Kuba von innen
Inmitten einer aufgewühlten und unipolaren Welt, in der einige Anstand und Würde verloren haben, während zugleich die unmoralischen Berichte des US State Department mein Kuba der Menschenrechtsverletzung beschuldigen, ist diese Karibikinsel bestrebt, allen seinen Kindern und Jugendlichen das grundlegendste aller Rechte zu garantieren: das Recht auf Leben.
Anders zu sein als der Rest der Menschheit macht das Leben komplizierter, denn Du bist nicht Teil der Regel, sondern der Ausnahmen. Ich bin ein kubanischer Junge, der seit seiner Geburt an den Folgen einer infantilen Zerebralparese leidet. Was für die meisten Neugeborenen eine fatale Diagnose ist, war für mich der Ausgangspunkt in Richtung eines großen, aber nicht unerreichbaren Zieles.
Als deutsche Freunde mich um eine regelmäßige Kolumne für die Cuba Libre baten, leuchtete mein Gesicht vor Freude, gaben sie mir doch damit die Möglichkeit, einen ganz anderen Blick auf Kuba zu bieten als die Mehrheit der internationalen Medien, denn oftmals verzerren diese großen Informationskonzerne gezielt das Bild von der kubanischen Realität.
In dieser ersten Kolumne geht es mir darum, einen kleinen Einblick in mein Leben zu geben, was gleichzeitig mit sich bringt, von den großen Taten zu sprechen, die das kubanische sozialistische System an seinen Kindern vollbringt, und unter ihnen vor allem an jenen, die an irgendeiner Form von Behinderung leiden.
Ich verstehe mich als ein kubanischer Jugendlicher, der die Gerechtigkeit liebt und folglich die gerechten Anliegen in aller Welt verteidigt.
Auf dem III. Internationalen Jugendtreffen zur Solidarität mit den Fünf Kubanern, 2011 |
Alles für die Kinder
Meine ersten Gehversuche waren das Ergebnis eines dreieinhalbjährigen Kampfes in einer stationären Reha-Klinik in der Landeshauptstadt, gemeinsam mit meiner Mutter und mit der Unterstützung meines Papas, der jedes Wochenende die 556 Kilometer von Camagüey nach Havanna kam. Zum Zeitpunkt meiner Einlieferung hinderte mich eine spastische Tetraparese daran, meine Arme und Beine zu bewegen. Bei meiner Entlassung konnte ich aus eigener Kraft das Krankenhaus verlassen, und die Behandlung kostete uns nicht einen einzigen Centavo. Möglich war das nur, da ich das Privileg genieße, in Kuba geboren und Kind einer Revolution zu sein, die niemanden im Stich lässt.
Zu den guten Taten gehörte, dass meine Achillessehne mehrmals operiert wurde und ebenso mein rechter Arm, um die Bewegungsfähigkeit meiner Hand zu verbessern. Diese Eingriffe erforderten Medikamente, die für das kubanische Gesundheitssystem sehr kostenintensiv sind, da sie aufgrund der Blockade in Drittländern gekauft werden müssen. Trotzdem haben sie mir nie gemangelt, und niemals fragte irgendjemand meine Familie danach, wie viel Geld sie für meine Behandlung auszugeben bereit wäre.
Dieses wundervolle Werk der Liebe, das zum Glück aller am 1. Januar 1959 das Licht der Welt erblickte, stellte mir eine Armada von Männern und Frauen zu Verfügung, die mir jene Zuneigung und Zärtlichkeit zukommen ließen, die den von der kubanischen Revolution ausgebildeten Pädagogen eigen ist. So kam es, dass ich mit vier in einer Sprach-Sonderschule landete, wo ich eine logopädische Behandlung und Ausbildung bekam.
Gelebte Inklusion in Kuba
Ich erinnere noch genau, wie ich in jenem kleinen Schulhof, im Angesicht unserer Fahne, der Büste von José Martí und einem Bild von Che Guevara, das blaue Pioniertuch um den Hals gebunden bekam. Außerdem erinnere ich den unvergesslichen Tag, an dem es mir unter vielen Anstrengungen und Aufwand gelang, meine ersten Buchstaben zu malen.
Weil ich nur unter großen Mühen schreiben konnte, entwarf eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe ein Programm, um mich in das reguläre Schulsystem einzugliedern. Im Zuge dieses Planes begann ich, regelmäßig am Computer zu arbeiten, lernte programmieren und begann, die Technologie in meiner schulischen Weiterbildung zu nutzen.
Es kam der Zeitpunkt, an dem ich die alte Schule verlassen und mich auf die neue einstellen musste, was sowohl für mich als auch für meine Familie schwierig genug war. Aber ich gewöhnte mich schnell ein und wurde Teil der Gemeinschaft, als hätte ich immer dazugehört und konnte dabei, ganz entscheidend, mit der einzigartigen Unterstützung seitens der Lehrerin rechnen, die mich an dieser Schule in Empfang nahm.
Voller Zuneigung erinnere ich, wie unser Sportlehrer, da ich ja nicht rennen konnte, mir beibrachte, mit einer Hand die Baseballkugel zu fangen und zu werfen. Einmal nahm er mich zu einem Sportquiz mit, wo ich den ersten Platz belegte. Das erhöhte mein Ansehen unter den anderen Kindern und machte den Weg frei, um das Baseballteam anzuführen, welches er trainierte. Ich war überglücklich.
