Wie allseits bekannt, fand vom 16. - 19. April diesen Jahres der lange verschobene VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Cubas statt, um die "Richtlinien zur Wirtschafts- und Sozialpolitik" zu diskutieren und zu ratifizieren. Der Kongress war so gelegt, dass er zeitlich sowohl mit dem 50. Jahrestag der Invasion in der Schweinebucht als auch mit der Proklamation des sozialistischen Charakters der Revolution zusammenfiel.
Nachdem seit Dezember 2010 mehr als 8 Millionen Cubanerinnen und Cubaner überall im Land an rund 163.000 Versammlungen teilgenommen und ihre Vorschläge eingebracht hatten, mussten diese nun debattiert und schließlich vom Parteikongress verabschiedet werden. Wenn man bedenkt, dass die PCC rund 800.000 Mitglieder hat, kann man erkennen, dass die Debatte weit über die Parteigrenzen hinaus ging und das ganze Volk bewegte.
Die Berücksichtigung der Vorschläge und Bedenken aus dem Volk war nun eine logistische Herausforderungen, die brilliant gelöst wurden. In jeder Provinz wurden alle Bedenken und Vorschläge gesammelt und zu Änderungsvorschlägen verarbeitet.
Während des Kongresses nun wurden die 291 Richtlinien von ihrem Themenschwerpunkt ausgehend auf fünf verschiedene Kommissionen verteilt. Darin saßen die Delegierten aus den Provinzen und zum Thema eingeladene Experten. Für Delegierte und Fernsehzuschauer sichtbar erschienen nun die einzelnen Richtlinien und gegebenenfalls die von den jeweiligen Provinzen vorgeschlagenen Änderungen. Die Vertreter der Provinz, die eine Änderung vorgeschlagen hatte, begründeten ihren Vorschlag. Daraufhin wurde darüber diskutiert und schließlich darüber abgestimmt. Dabei kam es oft zu äußerst knappen Ergebnissen.
Am Ende wurden 16 der ursprünglichen Richtlinien in andere eingebaut, 94 blieben, wie sie waren, 181 veränderten ihren Inhalt und 36 entstanden neu.
Am meisten bewegte das Volk die angekündigte Abschaffung der Libreta (Büchlein, mit dem man bestimmte Grundnahrungsmittel zu ganz niedrigen Preisen erwerben kann), die Preispolitik, der Transport von Fahrgästen, die Verbesserung des Schulsystems, die Verbesserung der Qualität von Dienstleistungen und die Währungseinheit.
Während des ganzen Parteitages wurde offensichtlich, dass in den Diskussionen zwei Richtungen innerhalb der Partei existierten.
Die eine, die mehr Markt wollte, die andere, die dem Markt beschränken wollte. Beide versuchten jetzt das Dilemma der cubanischen Ökonomie zu lösen.
Deren Hauptproblem ist der zunehmend geringe Wachstumsrhythmus des BIP. Das geht einher mit der Schwierigkeit, die Auslandsschulden zu bezahlen. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass 76% der Staatseinnahmen über den Servicesektor laufen, was zu einer großen Abhängigkeit von Venezuela führte. Die hohen Preise auf dem Weltmarkt vergrößern die Probleme noch. Nur wegen dieses Preisanstiegs muss Cuba in diesem Jahr 800 Millionen Dollar mehr für die gleiche Menge ausgeben, als geplant.
Dies lässt sich als Dauerzustand nicht länger aufrecht erhalten. Bereits in den 90er Jahren, zu Beginn der Sonderperiode, standen praktisch die aktuell vorgesehenen Veränderungen bereits auf der Tagesordnung. Aber damals war das Volk so gebeutelt, dass man vor den hohen Kosten zurückschreckte und jede Veränderung nur langsam und selektiv vornahm.
Jetzt haben sich die Probleme so angehäuft, dass keine Zeit mehr bleibt, um deren Lösung zu verschieben. Wie Raúl Castro es ausdrückte: "Wir können nicht mehr weiter am Abgrund balancieren."
