Impressionen aus einem fruchtbringenden Sommer in Havanna
Heiß war er, selbst die Meteorologen fanden ihn noch heißer als gewöhnlich. Aber es war ein Sommer voller Mangos, Avocados und
Bananen.
Teilweise brachen die Äste von Mangobäumen, weil sie die Last der riesigen Früchte nicht mehr tragen konnten. Die Ertrag muss
überwältigend gewesen sein. Teilweise kamen soviel Früchte auf einmal, dass die Fabriken den Massen nicht Herr werden konnten,
weil sie auf solche Mengen nicht ausgerichtet sind. Die üblichen Transportprobleme trugen auch dazu bei, dass manche Ware
verrottete, bevor sie den Verbraucher erreichen konnte. Aber das Angebot auf den Märkten war groß. Selbst Kartoffeln gab es und
– noch nie da gewesen – Schnittlauch. Anscheinend entdecken die Kubaner langsam ihre Liebe zu Gesundem.
Moringa oleifera (Meerrettichbaum) |
Moringa, immer wieder Moringa
Seit Fidels Reflexion ist die berühmte Moringa in aller Munde. Da hat es schon gereicht, dass der kubanische Revolutionsführer
den Anbau dieser Pflanze als Nahrungsmittel fördern möchte, dass plötzlich z. B. in der Dominikanischen Republik ein regelrechtes
»Moringa-Fieber« ausgebrochen ist. Die Pflanze, die dort überall wild wächst, wird plötzlich in der Hauptstadt für 100 Pesos
(etwa 2,5 Dollar) pro Paket (ein Zweig mit Blüten) angeboten. Die sozialen Netze und die interaktiven Radio- und Fernsehprogramme
(die Politiker eingeschlossen) werden nicht müde, die Wohltaten dieser Pflanze zu preisen. Und es ist tatsächlich wissenschaftlich
erwiesen, dass die Pflanze nahrhafter ist als Milch, Fleisch, Bananen und anderes Obst, ja sogar als Möglichkeit angesehen werden
kann, die Mangelernährung mit ihren diversen Auswirkungen wie zum Beispiel die Blindheit bei Kindern wegen Vitaminmangels zu
bekämpfen. Außerdem wird der Pflanze nachgesagt, einen großen Anteil an der wiederhergestellten Gesundheit des Comandante zu
haben, was ihr mancherorts den Ruf einer Wunderpflanze einbrachte.
Auch in Kuba wächst sie wild und auch dort hat man begonnen, sie jetzt in großem Stil anzubauen. Man kann sie als Salat essen
aber auch die Tiere mögen sie.
Fidels Begeisterung für Moringa und Makrobiotisches passt auch in das Heilpflanzen-Konzept der pharmazeutischen Industrie. Dort
gibt es viele Projekte mit China und Brasilien, die auf dem Gebiet der Naturheilkunde forschen. Ich selbst habe nun mein
Migränemittel gewechselt, vom kubanischen Ergofein zum kubanischen Migraprecol, rein pflanzlich, entstanden aus einem
kubanisch-brasilianischen Forschungsprojekt. Es enthält unter anderem Ingwer, den die Pharmaindustrie inzwischen in größerem
Rahmen in Pinar del Río anpflanzen lässt.
Die Mühen des Alltags
Ansonsten geht der Alltag mit seinen Höhen und Tiefen weiter. Gladys von gegenüber hat ein Fenster zur Straße als Verkaufsstand
hergerichtet mit einer Markise zum Schutz gegen die Sonne. Sie hat vor einem Jahr angefangen, morgens an die Beschäftigten der
umherliegenden Betriebe Kaffee zu verkaufen. Inzwischen hat sie ihr Sortiment auf kleine Kuchen, Brötchen und Säfte erweitert.
Es läuft bestens und am späten Vormittag kann sie zumachen. Damit bessert sie ihre Rente auf und mit dem Geld konnte sie das
Haus herrichten. Nicht weit davon entfernt, in der Calle Neptuno, hat die Bewohnerin der Erdgeschosswohnung auch ihr Glück
versucht und ihre Verkaufsstelle liebevoll »La Perla« genannt. Es hat ihr aber nichts genutzt. Die Nachfrage war derart gering,
dass sie ihr Geschäft bald danach wieder schließen musste. Wie sie die verlorene Investition verkraftet, weiß ich nicht.
