Nach Cuba hineinstolpern

Die Revolution setzt sich leise fort,wie die Zeiten sich eben ändern

An meinem ersten Tag in Cuba im Jahre 1967 wartete ich in einer Schlange für den Bus, die eigentlich eine Conga-Schlange war. Vor mir waren zwei große, ulkige Frauen in blendend gelben Rüschen; eine trug eine extra-lange Bongo unterm Arm. Als der Bus ankam, wegen der Einweihung der neuen Buslinie in den kubanischen Farben bemalt, gaben sie bekannt, dass der Gringo erst kürzlich aus London gekommen und daher für diesen Bruch der amerikanischen Blockade persönlich zuständig gewesen sei. Das war eine Ehre, die ich nicht ablehnen durfte.

Der Bus war ein Leyland, in Lancashire hergestellt, einer von 400 die nach Cuba geschickt wurden – trotz Washington, das der Revolution von Fidel Castro den Krieg erklärt hatte. Mit der "Internationale" und "Love Me Do" im Bongo-Takt – denn die Beatles "wurden zur Revolution zugelassen" – ruckelten wir durch die winkligen Straßen Havannas. Diese liebe Erinnerung begleitete mich jetzt bei meiner Rückkehr nach Cuba; doch, wenn ich zurückblicke auf das, was ich damals schrieb, stelle ich fest, dass ich das Wort "Melancholie" mehr als einmal gebrauche. Trotz aller natürlichen Wärme der Kubaner, die Härte ihrer aufgezwungenen Isolierung brachte weniger Lächeln und abgewandte Augen sobald die Musik aufhörte.

Außer den verstaatlichten amerikanischen Warenhäusern – ihre Fenster leer außer dem elektrischen Licht aus China, das die Kubaner gar nicht brauchten – und der flackerndn Kette von Lichtern über dem fast völlig leeren Hafen, gab es die Silhouette des amerikanischen Spionageschiffs, der USS Oxford, das die Strafe gegen Cuba überwachte. Dazu hatte 1968 die Revolution die eigene Dummheit beigtragen, indem sie alle Kleingeschäfte schloss, darunter auch die paladares, Havannas lebhafte Bars und Restaurants. Die Sowjetära hatte begonnen.

Die Notwendigkeiten des Überlebens brachte nun eine verdrießliche Anwesenheit von russischen Beratern. Cubas Haupternte, Zucker, ging fast völlig in die Sowjetunion wegen einer 1961 lebensrettenden Vereinbarung Che Guevaras, der wenig Zeit für die sowjetische Version des Kommunismus hatte. Die Dringlichkeit wurde im nächsten Jahr durch US-Außenminister (Secretary of State) Dean Rusk offensichtlich, der sich die Frage stellte, ob nicht "die Zeit heran sei, das Cuba Problem damit zu beseitigen, indem man eben die Insel beseitige."

Der unerbittliche Terrorismus der CIA gegen Cuba schloss mehrfache Versuche ein, Castro zu ermorden sowie die Explosion eines kubanischen Flugzeugs mit dem Tod der 73 Insassen. Drei amerikanische Präsidenten spannten den Schraubstock der Blockade mit solchem Erfolg fest, dass die Kalorienaufnahme der Kubaner in den 1990er Jahren um ein Drittel sank. Noch heute wird Cuba daran gehindert, fast die Hälfte aller weltweit verbreiteten Medikamente in einem Markt zu kaufen, der von den USA dominiert wird. Eine Katastrophe wurde nur verhindert, so meinte die US-amerikanische Assoziation der Weltgesundheit, durch die außerordentlichen Priorität welche die kubanische Regierung der Volksgesundheit beimisst. Für mich hatte die Ankunft in einer lateinamerikanischen Gesellschaft, in der keine erdrückende Armut Tränen hervorruft, beinahe Schockwirkung.

"Die harten Züge in Cuba zu verschärfen", meinte einst in nachdenklichen Worten ein amerikanischer Diplomat, "werden das Maß von unserem Erfolg, nicht von dem ihrigen." Damit meinte er die autoritäre Linie, die von oben nach unten durchgereicht wurde, manchmal drakonisch, sowie die kleinlichen Einschränkungen und die Behinderungen gegen ernsthafte Dissidenten. Wo es möglich wurde sind viele Kubaner weggegangen. Heutzutage sind die harten Züge weicher geworden, vielleicht gar bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die gebildete Jugend hat ihre Entfremdung offenbart. Raoul Castro, der 2008 seinen Bruder als Präsident ersetzt hat, sagte, dass der Bürokratismus, dem er sein Leben lang gedient hatte, "seit Jahren an veraltete Kriterien geknüpft war." Er möchte die Amtszeit des Präsidenten auf zwei fünfjährige Perioden reduzieren: ein Vorschlag, der einst undenkbar war.