Aber die neuen Richtlinien, die jetzt vom Kongress verabschiedet wurden, verändern auf grundlegende Weise die Rolle, die dem Staat zukommt und orientieren die Wirtschaft auf eine Planung hin, die funktioniert, indem sie den Markt berücksichtigt.
Ein Teil der vom Kongress verabschiedeten Maßnahmen war ja bereits vorher angekündigt, in die Praxis umgesetzt und sogar schon Gesetz geworden wie z.B. die Einstellung von Arbeitern durch Private, die Umstrukturierung der Unternehmen, die Reform des Abgabensystems, die Erweiterung der Möglichkeiten, "auf eigene Rechnung" zu arbeiten, etc.
Die Hauptrichtung aller vorgeschlagenen und vom Kongress mit einigen Änderungen verabschiedeten Maßnahmen läuft nun auf eine Erweiterung des nichtstaatlichen Sektors hin. Neben der Ausweitung der Lizenzen für Selbständige werden auch die Bereiche vergrößert, in denen ausländische Investitionen erlaubt sind.
Um größere Effizienz zu erzielen, wird dem Management und den Leitungen der staatlichen Betriebe mehr Autonomie gegeben. Sie können sowohl untereinander als auch mit dem nichtstaatlichen Sektor Handel treiben. Dies soll zu den Bedingungen des Marktes und über Verträge laufen. Als folge davon werden Firmen, die Verlust machen geschlossen.
Besondere Betonung wird auf materielle Anreize für Arbeiter gelegt, um die Produktivität zu steigern. Hier wird eine größere Spanne bei den Löhnen erlaubt, die an die Produktion und die Produktivität gebunden sein soll. Gleichzeitig läuft eine Kampagne, nach der "exzessive Subventionen und unnötige Gratiszuwendungen" (…) " nach und nach abzuschaffen sind". Das würde auch besagte "Libreta" betreffen.
All diese Maßnahmen zusammen genommen, würden sicherlich zu einer größeren Ungleichheit in Cuba führen. Der bereits in der letzten Cuba Libre zitierte cubanische Ökonom Omar Everleny, stellvertretender Direktor des Studienzentrums für Cubanische Ökonomie (CEEC) spricht in einem Artikel in Le Monde Diplomatique auf die Maßnahmen eingehend von "einer brutalen Veränderung".
Trotzdem unterstreichen sowohl das Dokument als auch die offiziellen Reden während des Kongresses, dass diese Maßnahmen nicht darauf hinauslaufen, dass der Staat die Macht über die Wirtschaft oder das Prinzip der Planung aufgeben wird. "Das ökonomische System, das in unserem Land vorherrschen wird, wird weiterhin auf dem sozialistischen Eigentum des ganzen Volkes über die wesentlichen Produktionsmittel basieren", heißt es in der Einführung. Richtlinie Nummer 1 jedoch führt weiter aus: "Das System der sozialistischen Planung wird weiterhin der hauptsächliche Weg sein, die nationale Ökonomie zu führen. (…) Die Planung wird den Markt berücksichtigen, ihn beeinflussen und seine Eigenschaften berücksichtigen."
Es gilt zu sehen, wie man die Kräfte der Marktwirtschaft beherrschen will, die, von einem großen Weltmarkt unterstützt, leicht eine schwer zu kontrollierende Eigendynamik entwickeln könnten.
Aber bei den Diskussionen während des Kongresses ist deutlich geworden, dass eine große Anzahl von Zusätzen, die schließlich in den ursprünglichen Text aufgenommen wurden, darauf abzielen, die Maßnahmen in Richtung Markt abzuschwächen. So wird jetzt die bereits erwähnte Libreta nicht, wie ursprünglich vorgesehen, sofort abgeschafft, sondern erst allmählich und unter Berücksichtigung des Einkommensniveaus der Bevölkerung. Auch das Vorhaben, eine halbe Million Arbeitsplätze bereits im April diesen Jahres im staatlichen Sektor einzusparen, konnte gegen den Willen der Arbeiter und noch ohne wirkliche Alternative nicht durchgesetzt werden.
