»Ich hätte nie gedacht, dass die USA nach all den Jahren immer noch Krieg gegen Kuba führen«

Interview mit Giustino di Celmo.

CL: Der Terrorismus gegen Kuba war seit Beginn der Revolution eine Konstante im kubanischen Alltag. Wie uns die jüngsten Ereignisse gezeigt haben, hat sich bis heute daran nichts geändert. Ihre Familie, eine europäische Familie, ist Opfer dieses gegen Kuba gerichteten Terrorismus geworden. Ihr Sohn Fabio starb bei einem dieser terroristischen Anschläge. War Ihr Sohn, als er Kuba besuchte, sich bewusst, dass es terroristische Anschläge auf touristische Einrichtungen gab?

G: Ich war mir sicher dessen bewusst. Aber wir waren Geschäftsleute; wenn es in einem Land gefährlich ist, muss ich trotzdem dort hingehen und ich wusste, dass es in Kuba immer gefährlich sein könnte. In Kuba hatte ich wichtige Geschäfte und deswegen musste ich auf jeden Fall dorthin. Und Fabio, mein drittes Kind – der jüngste –, trat in meine Fußspuren. Als ich ihm sagte, wir würden nach Kuba gehen, war er sehr froh darüber, aber dachte in keiner Weise, dass es gefährlich sein könnte.

CL: Waren Sie dabei, als er starb oder wie erfuhren Sie von seinem Tod?

G: Ich war dabei. Ich werde euch das in wenigen Worten erklären. Nach dem Frühstück wollten wir Kunden besuchen. An dem Tag schien sich das Schicksal gegen diesen jungen Mann verschworen zu haben. Als wir das Hotel verließen, gerieten wir auf eine Straße, die wegen Bauarbeiten gesperrt war. Genau auf dieser Straße wohnte aber unser Kunde. Da es sich aber um einen wichtigen Kunden handelte, versuchten wir, auf einem anderen Weg dorthin zu kommen. Aber auch der war gesperrt. Daraufhin sagte ich zu Fabio: Lass uns morgen gehen und wir besuchten an diesem Tag einen anderen Kunden. Um zwanzig vor zwölf kehrten wir ins Hotel zurück. Fabio hatte sein Zimmer und ich hatte meines. Er kam zu mir und sagte: Ich gehe meine Freunde besuchen, die ich im Hotel habe. Wir sehen uns beim Mittagessen. Das war das letzte Mal, dass ich meinen Sohn lebend gesehen habe. Ah, ich hab noch vergessen – ich sagte noch zum ihm: »Warte, ich gebe dir noch dein Gehalt, das ich dir am Monatsende nicht gegeben habe.« Er aber antwortete: »Das kannst du mir später geben, ich habe noch genug. Ich will meine Freunde nicht warten lassen.« Ich entgegnete: »Warte doch, das dauert nur fünf Minuten.« Aber er wollte nicht. Es war als ob das Schicksal ihn zum Sterben rief.

Noch nicht einmal 15 Minuten später hörte ich einen Knall. Ich habe nicht an eine Bombe gedacht, sondern ich ging davon aus, dass etwas in der Küche des Hotels explodiert sei oder etwas Ähnliches und habe mir nichts weiter dabei gedacht. Nach zehn Minuten riefen sie mich in meinem Zimmer an, aber da hatten sie Fabio schon mit der Ambulanz weggebracht, da war er bereits tot. Ich habe ihn nie mehr gesehen.

Der Junge – ich muss euch etwas über seinen Charakter erzählen. Geht doch mal ins Hotel Copacabana. Dort werdet ihr noch heute Leute treffen, die ihn und seine liebenswerte Art ins Herz geschlossen haben. Er war kein junger Mann wie alle anderen. Die Leute im Hotel sagten unter Tränen, sie hätten keinen Hotelgast, sondern einen Freund verloren. Geht doch ins Hotel Copacabana und fragt nach Fabio!

CL: Wie hat sich Ihr Leben nach seinem Tod verändert?

G: Ich wollte leben und sterben, wo er gestorben ist. Ich habe alle meine Geschäfte überall auf der Welt aufgegeben – und ich hatte viele – und mir hier in Havanna die Wohnung gekauft. Hier bleibe ich bis ich sterbe und ihn dann wiedersehe – daran glaube ich fest.

CL: Erinnern Sie sich noch daran, wie die Presse in Italien über diesen terroristischen Anschlag berichtet hat? Normalerweise berichtet sie ausgiebig über Anschläge dieser Art, wenn sich ein Europäer unter den Opfern befindet. War dies auch bei Fabio der Fall?

