstarbeit gewesen.
Was auf dem Bildschirm zu sehen war, kann man sich übrigens auf sein Handy laden, um es möglichst weit zu verbreiten. Iroel Sánchez gab dazu die entsprechenden Daten heraus. Insbesondere die jungen Leute im Publikum, deren Anteil erfreulich hoch war, zeigte großes Interesse.
Ausklang mit Irritationen
Roly Berrio ist als Musiker schon eine Weile unterwegs. Man kennt ihn als Schöpfer komischer Songs wie »La cucaracha« (die Kakerlake) oder »La jicotea« (die Schildkröte), über die man wirklich lachen kann. Soweit kein Problem. Das Problem bei ihm ist vielmehr, dass er als Stimmenakrobat noch bekannter ist. Und das schon seit vielen Jahren. Stellt euch einen Trovador vor, dessen Lieder, die überwiegend gar nicht schlecht sind, mit einem Kastratensopran beginnen und/oder enden. Roly hat sich das einmal in seinen jungen Jahren ausgedacht und da sich damals ein paar Leute darüber amüsierten, hofft er nun, mit diesem Running Gag das Rentenalter zu erreichen. Wahrscheinlich ist er eine schizophrene Persönlichkeit, die sich nicht entscheiden kann, ob sie lieber Cantautor oder Entertainer sein möchte. Visuell stelle ich mir das etwa so vor: Roly 1 steht auf dem Podium und beginnt, ohne Mätzchen ein Lied zu singen, das ganz ordentlich zu werden verspricht. Dann schleicht sich Roly 2 im Clownskostüm von hinten an ihn ran und verplättet ihm eins mit der Schaumgummikeule. Prompt geht das Gejaule wieder los – mitten im Song! Leider geht er damit inzwischen nicht nur mir, sondern wahrscheinlich einer ganzen Reihe anderer Leute auf den Senkel, die ihm nie im Leben etwas Böses getan haben. Eines noch: Wenn Gitarrenmisshandlung ein Straftatbestand wäre, müsste man Roly Berrio von der Bühne weg verhaften. Kein Instrument, mag es auch noch so viel Schuld auf sich geladen haben, verdient es, so verdroschen zu werden wie seins.
Alles in allem: Ein Abend mit plus und minus. Ich weiß nicht, welches von beiden überwog. Es ist auch nicht wichtig. Konzeptuell ist die Sache vielversprechend. Wenn Iroel Sánchez sein Publikum etwas stringenter im Griff hält, statt es vor dem Bildschirm mit sich selbst allein zu lassen, um desto ungestörter mit renommierten Ankömmlingen plaudern zu können, und wenn er etwas mehr darauf achtet, welcher Interpret den Unterhaltungspart übernimmt, gibt es keinen Grund, warum La pupila asombrada nicht auf lange Sicht eine tolle Sache werden sollte.
Ulli Fausten
CUBA LIBRE 3-2015