Um die Wirtschaft wirklich in Gang zu bringen, braucht es noch organisatorische Voraussetzungen, aber auch eine Änderung in der Mentalität der Cubaner. Es liegt nahe, dass, wenn fünf Menschen die Arbeit von einem Menschen erledigen und dafür bezahlt werden, dies nicht die Produktivität steigert. Die Folge davon sind Löhne, die oftmals nicht ausreichen, um davon zu leben. Trotzdem kam man mit Libreta und dem einen oder anderen Geschäftchen meistens über die Runden. Es gab eine Vollbeschäftigung, die eigentlich keine war, aber sie vermittelt ein Gefühl der sozialistischen Sicherheit. Jetzt sind viele verunsichert, weil es die unbedingte Garantie auf eine Arbeitsstelle nicht mehr geben soll, andererseits aber auch noch nicht ganz klar ist, wie sich das Neue entwickeln wird.
Wenn der Lohn sich jetzt nach der Produktivität des Betriebs richtet, hat eine höhere Produktivität auch höhere Löhne zur Folge. Auch die Leitung des Betriebs kann die Verantwortung für ihre Entscheidungen nicht mehr nach oben abgeben. Sie steht jetzt unter dem Druck der Arbeiter, die z.B. nicht zulassen werden, dass nicht produziert werden kann, weil die Rohstoffe zu spät bestellt wurden. Alle sind daran interessiert, dass der Betrieb funktioniert. Wenn nicht, wenn er Verluste einfährt, wird er geschlossen. Die Zeiten, wo man ihm dann mit Mitteln des Staatshaushalts diese Verluste ausgeglichen hat, sollen jetzt vorbei sein.
Im Dezember fragte sich Barbara Betancourt von Radio Habana Cuba in einem Artikel: "Wie kann es zu einem wirklichen Wachstum kommen, wenn im letzten Jahrzehnt nicht einmal der Investitionsplan erfüllt wurde, mit so katastrophalen Jahren wie dem letzten, in dem kaum die Hälfte des Vorgesehenen durchgeführt wurde? Wo es Unternehmen gibt, die eine ununterbrochene Geschichte von Verlusten aufweisen und mehr als 1 ½ Millionen Arbeiter nicht wirklich eine Arbeit machen, die den Lohn rechtfertigt? Wenn die größten Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt Cubas von den Dienstleistungen und nicht aus dem Produktionssektor kommen, während der Staat fast 88% aller normierten Produkte, die an die Bevölkerung verkauft werden, subventioniert oder gratis abgibt?"
Diese Misere der nicht eingehaltenen Verträge
hat Raúl Catro auch in seiner Grundsatzrede zum Parteitag hervorgehoben. Sinngemäß stellt er darin fest, dass es in cubanischen Betrieben eine Unmenge von Betriebsversammlungen gibt. (Jedem, der mit cubanischen Betrieben zu tun hat, ist sicher schon aufgefallen, dass immer jemand in einer "reunión" ist.) Ein Grund dafür ist, dass sich kaum einer an die geschlossenen Verträge gehalten hat. Normalerweise ist es so, dass, wenn zwei Seiten einen Vertrag unterschrieben haben mit allen Rechten und Pflichten, man auch über dessen Einhaltung nicht unentwegt diskutieren braucht. Es wird aber dauernd diskutiert, weil er nicht eingehalten wird. Anscheinend hat das bis jetzt niemanden wirklich beunruhigt, weil noch nie vor den entsprechenden Instanzen wegen Nichteinhaltung geklagt wurde, obwohl das auch vertraglich festgelegt ist.
