Der beste Platz am 1. Mai in Havanna

Auf der Tribüne

Die internationale Brigade zum 1. Mai zeichnete sich wieder aus durch ein ambitioniertes Programm und durch eine vorzügliche Organisation des ICAP im Campamento Internacional Julio Antonio Mella bei Caimito, circa 40 km von Havanna entfernt.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 27 Ländern arbeiteten, diskutierten und feierten zusammen mit den cubanischen compañeros. Dabei gibt es auch einen regen internationalen Austausch. Die Chilenen informierten engagiert über die Repression gegen die Mapuche, eine indigene Bevölkerungsgruppe, die in Chile lebt, und die südkoreanischen Teilnehmer zeigten einen eineinhalbstündigen dokumentarischen Film über eine Fabrikbesetzung und die gewaltsame Räumung und die Rolle der südkoreanischen Gewerkschaft in den Kämpfen.

Das zentrale tägliche Programm mit einer Flut an Informationen wurde natürlich von den CubanerInnen angeboten. Neben einer gelungenen Veranstaltung zum cubanischen Gesundheitssystem, vorgetragen von einem cubanischen Arzt, der auch die anschließenden Fragen prägnant und mit Fachwissen beantwortete, besuchten Angehörige der fünf in den USA seit über zwölf Jahren gefangenen Cubaner das Campamento, informierten zum Sachstand und standen für Fragen zur Verfügung.

Der Redaktionschef der Zeitung trabajadores stellte kurzweilig die cubanische Position zur nationalen und internationalen Medienpolitik dar. Da sich aktuell einige cubanische Agenten enttarnt hatten und in den cubanischen Medien die US-gesteuerte Finanzierung der sogenannten Opposition enthüllten, wurde ein Film gezeigt, der diese Zusammenhänge dokumentierte. Zwei weitere Filme setzten sich mit der militärischen US-Flottenbasis bei Guantanamo auseinander und zeigten, welche Vielfältigkeit die Provinz Guantanamo ohne Yankee-Armee und Folterlager an kulturellem und natürlichem Reichtum aufweisen kann.

Neben dem Besuch des Revolutionsmuseums, einer faszinierenden Aufführung der Theatergruppe "La Colmenita" im Convento de San Francisco de Asís in Havanna und einer kulturellen Veranstaltung mit Musik und Abendessen in der Casa de la Amistad - ebenfalls in Havanna - beeindruckte vor allem, dass es bei den Veranstaltungen stets möglich war, authentisch mit den Aktiven und Verantwortlichen zu sprechen. So leitete die Veranstaltung zum Gesundheitssystem ein Arzt, der auch an internationalen Missionen teilgenommen hatte und über die Medienpolitik sprach der Chefredakteur einer großen cubanischen Zeitung.

Es liegt auf der Hand, dass die Unterbringung, Verpflegung und Organisation der Brigade mit über 230 Teilnehmern mit völlig unterschiedlichem kulturellen Hintergrund, breit gestreuten Interessen, Ansprüchen und Bedürfnissen, unterschiedlichen Altersgruppen und aus unterschiedlichen Organisationen bzw. mit unterschiedlichem Organisationsgrad immer wieder eine erstaunliche cubanische Glanzleistung ist.

Mehr noch: die große Mehrheit der Brigadisten ist begeistert von der Zeit und den Erlebnissen während des Aufenthalts im campamento, obwohl die Privatsphäre quasi am Eingang abgegeben wird (Unterbringung in Mehrbett-Zimmern, kollektives Frühstück, Mittag- und Abendessen im comedor usw.) und das anspruchsvolle tägliche Programm kaum freie Zeit ausweist. Unter diesen Bedingungen entsteht reichlich Dynamik, mit der die compañeras und compañeros vom ICAP allerdings vorbildlich umzugehen wissen. Es gibt bei der morgendlichen Besprechung und im comité coordinador ausreichend informatorische und organisatorische Hinweise, Hilfestellungen, aber auch Spaß und cubanisches Lebensgefühl pur, um einen gelungenen Ablauf dieser politisch wichtigen Initiative zu gewährleisten.

Man könnte meinen: ein Hochlied auf die internationale Brigade 1ero de Mayo. Nein. Das Beste kommt noch.

Die Manifestation am 1. Mai in Havanna.

Sie ist der Gipfel und die Krönung des politischen Teils der Brigade, weil alle TeilnehmerInnen eingeladen sind, den Demonstrationszug von der Tribüne am Platz der Revolution zu begrüßen, ein wahrlich unvergessliches Erlebnis. Morgens um 3.30 Uhr wurden wir geweckt, um gegen 5.00 Uhr pünktlich in Havanna anzukommen.

Zunächst benutzten wir die bereitgestellten Stühle zumindest zeitweise. Der Platz war mit großen Transparenten gestaltet und man konnte langsam erahnen, wie sich der Aufmarsch darstellen würde.

Als nach dem Sonnenaufgang um 7.30 Uhr eine mindestens 50 m breite, geschlossene Front von Demonstranten mit dem Führungstransparent die Fläche von Absperrungsgitter zu Absperrungsgitter füllte, als die cubanische Nationalhymne erklang und die Ansprache von Machado Ventura, die Begrüßung einzelner Gruppen, die im Meer der Hunderttausenden durch Fahnen, Figuren, Plakate herausstachen, über die Lautsprecher tönte, vermischt mit Salsa-Musik, Sprechchören und Parolen, gab es kaum eine compañera oder einen compañero, die oder der in der folgenden Stunde den Stuhl zum Sitzen benutzt hätte. Wenn wir nur 5% dieses Enthusiasmus und dieser Begeisterung in die BRD mitnehmen könnten, wären wir reich.

Natürlich sind es die Bullen und die Verhältnisse, die unsere Aufzüge in schwache, notwendig martialische Formen zwingen. Doch es ist überwältigend, zu sehen, zu hören und zu erleben, welche Kraft und Energie die cubanischen Massen auf die Straße bringen können, was wir noch lernen können und welche Perspektive wir dann haben. Es wird nicht gelingen, die Stimmung, die Freude, den Trubel, aber auch die Einheit angemessen so zu beschreiben, wie sie in Havanna, aber auch in anderen cubanischen Städten am 1. Mai die Straßen beherrschten.

Und so kommen wir abschließend auf den Boden unserer Realität zurück: die Kritik. Im Rahmen der internationalen kulturellen Nacht im campamento, die traditionell von den Brigadeteilnehmern selbst mit Auftritten, Musik, Performance, also Kultur im weitesten Sinne, die mehr oder weniger Ausdruck des jeweiligen Landes sein soll oder sein kann, präsentiert wird, gab es keinen einzigen Beitrag, der den Krieg in Lybien verurteilt hätte. Das wäre ein klarer Auftrag für uns, drei Teilnehmer aus der BRD, gewesen. Wir glänzten jedoch mit einer Nullnummer und hatten gar keinen Beitrag, was noch schlechter ist als eine Aufführung, die nicht den aktuellen Krieg verurteilt. Es geht jetzt nicht darum, unseren kulturellen Totalausfall zu erklären oder zu begründen, sondern auf der europäischen Brigade José Martí vom 4. bis 22. Juli mit einer besseren Planung anzutreten. Die cubanischen compañeras und compañeros zeigen uns, wie man plant, vorbereitet und kämpft – wir schaffen das.

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CDR # 1 Nürnberg

CUBA LIBRE 3-2011