Die nächsten Generationen – nicht die nächsten Wahlen

Das Forum von Sao Paulo muss sich neu erfinden

Forum von Sao Paulo
Mit einem Grußwort des bolivianischen Präsidenten Evo Morales ging das 19. Forum von Sao Paulo am 4. August zu Ende. Er lud zur 20. Auflage des Parteientreffs für 2014 nach Bolivien ein.

Fünf Tage lang hatten gut 400 Delegierte aus fast allen lateinamerikanischen und wenigen karibischen Ländern in Sao Paulo in verschiedenen Foren das Thema »Die Veränderungen vertiefen und die regionale Integration beschleunigen« debattiert. Das »Forum von Sao Paulo« ist ein Treffen von Linksparteien Lateinamerikas und der Karibik, das 1990 in der brasilianischen Megametropole auf Initiative von Fidel Castro und Lula da Silva gegründet wurde. Damit sollte der nach dem Scheitern des Sozialismus entstandenen politischen Leere ein neuer Anlauf entgegen gesetzt werden. Es findet seither nahezu jährlich an anderen Orten des Kontinents statt und kehrte 2013 zum zweiten Mal an seinen Ursprung nach Sao Paulo zurück. Zunächst ist über diese Initiative festzuhalten, dass sie fast alles links von den Konservativen zusammenfügte. Das wiederum bedeutete, dass die sozialdemokratischen Parteien die Niederlage der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten Osteuropas anders als ihre Pendants in Europa als die eigene begriffen. In der Folge zeigte sich, wie sehr sie Recht hatten: Die unipolare Weltordnung, allen voran die USA, hielt sich nicht langer mit Hilfen auf, mittels derer man zuvor das Drohen eines zweiten Kuba in irgendeinem lateinamerikanischen Land zu verhindern wusste. Die nackte Wahrheit über die Hilfsbereitschaft der USA oder der EU kam an das Tageslicht; noch verschärft dadurch, dass fast überall neoliberale Ideen den alltäglichen Kapitalismus verschärften.

Evo Morales und Luis Inacio da Silva

Der bolivianische Präsident Evo Morales (li.) und der frühere brasilianische Präsident Luis Inacio da Silva am Rande des XIX Sao Paulo Forums
Foto: Xinhua/Heinrich Aikawa)



Stichwort Kuba – ein anderer Unterschied zu Europa, hatte in Amerika doch ein sozialistisches Land überlebt. Dass Kubas Führung es schaffte, neben den Kommunistischen Parteien und gar bewaffneten Kräften wie die kolumbianischen FARC-EP die sozialdemokratisch-reformistischen Kräfte mit ins Boot zu holen, hat sich als eine taktische Glanzleistung herausgestellt. Mit der Zeit gesellten sich zum FSP-Mitglied »Kommunistische Partei Kubas« immer mehr FSP-Parteien, die in ihren Ländern im Zuge des reformistischen Linksrucks zu Regierungsparteien wurden. Ob aus dem taktischen Meisterstuck aber auch ein strategischer Sieg wird, erweist die Geschichte.



Politische Stagnation

Im Augenblick sieht es jedenfalls nach einer Stagnation des Forums aus, über das die steigende Anzahl der Mitgliedsparteien (99 aus 25 Ländern) nicht hinwegtäuschen kann. Das Forum von Sao Paulo hat sich mit der Zeit den Gegebenheiten der Regierungsfähigkeit angepasst. Zuerst wurden auf Betreiben der brasilianischen Arbeiterpartei (PT, die derzeit regierende Partei des Ex-Präsidenten Lula da Silva) die FARC ausgeschlossen. Nun sind kritische Nachfragen von nicht den jeweiligen Regierungen ihrer Länder angehörenden Parteien nicht mehr gewünscht und werden weitgehend unterdrückt. Dabei stoßen Themen wie die Haiti-Besetzung unter Führung Brasiliens und Mithilfe mehrerer »linksgerichteter« Staaten Lateinamerikas (die UN-Mission MINUSTAH, die die USA und Frankreich nach der Absetzung des Präsidenten Aristide aus Gründen der politischen Opportunität nicht übernehmen wollten) oder die auch unter Linksregierungen ungemindert vonstatten gehende Ressourcenräuberei besonders auf. Das Forum verhindert natürlich nicht die kritische Nachfrage einzelner Delegierter, aber dass Podien von kritischen Kräften geleitet werden, ist heute nicht mehr denkbar; gerade auch in Sao Paulo, wenn man bedenkt, dass die PT auch den Generalsekretär des FSP stellt. So konnte es also auch nicht erstaunen, dass es kaum zu Debatten über die monatelangen Straßendemonstrationen in Brasilien kam, die sich ja nicht unwesentlich auch gegen die brasilianische Regierung richteten.

Nach der Übernahme der Regierung in zwischenzeitlich sechzehn der fünfundzwanzig Länder durch FSP-Mitgliedsparteien stellt sich die Frage: »Was tun?« wenn man gemerkt hat, dass Regierung und Macht zwei verschiedene Dinge sind, die einzig in Kuba in einer Einheit geklärt sind. Denn die erreichten Erfolge wollen verteidigt werden, und die Niederlagen in Chile und Panama, aber auch die erfolgreichen institutionellen Putschs in Honduras und Paraguay haben gezeigt, dass das, was durch Wahlen gewonnen wird, auch durch Wahlen oder auch die Nichtanerkenntnis der eigenen Regeln durch die bürgerlichen Gesellschaft wieder verloren gehen wird, wenn die Erwartungen der Menschen nicht erfüllt werden oder die zentralen Gewalten des Staates den Reformkräften nicht zur Verfugung stehen. So steht auch das Forum von Sao Paulo am Scheideweg. Die Abgrenzung von den Kräften, die Fragen stellen, muss in die Sackgasse fuhren – zum einen, weil es einen direkten Zusammenhang zwischen nationaler und sozialer Befreiung gibt (also keine der beiden ohne die Vollendung der anderen zu haben ist) und zum anderen, weil nur der Widerspruch die gesellschaftliche Entwicklung voranbringt.

Ein wenig brachte das sogar der von einer Krebserkrankung genesene Inacio Lula da Silva zum Ausdruck, als er bei der Eröffnungszeremonie, die aus organisatorischen Gründen erst am dritten Tag stattfand, auf die Demonstrationen gegen seine Nachfolgerin Dilma Rousseff einging. Und Evo Morales mahnte die Parteienvertreter/ innen, dass »Linksparteien nicht an die nächsten Wahlen denken« durften. Sondern an die nächsten Generationen. Man braucht keine prophetische Gabe um festzustellen, dass sich das Forum von Sao Paulo neu (er)finden muss.

CUBA LIBRE Günter Pohl

CUBA LIBRE 4-2013