Gedanken zur neuen Arbeitsgesetzgebung

Rosa feierte am 17. Februar 2011 ihren 51. Geburtstag. Sie spricht fließend deutsch und arbeitet bisher als Reisebegleiterin der staatlichen Reiseagentur Cubatur für Touristengruppen aus der BRD. Damit gehört sie zu dem Personenkreis, der durch die Arbeit mit in den Besitz von convertiblen Pesos kommt und wird etwas in den BRD-Medien pauschal und undifferenziert den vermeintlich privilegierten Gruppen der cubanischen Gesellschaft zugeordnet.

Diese vermuteten Vorteile Rosas werden in Wirklichkeit mühsam erwirtschaftet. Gewöhnlich handelt es sich um touristische Rundreisen und die nicht mehr junge Reisebegleiterin muss viele Stunden in den unnatürlich klimatisierten Bussen, weit entfernt vom Lebensgefährten, den Bekannten und der gewohnten Umgebung verbringen. Reisebegleitung lebt oft mit den gepackten Koffern. Dazu kommt, dass es auch Konkurrenz in diesem Geschäft gibt. Im vergangenen Jahr wurde Rosa von AmisCubatur kaum angefordert. Die Aufträge brachen stark ein.

Schon seit langem spielt Rosa mit dem Gedanken, ihre Wohnung in Centro Habana in eine kleine casa particular umzuwandeln. Mit ihrem Einkommen als Reisebegleiterin wird es kaum möglich sein, die Voraussetzungen für das Betreiben einer casa particular zu bezahlen und zu erfüllen. Im Zuge des neuen ley reordenamiento laboral konnte Rosa mit dem Verkauf von croquetas beginnen, einer Art Hamburger Brötchen. Im ersten Monat brauchte sie noch keine Abgaben zu zahlen. Dann soll bilanziert werden und Rosa entscheidet, ob sich die selbständige Tätigkeit rechnet.

"Todo el mundo vende", die ganze Welt verkauft, erklärt die 51jährige, und meint damit die unzähligen kleinen Verkaufsstellen, Theken und Durchreichen, die in den letzten Jahren überall in Cuba aus dem Boden geschossen sind.

Im Zentrum gibt es kaum mehr zehn Meter, in denen nicht selbstgebrannte CDs, MP3s und DVDs, selbstgebackene pasteles, Kaffee, Fruchtsaft, Pizza oder eben croquetas angeboten werden. Auch die Eröffnung neuer Geschäfte und besonders Restaurants, gerade letztere häufig in moneda nacional Währung, fallen auf. Durch die Angebote in der Währung des cubanischen Peso kommt zum Ausdruck, dass auch CubanerInnen, die nicht im Tourismus beschäftigt sind, vom Aufschwung profitieren.

Im Ausland wird ein falsches Bild vermittelt, wenn immer wieder behauptet wird, dass sich der Einkommensabstand zwischen denen, die vom Tourismus arbeiten und dem Rest der Bevölkerung vergrößern würde. Wenn die anticubanischen Medien ihre Propaganda mit Bildern von gestern verbreiten können, sind ihnen auch überholte Verhältnisse recht, um ihre Phrasen zu wiederholen.

Die Verkaufsstellen und fliegenden Händler gibt es nicht erst seit heute

In der Vergangenheit blühte der Schwarzhandel. Mit dem ley reordenamiento laboral wird für Tausende auch die Möglichkeit geschaffen, ihre Gewerbe anzumelden und legal zu verkaufen. Dem illegalen Handel und Verkauf wird mit dem neuen Gesetz in vielen Bereichen die Grundlage entzogen.

Die cubanische Politik hat sich seit dem Triumph der Revolution dadurch ausgezeichnet, dass sie sich niemals gebeugt hat, aber auch unkonventionelle Lösungen und Entscheidungen getroffen hat, die durch eine undogmatische Auslegen glänzen. Die cubanische Führung hat bisher eben nicht die Interessen der Bevölkerung aus dem Blick verloren. Sie hat in Bezug zur Basis auf die Kenntnis der Realität im Lande stets aufrechterhalten. Insofern wird mit dem ley reordenamiento laboral die gesetzliche Grundlage für eine Entwicklung geschaffen, die in Cuba in weiten Bereichen tatsächlich Fuß gefasst hat.