Durch die neue Struktur der staatlichen und nichtstaatlichen Betriebe soll sich das jetzt ändern. Raúl sagte in seiner Rede: "Unsere Unternehmen, von Ausnahmen abgesehen, haben es sich in der Ruhe und Sicherheit der Wartehaltung bequem gemacht und eine Allergie gegen das Risiko entwickelt, das mit jeder Aktion einhergeht. Wenn man Entscheidungen trifft, kann man richtig liegen oder sich irren."
Ein weiterer Punkt des Problems ist laut Raúl Castro, dass frühere Parteitagsbeschlüsse und Gesetze sofort in der Schublade verschwunden sind und niemals angewandt wurden. Das soll jetzt nicht noch einmal vorkommen. Es werden jetzt speziell Kader dafür ausgebildet, die die Einhaltung überwachen und auf jeder Sitzung des ZK und der Nationalversammlung sind die neuen Gesetze und Bestimmungen, deren Einhaltung, aber auch deren Auswirkungen erster Tagesordnungspunkt.
Das ist auch aus einem weiteren Grund wichtig. Falls die Dinge nicht so laufen, wie geplant, möchte man sofort eingreifen und nicht erst warten, bis das Problem gravierend wird.
Wie Noel Carrillo als Gast auf dem UZ-Pressefest in Dortmund immer wieder betonte. "Wir können es uns nicht leisten, einen schwerwiegenden Fehler zu mache."
Der Kongress hat hervorgehoben, dass es wichtig ist, zwischen Staat und Partei und Regierung und Unternehmen zu unterscheiden. Damit soll eine langjährige Praxis zu Ende gehen, nach der die Partei faktisch eine Entscheidungsgewalt bis hin zur Besetzung des kleinsten Betriebs hatte. Letztendlich mussten alle Unternehmensleiter sich der Parteimeinung unterordnen. Jetzt sollen Fachkenntnisse das Kriterium sein. Ein guter Arzt ist nicht notwendigerweise ein guter Krankenhausdirektor, ein treues Parteimitglied nicht unbedingt ein fähiger Ingenieur. Dazu gehört auch, dass man Postionen im Staat einnehmen kann, ohne Mitglied der Partei sein zu müssen.
Es wurde deutlich gemacht, dass die Partei Richtlinien und Direktiven erlässt. Diese sind aber nicht für alle bindend, sondern nur für Parteimitglieder und auch da gilt nur die moralische Autorität. Die Partei verfügt nicht über eine Durchsetzungsgewalt. Der Staat jedoch verfügt über diese Durchsetzungsgewalt und ist dafür zuständig, dass die Vorlagen, die durch die Nationalversammlung zu Gesetzen wurden, auch ausgeführt werden.
Dass dies oft durcheinandergebracht wurde, hat zur Schwächung der politischen Arbeit der Partei und zur Verminderung der Autorität von Staat und Regierung geführt.
Der Kongress hat sich für Strategien der Dezentralisierung ausgesprochen.
Die Verkleinerung des administrativen Apparats von Statt und Regierung zugunsten der örtlichen Regierungen und den Ministerien soll weiter gehen, die Autonomie des Unternehmertums soll respektiert werden und nichtstaatliche Formen gefördert werden.
Neben den staatlichen Betrieben, den Joint-Venture Unternehmen und den "Arbeitern auf eigene Rechnung" sind Kooperativen eine nichtstaatliche Form, der in den vom Kongress verabschiedeten Richtlinien ein Kapitel gewidmet ist. "Es werden in verschiedenen Sektoren Kooperativen ersten Grades als eine sozialistische Form des Eigentums geschaffen, die eine ökonomische Organisation mit juristischer Person und eigenem Vermögen bilden und aus Personen bestehen, die Güter oder Arbeit einbringen mit dem Ziel zu produzieren oder für die Gesellschaft nützliche Dienstleistungen erfüllen und für alle Unkosten mit ihrem Einkommen aufzukommen." Sie dürfen als Sozialeigentum nicht verkauft werden, sie dürfen Verträge mit anderen Kooperativen eingehen und, nachdem sie ihre Verpflichtungen dem Staat gegenüber erfüllt haben, ohne Zwischenhändler frei verkaufen.