Wo die Sowjetära nun in den verstreut rostenden Raketenhülsen am Hang neben Che Guevaras Haus erhalten wird, scheint Cuba entschlossen zu sein, die Unabhängigkeit wieder zu erlangen, die ihre ursprünglich heldenhafte Errungenschaft war: wenn auch nicht vollkommen, doch der Vorreiter von heutigen Revolutionen zu sein.

Während er mit der Gangschaltung seines 1952er kanariengelben Chevrolet-Kabriolett hantierte, wies Juan Ramon Ramirez stolz auf das kardiologische Institut wo, völlig ohne Bezahlung, sein Leben gerettet wurde. Im größten Teil von Lateinamerika wäre er wahrscheinlich jetzt schon tot.

Schon seit längerer Zeit hat der Tourismus den Zucker ersetzt, mit den Vorteilen von Arbeitsstellen und Devisen - aber dem schweren Nachteil einer gespaltenen Währung. Als ich zum ersten Mal herkam war Havannas großes domähnliches Hotel, das National, derart desolat in seiner echoreichen Leere, dass mir Errol Flynns Zimmer 235 angeboten wurde – sowie ein Wäschedienst, wobei ein Mann im dunklen Anzug und mit Sonnenbrille meine Hemden mit einem mächtigen 1940er Cadillac LaSalle, dem Wagen der "Unberührbaren", irgendwo hinbrachte.

Heute blicken die großen Türen aus Teakholz und die Korinthischen Säulen auf Europäer mit nett verpackten Backpacks. Immer noch spielt eine Jukebox, und es gibt eine Liste von "nostalgisch berühmten" Zimmern: Mafia 211, Nat King Cole 218, Ava Gardner und Frank Sinatra 224, Fred Astaire 228, Johnny Weissmuller (Tarzan) 232. Dass ich, ein passionierter Schwimmer, Runden drehte im gleichen Schwimmbecken wie der große Weissmuller, einer der schnellsten Schwimmer aller Zeiten, war ein Ausgleich dafür, dass ich das Art-Deco Spielplätzchen von Errol Flynn entbehren musste.

Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura Fuentes schildert die Attraktivität seines Landes als einen "Magnetismus, manchmal morbid, manchmal attraktiv", der keinen indifferent lässt. Radios die knistern, ein neues Flughafenterminal wo Vögel nisten, das frühmorgendliche Schnarchen eines Beamten an der Passkontrolle und die fühlbare Ambivalenz des Stolzes und der Frustration gehören zu einer Revolution, die Tausende von Ärzten in die ganze Welt hinausschickt zu dem einzigen Zweck, anderen Menschen zu helfen: ein epischer Internationalismus.

Die Vorstellung, dass Cuba dem Gängelband entschlüpft ist, stellt immer noch eine Bedrohung dar für den zeitverschobenen Glauben der Vereinigten Staaten an die eigenen Macht und das beanspruchte Recht, andere Gesellschaften zu definieren. Wie Richard Gott in seinem schönen Buch "Cuba: A New History" ausführte, hat der Schöpfer des modernen Cuba, el maximo lider Fidel, indem er seine Losung von "Sozialismus oder Tod" durch "Eine bessere Welt ist möglich" austauschte, dafür gesorgt, dass es wenig Änderung geben wird, wenn er stirbt; denn völlig unabhängig von den Machenschaften am anderen Ufer der Florida-Straße – die Änderung hat schon stattgefunden.

John Pilger, in Australien geborener, in London arbeitender Journalist, Filmemacher und Autor.
Durch seine Auslands- und Kriegsreportagen, die von Vietnam und Kambodscha bis zum Nahen Osten reichen, hat er zweimal die höchste britische Auszeichnung für Journalistik bekommen. Für seine Dokumentarfilme erhielt er den Preis der Britischen Akademie und den Sydney-Friedenspreis. Sein neuester Film heißt "The War on Democracy" ("Der Krieg gegen die Demokratie").

Logo CUBA LIBRE John Pilger, Truthout, 3. August 2011
A.d. Engl. Victor Grossman

CUBA LIBRE 4-2011