Am 3. Februar 2013 sind in Kuba rund 8,5 Millionen Wahlberechtigte zur Abstimmung über die Zusammensetzung der 16 Provinzparlamente (Asambleas Provinciales) und der Nationalversammlung (Asamblea Nacional) aufgerufen. Den Termin hatte der Staatsrat am 27. November letzten Jahres beschlossen, nachdem sich zwei Tage zuvor alle 168 Kommunalparlamente (Asambleas Municipales) konstituiert hatten.
Nach der kubanischen Verfassung und dem Wahlgesetz aus dem Jahr 1992 werden die Bürger auf der Gemeindeebene alle zweieinhalb Jahre zu den Urnen gerufen, während die Provinzparlamente (Asamblea Provincial) und die Nationalversammlung (Asamblea Nacional) der Volksmacht (Poder Popular) alle fünf Jahre gewählt werden. In der Periode 2012/2013 finden Neuwahlen für alle drei Ebenen statt. Stimmberechtigt und wählbar sind alle im Land lebenden Kubanerinnen und Kubaner ab 16 Jahren. Kandidatinnen und Kandidaten für die Nationalversammlung müssen allerdings mindestens 18 Jahre alt sein. An den aktuellen Abstimmungen können rund 200 000 junge Wähler zum ersten Mal teilnehmen.
Viele Kandidaten gehören keiner Organisationen an
In einem umfangreichen Diskussionsprozess, der vom 3. bis zum 29. September 2012 landesweit in 50 963 Versammlungen der Wahlbezirke stattfand, hatten sich über 32 000 Kandidatinnen und Kandidaten für die Kommunalparlamente präsentiert und den Fragen aus der Bevölkerung gestellt. Anders als hierzulande in Medien berichtet, gehörten viele Kandidaten weder der Kommunistischen Partei Kubas ( PCC ) noch irgendeiner anderen Organisation an. In jedem Wahlbezirk konnten zwischen zwei und acht Bewerber antreten. Nirgendwo hat es nur einen Kandidaten gegeben.
Wegen der Zerstörungen durch den Hurrikan »Sandy« hatten sich die Kommunalwahlen über einen Zeitraum vom 21. Oktober bis zum 18. November hingezogen. In einigen Wahlbezirken, in denen kein Kandidat die erforderliche Stimmenzahl erreicht hatte, mussten Stichwahlen durchgeführt werden. Am 25. November hatten sich dann die 168 Kommunalparlamente mit insgesamt 14 537 Delegierten konstituieren können. In vielen hat eine Verjüngung stattgefunden. Rund 64 Prozent der Abgeordneten sind zwischen 41 und 50 Jahre alt, knapp 46 Prozent der Gewählten sind Frauen. Ein Anteil der in kaum einem anderen Land der Welt erreicht wird. In der Stadt Caibarién in der Provinz Villa Clara ist mit der 48-jährigen Adela Hernández die erste Transsexuelle Kubas in ein öffentliches Amt gewählt worden.
Probleme der Wähler stehen im Vordergrund
Wer gewählt wird, behält seine Arbeitsstelle und leistet die politische Tätigkeit in der Freizeit. Nur wenige Kommunalpolitiker werden freigestellt. Sie erhalten dann weiterhin ihr übliches Arbeitsentgelt. Die Versammlungen vor den Wahlen dienten nicht der Selbstdarstellung der Kandidaten, sondern waren ein Forum für die Bürger, in dem sie Probleme im Stadtteil ansprechen, ihre Erwartungen äußern und konkrete Anforderungen an die Bewerber stellen konnten. Nach den Wahlen müssen sich die Delegierten im Alltag vor Ort bewähren. Sie kümmern sich um Probleme im Wahlbezirk wie zum Beispiel Ausbesserung von Straßen, Verbesserung von Beleuchtung, Zebrastreifen für Schulkinder, Renovierungen von Kindergärten und Schulen, Wasser- und Stromleitungen. Gemessen werden sie an ihrem tatsächlichen Engagement und nicht an den Versprechen vor der Wahl. Anders als in kapitalistischen politischen Systemen können die kommunalen Mandatsträger jederzeit von einer Mehrheit der Wahlberechtigten in ihrem Wahlkreis wieder abgewählt werden.
Wahlen ohne Medienrummel
Die im Westen üblichen, Millionen verschlingende und von Werbeagenturen entworfene Medienwahlkämpfe, in denen von der Wirtschaft und Interessenverbänden gesponserte Parteien Programme präsentieren, die für die Politiker nach der Wahl nicht mehr verbindlich und für deren Wähler nicht mehr einklagbar sind, sind in Kuba unbekannt. Die Wahlen sind frei und geheim. Für die Abstimmung stehen Kabinen und Urnen zur Verfügung, die von Schülern symbolisch bewacht werden. Eine Wahlpflicht gibt es in Kuba nicht, obwohl das von Gegnern des kubanischen Systems oft behauptet wird.
Die Hälfte der Kandidaten für die beiden höheren Ebenen wurde Mitte Dezember letzten Jahres von den Kommunalparlamenten vorgeschlagen, die Nominierung der anderen 50 Prozent erfolgt durch soziale Organisationen wie Gewerkschaften, sowie den Verbänden der Frauen, Bauern, Studenten und Nachbarschaftskomitees.
Auch die Abgeordneten der Provinzparlamente und der Nationalversammlung werden von den wahlberechtigten Bürgern direkt gewählt. Die Nationalversammlung der Volksmacht (Asamblea Nacional del Poder Popular) hat nach der kubanischen Verfassung konstituierende und gesetzgeberische Macht. Ihr jetziger Präsident ist der Politiker und Doktor der Philosophie Ricardo Alarcón de Quesada. Das derzeitige (2008 gewählte) Nationale Parlament besteht aus 614 Abgeordneten.
Die vom Volk in direkter Wahl legitimierten Vertreter wählen in der ersten Sitzung des neuen Parlaments dann aus ihren Reihen den Staatsrat (Consejo del Estado), der die Aufgaben der Nationalversammlung zwischen deren in der Regel zweimal jährlich stattfindenden Sitzungen wahrnimmt, die laufenden Geschäfte führt, die regulären Sitzungen vorbereitet und zu besonderen Anlässen außerordentliche Sitzungen einberuft. Auch der Vorsitzende des Staatsrats wird von den Parlamentariern in geheimer Abstimmung gewählt. Als höchster Repräsentant des kubanischen Staates ist der Staatsrat gegenüber der Nationalversammlung berichts- und rechenschaftspflichtig, wird also vom Parlament kontrolliert. Nationalversammlung und Staatsrat bestellen den Ministerrat. Vorsitzender des Staats- und des Ministerrats ist seit 2008 Raúl Castro Ruz.
In der Wahlperiode 2012/2013 finden die ersten allgemeinen Wahlen zu allen drei parlamentarischen Ebenen seit der auf dem 6. Parteitag der PCC im April 2011 begonnenen Diskussionen über die Aktualisierung des sozialistischen Gesellschaftsmodells statt.
Ausführliche Informationen über das kubanische Parlament und dessen Einrichtung gibt es in spanischer Sprache unter http://www.parlamentocubano.cu/
Volker Hermsdorf
CUBA LIBRE 1-2013