G: Nein, überhaupt nicht. In der größten italienischen Zeitung gab es auf Seite 1 eine kurze Notiz: »Eine Bombe, die im Hotel Copacabana in Havanna explodierte, tötete einen 33 jährigen italienischen Touristen.«

Mehr nicht und das stimmt noch nicht einmal, denn Fabio war kein Tourist, er war ein Geschäftsmann. Aber das war alles, was die italienischen Zeitungen brachten.

CL: Wenn es sich um einen terroristischen Anschlag in einem anderen Land gehandelt hätte, wäre die Empörung größer gewesen.

G. Das ist sicher.

CL: Kuba schickte Leute nach Miami, um das Land vor Attentaten solcher Art zu schützen. Welche Bedeutung haben die FÜNF für Sie?

G.: Vor dem Anschlag auf das Hotel Copacabana explodierten bereits Bomben im Hotel Nacional. Die Fünf hatten die kubanische Regierung gewarnt, sie müsse sehr wachsam sein, weil Anschläge auf viele Hotels geplant seien. Ich habe Fabio gesagt, dass wenn er sich in einem Hotel irgendwohin setzt, er erst einmal gucken müsse, ob es dort Möglichkeiten gebe, wo man Bomben verstecken könne. Er sagte zu mir: »Ja, du hast Recht. Darauf muss man achten.« Und trotzdem ist es passiert.

CL: Dem Terrorismus kann man nicht entkommen.

G: Nein, dem Terrorismus kann man nicht entkommen. Ich hätte nie gedacht, dass die USA nach all den Jahren immer noch Krieg gegen Kuba führen, dass sie das Land so lange bedrängen und der Krieg geht immer noch weiter. Was hat das arme Land ihnen getan? Zur Zeiten dieses blutrünstigen Diktators Batista haben die kubanischen Männer den nordamerikanischen Touristen die Schuhe geputzt und die Frauen sich für ein paar Centavos prostituiert.

CL: Die US-Regierung setzt Kuba immer auf die Liste der Staaten, die den Terrorismus fördern …

G: Wie kann man eine solche Lüge sagen. Warum lügen sie unentwegt. Sie lügen um zu herrschen. Das ist die Tragödie der Menschheit. Ich bin 94 Jahre, 1920 geboren und habe den 2. Weltkrieg mitgemacht.

CL: In Kuba ist Fabio immer präsent.

G: Ja, gestern war ich noch zu einem Konzert für die Fünf eingeladen. Die Regierung lädt mich zu allen Veranstaltungen ein, die den Terrorismus zum Thema haben.

CL: Wofür steht Fabio?

G: Er steht dafür, die Behauptung Lügen zu strafen, Kuba sei ein terroristisches Land. Fabio war ein Italiener, den Terroristen in Kuba getötet haben, weil sie Kuba schaden wollten. Kuba hat nie Terroristen in irgendein Land geschickt. Kuba hat Ärzte geschickt, Personen, die wichtige Hilfe geleistet haben und noch leisten.

CL: In Havanna gibt es eine Pizzeria mit dem Namen Fabio …

G: Fabio wollte immer hier ein Geschäft aufmachen. Er sagte mir: »Vielleicht möchte ich ja hier heiraten. Dann hätte ich eine Möglichkeit davon zu leben.« Ich habe das einer wichtigen Person in Kuba erzählt und diese sagte, sie wolle sehen, was sich machen ließe. So entstand das Restaurant »Fabio«.

CL: Wie können die Menschen in Europa, die Solidaritätsbewegung, das Andenken an Fabio bewahren?

G: Sie müssen sich einigen. Der 2. Weltkrieg entstand, weil Europa in Stücke gerissen war. Ich habe den 2. Weltkrieg mitgemacht und war zwei Jahre in Libyen, mitten in der Wüste Sahara. Mein Bataillon war an der Schlacht von Tobruk beteiligt. Ich hatte auf der Fahrt nach Tobruk den Auftrag, hinten im offenen Wagen zu sitzen und nach Flugzeugen Ausschau zu halten, die uns angreifen würden. Ich glaubte ein Geräusch zu hören und sagte dem Fahrer, er solle anhalten. Ich fiel hinten herunter und sie stellten fest, dass ich mein Bein gebrochen hatte. Sie ließen mich liegen und fuhren weiter nach Tobruk. Zwei Stunden später kam eine Ambulanz und brachte mich ins Feldlazarett. Dort musste ich zwei Wochen bleiben. Von den 500 Soldaten meines Bataillons starben 250, aber das Schicksal hatte mich gerettet.

CUBA LIBRE Das Interview führte Renate Fausten

CUBA LIBRE 3-2014