Sie dürfen auch, wenn sie Steuern und Abgaben bezahlt haben, die Einkünfte ihrer Arbeiter bestimmen. Es gibt dann auch noch Kooperativen zweiten Grades, die den anderen Kooperativen zuarbeiten, indem sie z.B. den Wert der Waren erhöhen und die mit den Kooperativen ersten Grades Einkauf und Verkauf gemeinsam tätigen, um effizienter zu sein.
Die Kooperativen könnten ein Weg zwischen staatlichen Unternehmen und Arbeit auf eigene Rechnung sein.
Am 17. Juni hat der Minister entschieden, dass die Arbeiter aller 178 Berufe, in denen man selbständig arbeiten darf, jetzt selbst Arbeiter einstellen können. Vorher war dies nur 83 Berufen gestattet. Der größte Teil der neuen Geschäfte sind Essensstände oder Familienrestaurants. Bis jetzt gibt es keine administrativen Beschränkungen bei der Einstellung des Personals. Die Steuern sind jedoch explizit so gestaltet, dass ein Unternehmen mit mehr als zehn Angestellten von der Steuerlast erdrückt würde.
Diese Entscheidungen sind sicher die einschneidendsten. Noch im Dezember hatte der cubanische Vizepräsident Marino Murillo geäußert, dass man noch im Oktober gesagt hätte, dass nie im Leben ein Arbeiter auf eigene Rechnung selbst Arbeitskräfte einstellen könne. Das zeigt die Drehung, die man bei der Beschäftigungspolitik gemacht hat. Im September 2010 kurz vor der neuen Etappe, gab es nur 99.917 Arbeiter auf eigene Rechnung. Jetzt sollen nach offiziellen Berechnungen 800.000 in diesen Sektor überwechseln.
Da stellt sich jetzt die Möglichkeit der Kooperativen. Gut funktionierende Kooperativen bedürfen aber einer guten Planung und einer entsprechenden Gesetzgebung, die das fördert, was man eigentlich mit Kooperativen erreichen möchte. Mit der ANAP hat Cuba eine funktionierende Organisation, die alle landwirtschaftlichen Kooperativen vertritt. In ihrem Aufsatz "Risiken der Ausdehnung nichtstaatlicher Unternehmen in der Wirtschaft Cubas und Empfehlungen, diese zu verhindern" hat sich Camila Pineiro Harnekcer fundiert mit der möglichen Entwicklung von Kooperativen in Cuba auseinandergesetzt. Darin sagt sie, dass, wenn man daran interessiert sei, die Schaffung von sozialistischen Unternehmen anstelle kapitalistischer zu fördern, es notwendig sei, ein Kooperativen.Gesetz zu verabschieden, das deren Schaffung ermögliche und die Verantwortung der staatlichen Institutionen festschreibe, diese zu unterstützen. Für sie ist die klassische Variante, dass die Unternehmen Assoziationen von freien Arbeitern sind, und dass sie von einem Plan geleitet seien, der die Befriedigung sozialer Interessen garantiere, Für sie ist die vorgesehene horizontale Struktur der Unternehmen an sich noch keine Gewähr dafür, dass Verkäufer und Käufer sich mit den Interessen der anderen identifizieren.
Die Ausarbeitung eines Modells der Kooperativen könnte eine Herausforderung sein. Dabei wäre es auch möglich auf Erfahrungen in anderen Ländern zurückzugreifen, Es gibt sogar bereits ein Lateinamerikanisches Netz der Kooperatismus (RELCOOP), in dem der Cubaner Dr. Claudio Alberto Rivera gerade bis 2013 zum Vorsitzenden gewählt wurde. Er sagte: "Die Kooperativen in Lateinamerika und der Karibik stellen heute nicht nur eine Entwicklungsalternative dar, sonder sie sind auch ein Weg zur wirtschaftlichen, produktiven und sozialen Entwicklung. Sie verstärken das sozial ausgerichtete Modell, das heute in vielen unseren Ländern möglich ist."
