Die ehrliche Haut
Nach Material von Ángel Quintero hatte ich mir Jahre lang die Hacken abgelaufen, bevor ich dann 2011 gleich zwei CDs von ihm fand, beide Baujahr 2008. Wo die sich so lange vor mir versteckt haben? Haben sie gar nicht! In Cuba ist »Copyright« nicht gleich »im Verkauf«. Da müssen Künstler (wie auch Anhänger) zwischen Produktion und Markt häufig einen langen Atem haben.
Das Album »El Paisano« kann ich guten Gewissens empfehlen, da es sich am authentischen Live-Sound der Band orientiert, während mir »Alma y Voluntad« etwas überarrangiert erscheint. Eine alte cubanische Krankheit eigentlich nicht konzertanter Gruppen: Wenn das Londoner Symphonieorchester (oder so was ähnliches) billig zu kriegen ist, können die meisten der Versuchung nicht widerstehen es einzubauen, egal, ob es passt oder nicht.
Ángel ist ein redlicher Arbeiter in der »Nueva Trova«. Jeder, der diese Musikrichtung kennt, kennt ihn. Er verwendet fast ausschließlich selbst komponierte und getextete Lieder ( einige darunter – und das ist für die neue Trova schon bemerkenswert – durchaus tanzbar ), von denen manche inzwischen so bekannt sind, dass sie bei Auftritten vom Publikum mitgesungen werden, z. B. »Solamente una ventana«, »Identidad« oder »Del si y del no«.
Die meisten Songs sind gesellschaftsrelevant, zuweilen auch kritisch, aber nie konterrevolutionär. Er singt oft bei Soli-Events, ohne freilich auf politische Stromlinienförmigkeit abonniert zu sein, und ist ein beliebter »invitado« anderer Trova-KünstlerInnen (etwa Rochy oder Marta Campos). Bei seinen eigenen Open-Air-Gigs ist die Zahl der Fans in der Regel überschaubar. Selten überschreitet sie 150 bis 200 Menschen. Das ist in diesem Genre aber normal. Nur ein Ausnahmevertreter der Gattung wie Silvio Rodríguez zieht signifikant mehr Leute.
Ángel Quintero und seine Gitarre ohne Resonanzkörper (außer einem schmalen Rahmen, Steg und Saiten besteht sie nur aus Luft) hätten mehr Zuhörende verdient. Unsere Freundin Deborah nennt ihn eine »muy buena persona«, ein Begriff, den sie selten gebraucht und der dann stets charakterlich gemeint ist. Ein richtig guter Musiker ist er aber auch !
Ulli Fausten
CUBA LIBRE 3-2012