Foto: Roberto Suárez / Juventud Rebelde |
Kredite, Kreditkarten und Banken mit Kühlschränken
Kredite aufzunehmen, um sich selbstständig zu machen, ist nicht so einfach, wenn man keine Sicherheiten hat. Die Banken sind da
sehr zurückhaltend – nach den Erfahrungen, die sie während der »energetischen Revolution« gemacht haben. Damals wurde den
Kubanern die Möglichkeit gegeben, energiesparende, teils durch Kredite finanzierte Kühlschränke zu erwerben. Die Maßnahme war
auch ein voller Erfolg, was das Strom sparen angeht. Für die Banken aber weniger. Viele Kubaner konnten mit dem Geld, das sie
verdienen, die Kredite nicht zurückzahlen. Die Banken hatten jetzt zwar die ganzen Kühlschränke als Sicherheit, aber wussten
nicht wirklich, was sie mit Tausenden von nicht ganz bezahlten Kühlschränken anfangen sollten. Sie haben das Ganze auf die
Verlustliste gesetzt, möchten aber jetzt nicht noch einmal ein Risiko dieser Art eingehen.
Auch wenn die Gehälter noch nicht wesentlich mehr hergeben, so hat doch jetzt fast jeder Kubaner eine Kreditkarte, mit der er,
sofern dies sein Konto hergibt, in »Devisenläden« einkaufen und sich sein Gehalt vom Automaten ziehen kann. Das führt zwar nicht
dazu, dass man mehr Geld hat, aber es hat eine psychologische Wirkung, dass es weiter geht.
Foto: Raúl Pupo / Juventud Rebelde |
Wie komme ich von A nach B ?
Der Transport in der Hauptstadt bleibt weiterhin ein Problem, das auch die Tausenden von herumfahrenden privaten Taxen nicht
gelöst haben, weil die Preise weiterhin zu hoch sind. Nachdem man kurze Zeit glaubte, das Transportproblem im Griff zu haben,
als man eine große Anzahl von Bussen aus China importiert hatte, kam bald die Ernüchterung. Viele Busse gingen schnell kaputt,
was zum Teil an der Unachtsamkeit der Fahrer lag. Nun hatte man kein Geld mehr, um Ersatzteile für die Reparatur zu kaufen,
so dass viele Busse bis heute in den Hallen stehen. Jetzt hat man einen Vertrag mit Weißrussland. Und das liefert nicht nur
die Busse, sondern die Ersatzteilfabrik gleich mit. Vielleicht klappt es ja dieses Mal.
Kultur der Spitzenklasse
Das Transportproblem behindert die Teilnahme am kulterellen Leben, obwohl das kulturelle Angebot Havannas wirklich außerordentlich
ist. Aber wenn man als Ehepaar in Nuevo Vedado wohnt und zu zweit für hin und zurück 40 Pesos zahlen muss, dann kann man sich
Kultur schwer leisten. Auch nicht, wenn ein Ballettabend im Garcia Lorca für Kubaner nur 10 Peso pro Person kostet. Das gleiche
gilt für ein Konzert im Museum de Bellas Artes, einem wunderschönen Ort für Konzerte. Viele andere Orte wie der Patio des
Egrem, die Casa del Alba, der Jardín de la Gorda und viele, viele andere Penas an den unterschiedlichsten Orten sind gratis,
aber hinkommen muss man schon.
Kultur und Kunst sind ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens und es ist unglaublich, wie viele hervorragend
ausgebildete, talentierte junge Künstler Kuba zu bieten hat, die in der Bundesrepublik kein Mensch kennt. So konnte man einen
wunderschönen Sonntagnachmittag in der Casa del Alba mit dem Duo Bona Fide erleben mit ihrem beeindruckenden Repertoire an
klassischen Musikstücken und der perfekten Beherrschung mehrerer Saiteninstrumente. Unterbrochen wurde die Darbietung von einem
tiefgründigen Interview mit Pedro Luis Ferrer, das von zwei auf die Leinwand projizierten Auftritten bei einem Konzert in Polen
umrahmt wurde, als der Künstler noch erheblich jünger und schlanker war. Dieser wunderschöne Nachmittag kostete keinen Centavo,
wenn man den Ort des Geschehens zu Fuß erreichen konnte.
