Die ersten 100 Tage

Venezuelas Regierung hat die Unsicherheit nach dem knappen Wahlausgang im April überwunden.

Ende Juli war Nicolás Maduro 100 Tage als gewählter Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela im Amt. Schon das ist ein Erfolg, denn nach dem überraschend knappen Ausgang der Abstimmung am 14. April hatte die Opposition alles daran gesetzt, die Regierung zu stürzen. Dazu griff sie unmittelbar nach dem Wahltag zu gewaltsamen Übergriffen gegen medizinische Einrichtungen, in denen kubanische Ärzte arbeiten, oder auf Einrichtungen des Nationalen Wahlrats (CNE) und der die Regierung unterstützenden Parteien. Als dies keinen Erfolg hatte, und sich auch das Militär nicht provozieren ließ, setzten die Regierungsgegner auf eine institutionelle Anfechtung des offiziellen Ergebnisses. Der unterlegene Kandidat Henrique Capriles Radonski beantragte beim CNE eine Neuauszählung der Stimmen. Er bekam, wie im Gesetz vorgesehen, eine hunderprozentige Prüfung der Übereinstimmung zwischen den elektronisch übermittelten Ergebnissen der Wahlmaschinen und der von diesen ausgedruckten Kontrollzetteln. Das Ergebnis war das, was zu erwarten gewesen war: Es gab keine signifikanten Abweichungen zwischen beiden Erfassungen. Maduros Sieg beruhte nicht auf einer Manipulation der Ergebnisse.

Parallel zu den internen Kampagnen versuchte die Opposition, Maduro international zu isolieren. Erfolg hatte sie damit in den ersten Tagen nach der Wahl. Aufgrund des knappen Ausgangs der Abstimmung sprachen sich mehrere Regierungen, so in Washington, Madrid, Paris und Brüssel, für eine Neuauszählung der Stimmen aus. Doch schnell korrigierten sich die meisten, vor allem in Südamerika. Dazu hatte vor allem die Eskalation der Gewalt durch die Regierungsgegner beigetragen. Denn in Quito, Buenos Aires, Brasilia oder Santiago de Chile erinnerte man sich gut daran, wie durch innere Destabilisierung eines Landes Vorwände für einen Staatsstreich oder eine ausländische Intervention geschaffen werden können. Um ein solches Szenarium zu verhindern, berief die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) schon wenige Tage nach der Wahl ein außerordentliches Gipfeltreffen ein, auf dem die Lage in Venezuela diskutiert wurde. Praktisch alle Regierungen verurteilten dort die Gewalt und erkannten Nicolás Maduro als rechtmäßigen Staatschef an.

Als im Mai Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos trotzdem Capriles zu einer »privaten Unterredung« im Regierungspalast in Bogotá empfing, wurde das in Caracas als Provokation empfunden. Maduro drohte mit dem Rückzug Venezuelas von den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla, die Caracas als Garantiemacht unterstützt. Es sei jedoch sehr schwierig, für den Frieden im Nachbarland zu arbeiten, wenn von dort aus Krieg gegen das eigene Land vorbereitet werde, so Maduro.

Nicolás Maduro und Raúl Castro am 26. Juli 2013 in Santiago de Cuba

Nicolás Maduro und Raúl Castro am 26. Juli 2013 in Santiago de Cuba - Foto: Ismael Francisco / Cubadebate

Im Juni konnte der Präsident jedoch den endgültigen Durchbruch bei der internationalen Anerkennung verbuchen. Am Rande der OAS-Generalversammlung in Guatemala kamen am 11. Juni USAußenminister John Kerry und sein venezolanischer Amtskollege Elías Jaua zu einem Gespräch zusammen und zeigten sich anschließend mit freundschaftlichem Händedruck den Fotografen. Wenige Tage später machte sich Maduro zu seiner ersten Europareise auf, die ihn zu Papst Franziskus im Vatikan, nach Rom, Lissabon und Paris führte. Überall wurde er von seinen jeweiligen Amtskollegen herzlich empfangen. Praktisch zeitgleich verkündete der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto, er werde Capriles bei einem Besuch in Mexiko-Stadt nicht empfangen. Mexiko habe die Regierung in Venezuela anerkannt und es stehe ihr nicht zu, sich in die inneren Angelegenheiten des südamerikanischen Landes einzumischen.

