Der revolutionäre Prozess auf Kuba hat viele Phasen durchlaufen und nie Stillstand gekannt. Durch militärische Kraft und mit breiter Unterstützung des Volkes konnte die Revolution unter Führung Fidel Castros und seiner Kampfgefährten siegen.
Mein Anliegen kann nicht sein eine Geschichte dieser Revolution zu schreiben. Das ist und bleibt Sache von Historikern. Aus Anlass von Fidels Geburtstag möchte ich über eigene Erlebnisse und Begegnungen in Kuba schreiben. Deshalb sei allem vorangestellt: Ganz herzliche und solidarische Grüße und Glückwünsche zum 89. Geburtstag!
Foto: Marion Leonhardt |
Als die Revolution 1959 auf Kuba siegte, war die Situation in Europa voller Gegensätze. Zwischen der NATO und dem Warschauer Vertrag, den USA und der UdSSR, trug die deutsche Frage zur Zuspitzung der Beziehungen bei. Seit Gründung der DDR 1949 hatten Millionen Bürger das Land verlassen. Die weitere Existenz des Staates stand auf dem Spiel und für die UdSSR die Bewahrung ihrer Rolle und ihrer Rechte als Siegermacht über den deutschen Faschismus. Da erreichte uns die Meldung: Junge Revolutionäre haben sich auf der kleinen Insel Kuba, nicht weit von den Küsten der USA entfernt, erfolgreich deren Hegemonie durch eine Revolution entgegengestellt. Trotz eigener Sorgen und Probleme in der DDR war die Landung militärischer Kräfte aus den USA 1961 in Kuba eine Herausforderung für verstärkte Solidarität in Wirtschaft und Politik.
Bis heute habe ich Kuba neun Mal zu politischen Gesprächen besucht. Die Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen sind dabei am wichtigsten geblieben. Sie waren geprägt durch die unterschiedlichen Phasen des revolutionären Prozesses in Kuba.
1970 besuchte ich anlässlich des Nationalfeiertages am 26. Juli, dem Jahrestag des Sturmes auf die Moncada-Kaserne, das Land. Es waren wohl eine Million Menschen, die sich zur großen Kundgebung versammelt hatten und eine der oft ziemlich lang ausfallenden Reden Fidel Castros hörten. Die dabei von ihm auch formulierte Selbstkritik zu Führungsschwächen bei der Organisation der Zuckerernte war für mich ungewohnt und in der persönlichen Art, in der sie ausgesprochen wurde, beeindruckend.
Eine wichtige Entscheidung in der Solidarität für Kuba von Seiten der DDR war die Produktion von jährlich 20.000 Tonnen Milchpulver, das besonders für die Versorgung der Kinder eingesetzt wurde. Unter heute ganz anderen Bedingungen setzt die Organisation »Cuba Si« diese Solidarität unter dem Motto »Milch für Kubas Kinder« bis heute fort. Heute werden Viehfarmen in Kuba unterstützt, die Milch für Kubas Kinder produzieren.
Am Ende der DDR habe ich mit großer Betroffenheit erlebt, wie im Januar 1990 auf der Beratung des Rates der Länder für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) in Sofia Carlos Rafael Rodriguez als Vertreter Kubas zu mir sagte: »Wir haben wohl das Ende der Integration erlebt und Kuba wird allein bleiben.« Wir empfanden beide das Gleiche, aber er hat es in aller Deutlichkeit ausgesprochen.
Die UdSSR bestand schon nicht mehr, die DDR war der BRD beigetreten worden und ich war Mitglied des Deutschen Bundestages (PDS-Gruppe) geworden. Da erreichte mich 1993 eine Einladung zum Besuch Kubas. Die sogenannte Spezialperiode verlief mit all ihren, zum Teil schlimmen, Auswirkungen und ich konnte nun persönlich erleben, wie zutreffend die Bemerkung von Carlos Rafael im Januar 1990 in Sofia war. Als dann Fidel Castro fast eine ganze Nacht mit mir über die Lage in Kuba, aber vor allem über das Ende der UdSSR und des Sozialismus in Europa sprach, wurde mir bewusst, warum es zu dieser Einladung nach Kuba gekommen war. Vorbehalte gegenüber Gorbatschow hatte Fidel Castro wohl schon immer. Dessen Rolle beim Untergang der UdSSR war für ihn nicht nur Versagen, sondern mehr Verrat am Sozialismus.