Kulturelle Kontroversen
Reggetón, beliebt bei der Jugend mit allerlei Texten unterhalb der Gürtellinie, ist jetzt nach heftigen Kontroversen aus dem
öffentlichen Fernsehen verbannt worden.
Kontrovers wird auch unter kubanischen Künstlern diskutiert.
Dort ist Unmut entstanden, weil offensichtlich diejenigen besonders protegiert werden, die lange Zeit im Ausland gelebt haben
und jetzt zurückgekehrt sind. Dabei geht es nicht darum, dass man Probleme hat, dass diese Künstler wieder in Kuba leben und
wirken. Ganz im Gegenteil, was das angeht, ist man ganz offen. Aber dass die treuen Künstler, die im Land geblieben sind und
seit vielen Jahrzehnten die Kubaner mit ihrer Kunst erfreut haben, jetzt benachteiligt werden, das stößt vielen sauer auf.
Besonders, wenn es solch bizarre Formen annimmt, wie bei Konzerten von Raúl Paz, bei denen Geschenke an das Publikum verteilt
werden. Soll die Sympathie des Publikums gekauft werden ? Auch die häufigen Fernsehauftritte derer und das Platzieren ihrer
Songs im Radio, während die andern nicht gespielt werden, trifft auf Unverständnis.
Aber das Problem ist erkannt, die Kulturschaffenden wehren sich und was Raůl Paz angeht, der mit der Nichte von Carla Bruni
Sarkozy verheiratet ist, wird sich möglicherweise der Reiz des Exotischen bald legen. Der Reiz des Geldes aber nicht unbedingt
und das ist ganz sicherlich auch im Spiel.
Ende der Gleichgültigkeit
Aber auch hier geht man der Sache auf den Grund und die drei ehemaligen Vizeminister und neun andere hohe Funktionäre, die jetzt
wegen Korruption verurteilt wurden, werden nicht die letzten sein.
Es fällt auf, dass die Menschen sich gegenüber offensichtlichem Fehlverhalten zur Wehr setzen. Es wird nachverfolgt, wenn der
Kittel für die Krankenschwester angeblich nicht da war, aber am nächsten Tag eine andere den Kittel sehr wohl bekommen hat, oder
die Zahnfüllung für den einen da ist und für den andern nicht.
Sicher reagieren immer noch viele mit Verständnis auf solche Vorkommnisse, weil jeder weiß, wie schwierig es ist, sein Leben mit
dem regulär verdienten Gehalt zu organisieren, aber es beginnt sich immer mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass es nur besser
wird, wenn sie selber dagegen vorgehen.
Tante Estela
So erzählt Aleida Guevara in einem von Enrique Ubieta veröffentlichten Interview das Beispiel ihrer 88jährigen Tante Estela.
Diese hatte mühsam den Weg zur Poliklinik geschafft, um sich einen Backenzahn behandeln zu lassen. Die Doktorin sagte ihr aber,
es gebe keine Betäubungsspritze. Daraufhin zog es die Tante vor, lieber zu warten. Als sie sich wieder auf den Heimweg machte,
sagte ihr eine andere Frau, dass sie für 10 Pesos die Betäubungsspritze sofort bekommen würde. Die Tante ging entrüstet nach
Hause, unternahm aber nichts dagegen.
Aleida brachte sie dazu, beim Rechenschaftsbericht ihres Delegierten aufzustehen und die Lage zu schildern. Und siehe da, am
nächsten Tag erschien die Ärztin mit einem tragbaren Bohrer bei ihr zuhause und behandelte die alte Dame so, wie es sein
sollte. »Diesen Dingen kann Einhalt geboten werden, aber wir machen es nicht. Das gehört uns, wir haben das erreicht und
wir können uns das nicht wegnehmen lassen. Und wir werden alles verlieren, wenn wir es weiter zulassen.« kommentierte Aleida
den Vorfall. Und das will man immer weniger.
Und außerdem:
Nach 14 Jahren das erste Mal das traditionelle Baseballturnier in Haarlem gewonnen und fast den 15. Platz1 bei den Olympischen
Spielen erreicht, auf jeden Fall die Nr. 1 in Lateinamerika.
1 Einen Tag nach Ende der Spiele wurde wegen eines Dopingfalls Neuseeland eine Goldmedaille zuerkannt, die Cuba auf den 16.
Platz verdrängte.
Renate Fausten
CUBA LIBRE 4-2012