Doch auch innenpolitisch hat die Regierung nach den ersten Unsicherheiten wieder Tritt gefasst. Vor allem die großangelegte Kampagne »Patria Segura« ( Sicheres Heimatland ), in deren Rahmen die Polizei vom Militär beim Kampf gegen das organisierte Verbrechen unterstützt wird, scheint erfolgreich zu sein. Stolz präsentierten Sprecher der Sicherheitsbehörden den schon in kurzer Zeit erreichten Rückgang der Kriminalitätsrate. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, diese Fortschritte dauerhaft zu bewahren. Das wäre einer der konkreten Erfolge, die Maduro braucht, um auch diejenigen zu erreichen, die in der Vergangenheit zwar Hugo Chávez gewählt hatten, bei der Wahl am 14. April jedoch entweder nicht zur Wahl gegangen sind oder gar für Capriles stimmten.

Das gilt ebenso für den Kampf gegen die Korruption, die schon Chávez als größte Gefahr für den revolutionären Prozess angeprangert hatte. Doch da Korruption in ihren verschiedenen Spielarten nahezu alle Bereiche der venezolanischen Gesellschaft erfasst hat – auch, weil angesichts der institutionellen Schwäche der Behörden der eine oder andere Freundschaftsdienst das Leben stark erleichtern kann –, waren konkrete Erfolge bislang kaum erkennbar. In den vergangenen Wochen jedoch scheint schärfer durchgegriffen zu werden. So wurde praktisch die gesamte Spitze der Verbraucherschutzbehörde Indepabis abgesetzt. Manche Funktionäre wanderten ins Gefängnis, weil sie gezielt Einzelhändler und Kleinunternehmer erpresst hatten. Ende Juni wurde zudem der Chef der Steuerbehörde SENIAT in La Guaira, einem der wichtigsten internationalen Handelshäfen Venezuelas, wegen Unterschlagung und Korruption verhaftet. Auch in den Ministerien sollen künftig Kontrollausschüsse, die von den die Revolution unterstützenden Parteien und Bewegungen besetzt werden, über das ordnungsgemäße Funktionieren der Einrichtungen wachen.

Nicolás Maduro und Fidel Castro

Nicolás Maduro und Fidel Castro
Foto @NicolasMaduro / Twitter


Hugo Chávez war schon zu Lebzeiten eine Legende, ihm vertrauten die Venezolaner, und auch Gegner gestanden ihm zumeist ehrliche Absichten zu. Korruptionsgerüchte gab es um ihn selbst praktisch nicht – dafür umso mehr um alle anderen Persönlichkeiten der Regierung und des Staatsapparates. Maduro weiß, dass er nicht dieselbe Statur wie sein Vorgänger hat. Deshalb muss er durch konkrete, für die Menschen spürbare Erfolge das Vertrauen der Venezolaner gewinnen. Im Gegensatz zum früheren Militär Chávez setzt der einstige Gewerkschafter Maduro dabei weniger auf die Streitkräfte, um Probleme zu lösen, sondern auf die Mobilisierung der Arbeiterklasse und wirtschaftspolitische Maßnahmen.

Zwar redet Maduro durchaus Klartext, aber er kann auch ruhige Töne anschlagen, wenn er mit Unternehmern oder ausländischen Regierungen verhandelt. In Teilen der revolutionären Bewegung Venezuelas ist deshalb Misstrauen aufgekommen: Maduro wolle den sozialistischen Kurs seines Vorgängers aufgeben, auch weil Maduro den Sozialismus inzwischen weniger plakativ vor sich herträgt als früher. Doch die Kritiker übersehen, dass auch Chávez in der Lage war, auf provokative Auftritte zu verzichten, wenn es die Lage erforderte. Die politischen Maßnahmen, die Maduro in den vergangenen 100 Tagen ergriffen hat, sprechen jedenfalls nicht für eine Abkehr vom antiimperialistischen und sozialistischen Kurs. Sie sprechen aber dafür, dass es gelungen zu sein scheint, die nach dem Tod von Hugo Chávez und dem knappen Wahlausgang unsicher gewordene Bolivarische Revolution wieder zu stabilisieren. Das verdient nach wie vor unsere Solidarität.

Logo CUBA LIBRE André Scheer

CUBA LIBRE 3-2013