Einige Unternehmen, für die sich der Statt nicht mehr zuständig fühlen möchte,
weil er es nicht als einen strategisch wichtigen Bereich ansieht, sind neben den Frisören auch die Taxifahrer. Panataxis, Havanataxis und wie sie alle hießen, sind ja bereits zu "Cubataxis" zusammengefasst worden und sollen jetzt als Kooperativen funktionieren. Jeder, der länger in Cuba Taxen benutzt hat, kann das nur begrüßen. Jahre lang sind wir manchmal bei Nacht und Nebel aus Taxen ausgestiegen und haben allerlei Unbill in Kauf genommen, wenn der Taxifahrer sich weigerte, sein Taxameter einzustellen und als Arbeiter auf eigene Rechnung arbeiten wollte. Irgendwann haben wir dann den Kampf gegen diese Windmühlen aufgegeben, zumal uns keiner das System des Taxiwesens erklären konnte.
Jetzt erfuhr man von Noel Carrillo beim UZ-Pressefest, dass die Taxifahrer jährlich einen bestimmten Betrag abliefern mussten. Eigentlich natürlich alles, was sie verdienten bis auf das Trinkgeld, aber wirklich verpflichtend war eben ein festgesetzter Betrag. Dafür bekamen sie dann ein Pesogehalt. Das interessierte viele Taxifahrer eher weniger. Wenn man nämlich den Festbetrag erst zusammen hatte, konnte man mit einem staatlichen Auto, staatlichem Benzin und einer staatlichen Reparaturwerkstatt auf eigene Rechnung Touristen befördern und eine Menge Devisen einnehmen. Am Ende erzählte man einfach, das Geschäft sei schlecht gelaufen, mehr als den Festbetrag habe man nicht eingenommen. Letztendlich waren die Taxen für den Staat ein Zusatzgeschäft. Jetzt sollen die Taxifahrer also in Kooperativen zusammengelegt arbeiten, dass die Kooperative sich trägt und dem Staat Abgaben zahlen kann. So könnte er tatsächlich einmal am Taxigeschäft verdienen.
Offensichtlich hat Cuba durch die bis jetzt durchgeführten Veränderungen bereits 1 Milliarde Dollar Mehreinnahmen.
Bei den Frisören hat man eine andere Möglichkeit gefunden. Sie arbeiten in gemieteten staatlichen Räumen mit bis zu drei Sesseln. Sie müssen dafür Miete, Sozialversicherung für die spätere Rente und Abgaben zahlen. Hinzu kommen Geld für Strom, Elektrizität und was man sonst so braucht. Der Preis für den Haarschnitt richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Alle zwei Monate werden aber die Preise kontrolliert. Wenn sie zu hoch sind, werden die Steuern erhöht. Jahre lang haben die Frisöre zwischen 5 und 10 Pesos verlangt, obwohl der staatlich festgesetzte Preis 80 Centavos war. Den aber haben wirklich nur die ganz armen Leute bezahlt. Die hohen Preise wurden damit begründet, dass man für die Scheren, Rasierklingen und die Reinigung aufkommen müsste. Fakt ist, dass für jeden Kunden zwischen 4,20 und 9,20 Pesos in die Tasche des Barbiers wanderte.
Das neue System läuft schon einige Monate und bis jetzt hat noch keiner sein Geschäft zurückgegeben. Auch hier bekommt der Staat jetzt Geld, anstatt es zahlen zu müssen.