Das ley reordenamiento laboral diszipliniert und setzt Arbeitsmoral durch. Für uns, die wir in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften unter Arbeitshetze, unerträglichem Druck und Auspressung schuften müssen, sind Disziplinierung und die Forderung nach Arbeitsmoral eine Drohung. In Cuba stellt sich das Problem der Motivation und der Identifikation für Arbeiter und Angestellt im Sozialismus völlig anders, in bestimmten Aspekten sogar gegensätzlich dar. In vielen Branchen haben sich Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit so stark eingeschliffen, dass eine Veränderung nur eine Frage der Zeit war. Aus der cubanischen Geschichte kann man über Jahrzehnte ablesen, dass den moralischen Anreizen und Aufrufen auch materielle Anreize und Belohnungen folgen mussten, weil die besten Parolen und profundesten Erklärungen ohne konkrete konsumierbare Verbesserungen stumpf werden.

Julia, die bei der staatlichen Bus-Gesellschaft Viazul angestellt ist, berichtet, dass seit der Verkündung des neuen Gesetzes der Absentismus in der großen zentralen Bus-Station in Guantanamo gegen null geht. In früheren Zeiten wäre das Fehlen am Arbeitsplatz eine regelmäßige Erscheinung im Betrieb gewesen. Die Angestellten bei Viazul möchten nicht in die Selbständigkeit wechseln und bemühen sich um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Carina, die Tochter von Julia, war wiederum in der Gastronomie beschäftigt. Dort musste sie täglich acht Stunden, bisweilen sogar 12 Stunden stehen. Das Einkommen war mager und die Aufstiegschancen existierten eher theoretisch. Sie nahm an einem Kurs zur Umschulung teil, eröffnete anschließend einen Friseurladen in ihrer geräumigen Garage und verdient heute als cuenta propista das doppelte, in manchem Monat das dreifache ihres damaligen staatlichen Einkommens. Sie ist stolz auf ihren Erfolg und konnte sich seit zwei Jahren mit dem Friseurgeschäft in La Maya gut etablieren.

Ein Plädoyer für die Umwandlung einer halben Million staatlicher Stellen in selbständige Beschäftigung? Mitnichten, denn ein Plädoyer wäre deutlicher, fordernder und appellativer zu schreiben.

Die Auseinandersetzung mit der cubanischen Wirklichkeit zeigt wenig bekannte Aspekte, auch Widersprüche. Manchen CubanerInnen kommt die Legalisierung der Selbständigkeit zugute, manche müssen sich anstrengen, weil sie ihren staatlichen Arbeitsplatz erhalten wollen. In der Metropolen betrachten wir als Mitglieder der Freundschaftsgesellschaft und als Unterstützende der cubanischen Revolution diese Entwicklung, die Tendenz zur Privatisierung, skeptisch.

Wenn wir jedoch nicht in die Rolle der Inspektoren, der ausländischen Besserwisser, verfallen wollen – ohne überhaupt die geringsten eigenen Erfolge im antiimperialistischen, internationalistischen Kampf im eigenen Lande vorweisen zu können, die mit der cubanischen Revolution irgendwie vergleichbar wären – dann müssen wir zumindest realistische alternative Vorschläge und Ideen formulieren anstatt nur Vorbehalte zu äußern und weise den Zeigefinger zu heben. Und dann wird es schwierig.

Fakt ist, dass die cubanische Führung wiederum bewiesen hat, dass sie die gesellschaftlichen Probleme kennt und dass sie diese Probleme tatsächlich anpackt. Wir gehen davon aus, dass den cubanischen Revolutionären die Richtung des ley reordenamiento laboral nicht gefällt. Und wir vertrauen darauf, dass die immense Kraft der cubanischen Revolution diesen Widerspruch korrigieren wird.

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CUBA LIBRE 3-2011