»Al imperialismo ni un tanto asi ! Nada !« Man dürfe dem Imperialismus keinen Fingerbreit entgegen kommen, betonte er – mit mimischer und gestischer Unterstreichung – während einer berühmt gewordenen Ansprache vor der UNO nach Patrice Lumumbas Ermordung im Kongo.
Ich habe ihn nie zorniger gesehen als bei dieser Rede. Ich gestehe: Diese mit knapper Not kontrollierte Wut, diese Verachtung und diese Kompromisslosigkeit – ich vermisse sie in unserem heutigen Diskurs manchmal schmerzlich, weil ich weiß, dass er sie vermissen würde. Er würde sie hassen, die linken Schlaumeier, die dem politischen Feind Honig um den Bart schmieren um einer gnädig gewährten Petitesse wegen – statt Ärsche zu treten, wie er es tat.
Ich habe das Foto von seinem christusähnlichen Hingeschlachtet-Sein im Waschhaus von La Higuera nie als besonders eindrucksvoll empfunden. Nicht schmerzerfüllender jedenfalls als die Leichenbilder ungezählter andere im Namen von Freiheit und Demokratie Ermordeter. Was mich wirklich nach unten ziehen kann, ist die Erinnerung an etwas, vom dem es kein Foto gibt: Als Ernesto Guevara in Tansania (»Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren«) vom Tod seiner Mutter erfuhr, verbrachte er den Rest des Tages in seinem Zelt im Dschungel am Gesäß der Welt, indem er Tangos sang. Das war seine ureigene Art der Trauerarbeit für den Menschen, an dem er wahrscheinlich mehr gehangen hatte als an irgendeinem anderen. Was für eine unbekannte Dimension von Einsamkeit muss das gewesen sein! Die vertrauten Gesichter von Familie und Freunden eingetauscht zu haben gegen das riesengroße, anonyme, leidvolle Antlitz der Erde ! Er war kein Argentinier (der er war) und auch kein Kubaner (der er ebenfalls war). Er war ein Weltbürger, der nicht glücklich sein konnte, solange es irgendwo auf dem Planeten jemanden gab, dem Unrecht geschah (wie er seinen Kindern im Abschiedsbrief ans Herz legte). Welch eine monströse Last schulterte er da!
Als sie merkten, dass sie ihn nicht – nachhaltig – umbringen konnten, kommerzialisierten sie ihn. Dabei reduzierten sie die zahlreichen Facetten, die er besaß, auf ein scherenschnittartiges Abbild: das berühmte Korda-Foto. Das druckten sie auf Pullis, Zigarettenpackungen, Poster, Schnupftücher, Kappen, Bierseideluntersetzer und weiß der Himmel, auf was noch alles. Bei runden Geburtstagen – bzw. runden Todestagen – diktierten dann diejenigen mit der Lufthoheit über die öffentliche Meinung den Leitartiklern in die Tastatur: Che Guevara ist nur mehr eine blutleere Ikone, ein modisches Logo für alles und gar nichts. Selbst das Kaff in Bolivien, wo er erschossen wurde, ist heute nichts weiter als eine Touristenattraktion.
So eine Flucht nach vorn angesichts eines Gegners, den zu fürchten es gute Gründe gibt, ist kühn, aber nicht frei von Risiko. Zum einen sagen all jene für die kostenlose Werbung danke, die den Che nach wie vor als Vermittler von Ideen und Werten ansehen. Zum andern kann man theoretisch jeden T-Shirt-Träger mit entsprechendem Emblem ansprechen: »Sag mal, weißt du eigentlich was von dem Typen, den du da auf der Brust hast?«
Hierzulande hätte man wohl selten Aussicht auf ein »Ja« als Antwort – am ehesten noch im Hamburger Stadion am Millerntor bei den Anhängern des FC St. Pauli. Aber die sind ja mit ihren Che-Transparenten in der deutschen Sportberichterstattung ein gern gezeigter Eye Catcher – als Wimmelbild pittoresker Fans. Was die Beziehung der Deutschen im allgemeinen zu Revolutionen angeht – nun, ich möchte mir Lenins spöttische Bemerkung hierzu verkneifen.
Doch der Hype mit dem bewussten Foto existiert ja mehr oder weniger ungebrochen weltweit. Und da gibt es eine ganze Reihe von Ländern – und Bewegungen in ihnen – in denen die Revitalisierung Che Guevaras alles andere als oberflächlich abläuft. Besonders in Lateinamerika, wo er zu Hause war, erinnern sich noch viele gut an das, wofür er lebte und wofür er starb. Er ist nach wie vor das Lieblingsmotiv bei Massendemos, die wieder häufiger werden, seitdem der Kapitalismus, der sich als Herrscher über die Politik zunehmend unangreifbar fühlt, dreister auftritt als je zuvor. Und wenn die »indignados« der Welt dabei optisch zum Revival des Che beitragen, tun sie dies garantiert nicht, weil sie ihn so cool als Biermarke oder Autosticker finden.
Ihn zu töten war ein Riesenfehler. Sie hätten ihn scheitern lassen sollen. Die hartleibigen, verschlossenen Campesinos in Bolivien, die der Che zu ihrem Unverständnis dazu auserkoren hatte, Streichholz für einen Flächenbrand zu werden, waren ja schon dabei, ihn zur Verzweiflung zu bringen. Gewiss gefällt denen, die ihn lieben und bewundern, der Gedanke, dass er am Ende siegreich gewesen wäre, wenn er nur mehr Zeit gehabt hätte.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren. Seine Feinde hatten nicht die Geduld, ihn gewähren zu lassen und griffen mit brutaler Gewalt in die Geschehnisse ein. Die Kugeln, die Che Guevara – als Gefangenen – hinrichteten, beendeten jedoch keinen Prozess, sondern brachen ihn ab! Das ist nicht dasselbe. Und die seinem Leben ein Ende setzten, verstanden das auch instinktiv: Ihn zu töten, würde nicht ausreichen, um vor ihm sicher zu sein. Die Vorstellung von dem, was hätte sein können – was er hätte sein können – würde die Menschen noch lange beschäftigen.
Heute – 45 Jahre nach seiner Ermordung – sind viele von denen tot, die ihn damals haben umbringen lassen. Dass hingegen er tot ist – wenn man es nicht historisch wüsste, so würde man's nicht glauben! Er lebt in den Erinnerungen so vieler anderer Lebendiger, deren Dasein zu beeinflussen er niemals aufgehört hat. Er lebt in Vorträgen, Workshops, Hochschulseminaren, zahllosen Büchern und Filmen. Er lebt in den Augenzeugendokumenten seiner Kinder, die begehrte Gäste auf politischen Events sind. Und er lebt in diesem weltbekannten Foto, das für die Ewigkeit gemacht scheint. Das Foto allein könnte eines Tages jenen, die sich auf so feige Art seiner entledigten, und ihren nicht weniger verächtlichen derzeitigen Gesinnungsspießgesellen noch den Hals umdrehen…
Ulli Fausten
CUBA LIBRE 1-2013