Was die Landwirtschaft angeht,
ist der Landbesitz, den ein Bauer selbst beackern kann, auf 13,4 Hektar aufgehoben worden. Hier geht es immer um "usufructo", Land das zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung auf zunächst einmal 10 Jahre verpachtet wird. Es geht kein Land in Privatbesitz über. Im Kongress wurde heftig über das Staatsmonopol des Handels debattiert und die Meinungspalette reichte von "ganz aufgeben" bis "ganz eng fassen". Schließlich einigte man sich darauf, das Staatsmonopol zu belassen, aber dem Produzenten mehr und direkteren Zugang zum Markt zu geben. Der Kongress unterstützte auch den freien Handel bei landwirtschaftlichen Produkten. Die Preise von 21 Produkten sollen weiterhin vom Staat kontrolliert werden, die Preise der restlichen Produkte sollen durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden.
Für den Agrarsektor ist auch ein spezielles Steuersystem vorgesehen, das die Bauern belohnt, die prompt und viel Produzieren.
Bis jetzt sind die Erfolge der neuen Landwirtschaftspolitik noch mäßig. Es fehlt an erfahrenen Bauern und an landwirtschaftlicher Ausrüstung. Das Leben auf dem Land so attraktiv zu gestalten, dass sich junge Leute dafür erwärmen können, ist eine Aufgabe, die länger dauern wird.
Manche Ergebnisse des Parteitags können schnell umgesetzt werden. An anderen Beschlüssen arbeitet eine Gruppe von Spezialisten und Akademikern aus diversen Rechtsabteilungen. Tag und Nacht sind sie damit beschäftigt, Gesetze, Dekrete, Resolutionen und Normen zu überprüfen. Viele müssen verändert, ersetzt, entfernt, vereinfacht oder auf eine Art verändert werden, um den Herausforderungen des Parteitags zu entsprechen. Die Aufgabe ist gigantisch, denn es gilt nicht nur das ökonomische Modell zu regulieren, wovon auch die Staatsunternehmen und die Kooperativen betroffen sind, sondern auch das Budgetsystem und die Gebietseinteilungen. Wie die Richtlinien strukturiert sind, müssen die Gesetze an die neue Geld- Haushalts- und Preispolitik, in Bezug auf den Außenhandel, die Schulden und Kredite, die ausländischen Investitionen, die Wissenschaft, die Technologie, Umwelt, Erziehung, Gesundheit, Sport, Kultur, Sozialversicherung, Lohn und Beschäftigung, Subventionen und Gratiszuwendungen, Agro-Industrie und Energiepolitik etc. angepasst werde. Damit das alles funktioniert. Gleichzeitig aktualisiert das Finanzministerium die Normen für Steuern und Abgaben.
Während des Parteitags forderte eine Delegierte eine Ausbildung für das Führungspersonal der Unternehmen. "Hier ist nicht jeder dazu berufen Ökonom, Buchhalter oder Wirtschaftsprüfer zu sein oder ein Unternehmen oder eine Kooperative zu leiten. Man muss etwas von Unternehmensverwaltung verstehen." daraufhin beschloss der Kongress die Laufbahn für Unternehmensverwaltung in Cuba einzurichten.
Wie Raúl auf dem Parteitag sagte: "Das Leben hat uns gelehrt, dass es nicht reicht, eine gute juristische Norm zu fördern, egal, ob es sich um ein Gesetzt oder einen einfachen Beschluss handelt. Es ist außerdem wichtig, diejenigen, die die Gesetze ausführen, dazu auszubilden, sie zu überwachen und zu beweisen, dass die Gesetze sich in der Praxis bewähren."
Wenn es wirklich gelingt, die Gesetze effektiv umzusetzen
und der ganze Prozess von einem Volk geleitet wird, das durch eine informative Presse in allen Wirtschafts- und Sozialfragen immer versierter wird, ein Auge auf Fehlentwicklungen hat und den Prozess kreativ weiterentwickelt, dann brauchte man sich um Cubas Zukunft keine Sorgen zu machen.
