Kuba ist im Begriff, die Grundlagen seines gesellschaftlichen Lebensprozesses zu erneuern.
Problem niedriges Wirtschaftswachstum
Die Tatsache, dass die positiven Effekte bislang begrenzt sind, verkompliziert den Prozess. Das Wirtschaftswachstum von 0.6 % des Bruttoinlandsproduktes, welches für das erste Halbjahr 2014 festgestellt wurde, kommt einem Nullwachstum gleich und bietet Anlass zur Sorge, wenn man die Einbrüche der vorgehenden Jahre berücksichtigt. Für das zweite Halbjahr erwartet das Ministerium für Wirtschaft und Planung einen Zuwachs von 1,4 % und korrigiert damit die ursprünglich erwarteten 2,2 % (gegenüber 2,7 % Wirtschaftswachstum 2013) nach unten.
Inmitten des Umgestaltungsprozesses stagniert die kubanische Wirtschaft.
Demgegenüber bleibt natürlich festzuhalten, dass es sich bei der Aktualisierung der wirtschaftlichen Grundlagen in Kuba um einen mittelfristig angelegten Prozess handelt, der auf mindestens fünf Jahre angelegt ist. Man wird diesen Zeitraum abzuwarten haben, um zu einer soliden vorübergehenden Beurteilung der Situation Kubas kommen zu können.
Problem Weltmarkt
Trotz oder gerade wegen der US-Blockade reagiert die kubanische Wirtschaft sensibel auf Veränderungen auf den internationalen Märkten. Beispielsweise die Probleme im Agrarsektor sind in großem Maße von der weltweiten Krise und ihren Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise bedingt. Letztere sind auch in 2014 wieder gestiegen, u. a. deshalb, weil sich Lebensmittel längst in Spekulationsobjekte auf dem internationalen Finanzparkett verwandelt haben. Ein weiterer Faktor ist bekanntlich, dass landwirtschaftliche Produkte zunehmend und im großen Stil als Grundlage für Biotreibstoffe angebaut werden und somit die Marktpreise für Lebensmittel antreiben.
Der Mangel an verfügbarem Kapital ist eines der entscheidenden strukturellen Probleme Kubas. Ricardo Torres vom Zentrum für das Studium der Kubanischen Wirtschaft hat unlängst darauf hingewiesen, dass keine Wirtschaft, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum anstrebt, dies auf der Basis einer Investitionsrate von unter 10 % des Bruttonlandsproduktes erreicht, wie es Kuba zur Zeit vorweist. Diese Kapitalschwäche wird kurz- und mittelfristig nur über ausländische Investoren zu lösen sein. Aus diesem Grund kommt ihrer Erleichterung und Einleitung solcher Investitionen auch eine große Rolle im derzeitigen wirtschaftlichen Maßnahmenkatalog zu.
Problem Auswirkung der kapitalistischen Krise in Europa
In diesem Zusammenhang trifft die kapitalistische Krise Kuba auch indirekt. Viele potentielle Investoren sind angeschlagen: Man denke nur an die spanischen Hotelketten, die früher stark im kubanischen Tourismusbereich investiert haben.
Problem Blockade
Längst ist bekannt, dass die Obama-Administration die Ankündigung, die Blockademaßnahmen schrittweise abzubauen, nicht umgesetzt hat. Die seitens der US-Regierung gegen Geschäftspartner Kubas verhängten Geldstrafen bewegen sich in neuen Dimensionen. Während sich die politische Stimmung in den USA zugunsten eines Kurses in Richtung Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Kuba verändert, sind die feindseligen Maßnahmen in der Obama-Amtszeit tatsächlich noch verschärft worden. Dabei zielt die Strategie der US-Regierung offenbar in erster Linie darauf, Finanzinstitute daran zu hindern, mit Kuba Geschäftsbeziehungen einzugehen und insbesondere, Kredite zu gewähren. Die Obama-Administration hat den oben beschriebenen Kapitalmangel offensichtlich als den Schwachpunkt der kubanischen Wirtschaft erkannt und versucht, ihn - man möchte sagen: kriegsstrategisch - zu nutzen.