Mit 7 Jahren konnte ich dann in die reguläre Schule überwechseln. Da meine Hände in Folge meiner Erkrankung nur begrenzt funktionsfähig sind, konnte ich zunächst nicht schreiben, aber meine Revolution stellte mir abgesehen von den Schulcomputern auch einen PC für zu Hause zur Verfügung. Mit diesem Computer standen mir meine Träume genau so offen wie jedem anderen Kind. Diese Entscheidung verdient allen Respekt, wenn man die begrenzten Möglichkeiten bedenkt, über die unsere Insel verfügt.
Ein Gesundheitssystem, in dem der Mensch und nicht die Kostenersparnis im Mittelpunkt steht
Die Spastik des Armes war nur durch Botulínica (Botox) zu bekämpfen, ein Medikament, dessen Preise durch seine Anwendung in der Schönheitschirurgie in den Himmel geklettert sind, und durch die Blockadepolitik, wegen derer dieses Medikament wie viele andere über teure europäische Zwischenhändler beschafft werden musste. Ich jedoch erhielt es, ohne, dass meine Familie auch nur einen Centavo zu zahlen gehabt hätte.
Abgesehen vom Hospital Julito Díaz, welches ich bereits erwähnte, und dem Hospital Neurológico Nacional, wurde ich auch im CIREN ( Internationales Neurologisches Reha-Zentrum ) von Dr. Maragoto behandelt. Außerdem war ich eine Zeit stationär im Hospital Ortopédico Frank País und im Hospital Wiliam Soler. Als meine Eltern mich dort anmeldeten, fragte sie niemand nach einer Krankenversicherung, nach »Medicare« oder danach, ob sie Kommunisten sind: Ich wurde schlichtweg behandelt.
Gelebte Solidarität
Meiner Behinderung zum Trotz habe ich mich dem Kampf für die Freiheit der fünf in den USA gefangen gehaltenen Kubaner gewidmet, die dafür eingesperrt sind, unser Volk gegen von Florida aus verübte terroristische Akte geschützt zu haben. Ich habe dazu in meiner Provinz die höchsten Erhebungen, den Pico Tuabaquey und den Gaspar Najasa erklommen, und in der Sierra Maestra bestieg ich die ehemalige Guerilla-Kommandantur in La Plata, den Pico Mella und habe mir vorgenommen, auch den Pico Turquino, den höchsten Gipfel Kubas, zu meistern. Ich habe im Sinne der weltweiten Solidarität an internationalen Treffen und Events teilgenommen, Artikel geschrieben, und nach meinen Möglichkeiten treffe ich mich mit allen wohlgesonnenen Personen, die uns helfen können, das Volk der USA darüber zu informieren, dass in ihren Gefängnissen unschuldige Kubaner sitzen, als ein Ausdruck des kalten Krieges, der für ihre Regierung auch über 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer noch nicht beendet ist.
Kuba ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe
Anders zu sein hat mich nicht davon abgehalten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Ich habe zwei Websites und einen Blog (http://jorgitoxcuba.wordpress.com/), ich habe an Kongressen der Pionierorganisation teilgenommen, der Komitees zur Verteidigung der Revolution ( CRD ), ich war immer ein Schülervertreter und habe vom Präsidenten der Republik die herzlichste Umarmung meines Lebens erhalten.
Sport hat mir immer Spaß gemacht, weshalb ich begann, Schach zu spielen und die Sportförderschule der Provinz besuchte. Ich wurde für drei Jahre in das Sekretariat der Schülerorganisation FEEM gewählt, zunächst in die Internationale Abteilung, dann als Ideologieverantwortlicher.
Das Beispiel von Menschen mit Behinderungen, die nicht aufhören, für eine gleiche und gerechte Welt zu kämpfen, gibt mir die Hoffnung, dass nirgendwo auf unserem Planeten ›Behinderung‹ gleichbedeutend mit ›Limitierung‹ zu sein hat. Vorausgesetzt, wir fühlen uns gegenüber dem Leben und dem, was wir lieben, engagiert und gehen die Dinge von Herzen und mit Siegeswillen an. Denn solange man atmet, ist man engagiert, und so man denn atmet, muss man ein Paar Beine und ein Paar Hände erfinden und ein Herz, um für diese Welt zu kämpfen.
Heute bin ich Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes, wie viele Jugendlichen meiner Insel studiere an der Universität Journalistik, was mir einmal helfen wird, die Wahrheit über mein Vaterland zu verteidigen, welche, wie gesagt, so oft von den großen Informationsmedien verborgen und verdreht wird.
Wo eine andere Welt schon tägliche Praxis ist
Diesem sozialistischen Kuba verdanke ich alles, was ich bin. Was wohl aus mir geworden wäre, wäre ich in einem kapitalistischen Land in Armut zur Welt gekommen, oder hätte ich in einem Dritteweltland mit meiner Behinderung zurechtkommen müssen? Ich wäre wohl nicht mehr am Leben. Deshalb will ich mich weiterbilden, um meinem Vaterland von Nutzen zu sein. Denn die Kontrolle meiner Hände und Beine mag eingeschränkt sein, aber mein Geist und mein Herz dienen dieser Revolution.
Jorgito Jerez Belisario
CUBA LIBRE 3-2012