Als 1997 die Weltfestspiele der Jugend in Havanna stattfanden, war ich als Ehrengast eingeladen. Gewiss waren die Auswirkungen der Spezialperiode noch sichtbar. Aber mit dem Besuch von etwa 20.000 jungen Menschen aus allen Teilen der Welt sollte der Gedanke der Solidarität mit Kuba und von Kuba mit Entwicklungsländern und für eine friedliche Welt gegen kapitalistische Fremdbestimmung neue Impulse erfahren. Fidel Castro trat hier nicht vordergründig in Erscheinung, aber auf einem Empfang gab es Gelegenheit für ein kurzes Gespräch.
Bis heute ist das Verhältnis der Europäischen Union zu Kuba von Vorbehalten bestimmt. Gemeinsam mit meinem Kollegen im Europäischen Parlament von 1999 bis 2004, mit Pedro Masset, waren wir bemüht, zwischen unserer Fraktion und Kuba ein solidarisches Verhältnis zu organisieren. Dieses Engagement hat leider keine so kraftvolle Fortsetzung gefunden, wie sie gerade heute erforderlich wäre. Damit in die Gegenwart.
Wer in welcher Form alles mitgewirkt hat, wird sicher noch lange im Hintergrund bleiben. Wichtig ist: Zwischen Kuba und den USA wird mit dem Ziel der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen verhandelt. Da der katholischen Kirche und speziell ihrem Papst öffentlich gedankt wird, muss er mit Herz und Aktivität dabei gewesen sein, um den heutigen Stand zu erreichen. Eine kurze Bewertung dessen: Die USA haben eine Niederlage erlitten, halten aber an alten Bestrebungen fest. Kuba hat mit der Akzeptanz seiner Existenz einen Fortschritt erzielt, den es nun zu nutzen gilt. Damit beginnen Herausforderungen, die nach der Abwehr des Überfalls in der Schweinebucht und der Spezialperiode sogar die größten sein könnten. Das US-amerikanische Ziel bleibt, Kubas Bemühung um Weiterentwicklung seiner sozialistischen Entwicklung zu untergraben und damit solchen Bemühungen in ganz Lateinamerika ein Ende zu setzen. Die Antwort Kubas kann nur sein, den revolutionären Prozess zu aktualisieren, um dem neuen Druck wachsende innere Stabilität entgegenzustellen. In die Verhandlungen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen könnten Rechtsansprüche eingebracht werden. Die enteigneten Besitzer großer Farmen, die in den USA leben, werden um ihre Böden kämpfen. Kuba wird Kapitalbeteiligungen an Unternehmen ermöglichen, aber Rückgaben und große Entschädigungen wird es wohl nicht geben. Der berechtigte Anspruch Kubas auf das von den USA besetzte und gegen das Völkerrecht missbrauchte Guantanamo wird Gegenstand von Verhandlungen sein.
Deutsche Außenpolitik, die sich unter Vormundschaft der USA stellt, spielte bisher keine Rolle bei vertrauensbildenden Maßnahmen im Verhältnis zu Kuba. Die USA haben den Spielraum nun etwas erweitert. Da könnte eigentlich, ja müsste, deutsche Außenpolitik eine aktive, möglichst konstruktive Rolle spielen. Schließlich geht es hier sogar auch um Interessen der deutschen Wirtschaft, die bei außenpolitischen Entscheidungen immer zählen. Die Spuren vielfältiger Kontakte zur DDR könnten dabei noch immer hilfreich sein.
Noch einmal zu Fidel Castro: Zu den wichtigsten Ausführungen, die ich in meinem politischen Leben zur Kenntnis genommen habe, zählt seine Rede vom 17. November 2005 in der Universität von Havanna. Zwei Aussagen darin waren entscheidend. Die eine: Dass die kubanische Revolution nicht von außen, wohl aber »von uns selbst«, durch »unsere eigenen Schwächen und Fehler« zerstört werden kann. Die zweite Aussage war als Anspruch an die nachgewachsenen und nachwachsenden Generationen gerichtet: Gewiss blieben die Älteren am weiteren revolutionären Prozess nicht unbeteiligt. Ob und wie die kubanische Revolution weiter gehen werde, hänge aber nun einzig und allein von ihnen, den neuen Generationen, ab.
Es ist stiller um Fidel geworden. Wir dürfen aber eines gewiss sein: Sein Herz schlägt noch immer für die kubanische Revolution. Wir wünschen alles Gute und sollten gerade jetzt erklären: Die Solidarität mit Kuba braucht neue Kräfte und dafür wollen wir uns mit all unseren Möglichkeiten in der Vielfalt der Netzwerke und Bewegungen einsetzen.
Dr. Hans Modrow
CUBA LIBRE 3-2015