Seit einiger Zeit zeigen sich unter den Herrschenden in den USA Widersprüche in Bezug auf die Kubapolitik des Landes. Auf der einen Seite steht eine Fraktion, die immer noch davon überzeugt ist, dass der Sozialismus in Kuba durch die seit fünfzig Jahren anhaltende Blockade zu stürzen sei. Der Ansatz ist dabei, die Bevölkerung der Insel durch eine systematische Verschlechterung der Lebensbedingungen zur Revolte zu bewegen. Diese von den extremistischen Teilen der einflussreichen Exilkubaner vertretene Position hat traditionell einen hohen Anteil an Irrationalität. Schließlich hat ein halbes Jahrhundert Blockadepolitik es offensichtlich nicht geschafft, die politischen Verhältnisse auf der Insel zu verändern. Nichtsdestotrotz stärken die aktuellen wirtschaftlichen Probleme Kubas die Position dieser aggressiven und immer noch einflussreichen Gruppe.
US-Strategie der Konterrevolution auf Filzlatschen
Eine andere Fraktion tritt für eine Lockerung oder gar Aufhebung der Blockadepolitik ein. Hinter ihr sammeln sich die Teile des Kapitals, die ein Interesse an der Erschließung des kubanischen Marktes haben, sowie Politiker, die eine Strategie des »Wandel durch Annäherung « für geeigneter halten, den Sozialismus in Kuba zu untergraben. Diese Position gewinnt wiederum in dem Maße an Stärke, in dem Kuba wirtschaftliche Abkommen mit konkurrierenden Wirtschaftsmächten, allen voran China und Brasilien, schließt.
BRICS-Staaten als Alternative
Das Wachstum aufstrebender Wirtschaftsmächte zeigt sich vor allem in der sogenannten BRICSGruppe, die von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gebildet wird. Die Regierungen dieser Staaten, in welchen de facto die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, fordern die über Jahrhunderte gewachsenen und teils noch auf den Abhängigkeiten des Kolonialismus beruhenden Verhältnisse heraus. Die BRICS-Staaten treten für eine verstärke makroökonomische Koordinierung zwischen den 20 weltstärksten Wirtschaftsmächten ein, um ein nachhaltiges und weltweites wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. In diesem Zusammenhang steht auch der Beschluss über die Einrichtung einer alternativen Weltbank, die sich speziell der Verbesserung der Infrastruktur in sogenannten Schwellenländern widmet.
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Die Gründung dieser Bank und die Anlage einer gemeinsamen Devisenreserve wird einen entscheidenden Beitrag für den Aufbau eines neuen internationalen Finanzsystem leisten. Auf dem chinesisch-lateinamerikanisch-karibischen Gipfeltreffen am 17. Juli 2014 in Brasilia wurden zudem die Grundlagen für den Ausbau von multilateralen, offenen, transparenten und nicht-diskriminierenden Handelsbeziehungen gelegt, so zumindest die Einschätzung von Fidel Castro.
Traditionell ist Lateinamerika die Weltregion mit der größten Ungleichheit, geprägt von den Profitinteressen der USA. Heute verlangen viele lateinamerikanische Staaten, allen voran Brasilien, die Abwicklung von internationalen Handelsgeschäften in chinesischen Yuan anstatt in US-Dollar. In wenigen Jahren wird das chinesische Bruttoinlandsprodukt das der USA überholt haben. Aber China ist nicht nur eine Wirtschaftsmacht, sondern auch eine Macht auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Technologie. Und es ist dabei, einen entscheidenden Beitrag zur entsprechenden Entwicklung auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu leisten. Auf besagtem Gipfel wurden beispielsweise alleine 38 Kooperationen zwischen China und Venezuela unterzeichnet. Fast ein Zehntel der Exporte aus Lateinamerika haben China als Empfänger, ein Achtel der Importe kommt aus dem Reich der Mitte.
Aber nicht nur Russland und China, vor allem auch Brasilien spielt eine zunehmend wichtige Rolle als Investor, unter anderem in Kuba. Der Bau des Containerhafens von Mariel ist ein Beispiel dafür, welchen positiven Einfluss die BRICS-Staaten auf die wirtschaftliche Situation Kubas haben können. Schon ist davon die Rede, dass die dem Golf von Mexiko zugewandten US-amerikanischen Häfen, die kubanische Konkurrenz empfindlich spüren.
Risiken in Chancen verwandeln
Kubas wirtschaftliche Lage erlebt einen schwierigen Moment, aber zugleich zeichnet sich eine Verbesserung der internationalen Wachstumsbedingungen ab. Die USA hingegen werden vielleicht zu spät feststellen, dass die Politik gegenüber Kuba ein schwerer politischer Fehler war. Und vielleicht wird man eines Tages in den Geschichtsbüchern lesen können, dass die Blockade Kubas einen entscheidenden Beitrag zum Niedergang der bis dato größten Wirtschaftsmacht der Welt in ihrem selbsternannten Hinterhof Lateinamerika geleistet hat.
Tobias Kriele
CUBA LIBRE 4-2014