Aber man muss sich bewusst sein, wie es der Präsident des Obersten Gerichts (Tribunal Supremo Popular) Rubén Remigio Ferro ausgerückt hat, dass "die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die auf nationaler Ebene eingeführt werden, bis in die zwischenmenschlichen Beziehungen reichen. Sie beeinflussen nicht nur die Beziehungen untereinander, sondern auch zwischen Unternehmen und Bürgern und das sind Aspekte, die man berücksichtigen muss."
Alfredo Guevara, der bekannte Leiter des ICAIC (das cubanische Filminstitut), Künstler und Revolutionär der ersten Stunde, sprach vor kurzen vor Studenten der chemischen Fakultät. Da fiel der Satz "Man müsste Esposito klonen". Esposito ist der Parteisekretär von Santiago de Cuba. Er hat es geschafft, binnen kurzer Zeit Santiago in ein Schmuckstück von Stadt zu verwandeln, in der kein Haus zusammenfällt, kein Müll, ja keine Zigarettenkippe auf der Straße liegt und alles (vielleicht bis auf den Transport) funktioniert. Alfredo Guevara meinte daraufhin, man könne doch viel besser die Methoden von Esposito studieren und übernehmen.
Vielleicht hat er ja bereits einige der Beschlüsse des Parteitags vorweggenommen. Andererseits zeigt es, dass man auch mit den schon bisher existierenden Möglichkeiten erfolgreich wirken könnte.
Im Januar 2012 wird eine nationale Konferenz der Kommunistischen Partei Cubas stattfinden, die unter anderem diskutieren wird, wie man mit der Bürokratie und alten Übeln wie Improvisation, Formalismus, falscher Einstimmigkeit und Opportunismus in den eigenen Reihen umgeht. Die Konferenz wird auch die Form präsentieren, wie man die Vorurteile gegen den nichtstaatlichen Sektor der Wirtschaft entfernt. Ferner wird es um den Mechanismus gehen, wie die Mandatszeit der Parteiführung auf allen Ebenen begrenzt werden kann. Die Konferenz könnte auch neue Mitglieder für das Zentralkomitee wählen, über die 115 hinaus, oder bereits gewählte ersetzen.
Auch steht die Förderung von Frauen, Schwarzen, Mestizen und Jugendlichen für Leitungspositionen zur Debatte und eine neue Pressepolitik. Sie soll darauf begründet sein, dass die Kommunikation und die Propaganda kreativer, systematischer, kritischer und ästhetisch ausgefeilter sein muss.
Hoffen wir, dass all diese Maßnahmen Cubas Liquiditätsprobleme lösen und die Landwirtschaft bedeutend mehr Lebensmittel zum Verbraucher bringt, dass die Unternehmen und Kooperativen so erfolgreich sind, dass sie Löhne auszahlen können, von denen die Arbeiter angemessen leben können, dass die Gemeinden von den Unternehmen zum Wohle aller profitieren und dass die gut ausgebildeten cubanischen Jugendlichen ihr Wissen in funktionierenden Betrieben anwenden können und die Headhunter aus Deutschland und anderswo bei ihnen keine Chance haben.
Hoffen wir, dass es Cuba wirklich gelingt, unter Beteiligung des ganzen Volkes dem sozialistischen Ideal ein gutes Stück näher zu kommen.
Quellen:
El Projecto de Lineamientos de la Politica Económia y Social del Partido y la Revolución
Julio César Guanche: Una pasión politica, alrededor de la celebración del VI Congreso del PCC, Rebelión, 1.6.2011
Julio César Guanche: Entrevista en "Kaos en la Red", 13.o6.2011
Raúl Menchaca: La línea económia de la Revolución, cubahora
Raúl Menchaca: Otra ley para acomparar los cambios, cubahora
Fidel Rendón Matunzo: Marco jurídico legal para implementar los lineamientos económicos, cubahora
Empleo: La Caja de Pandora, ips
Jorge Martín: Cuban CP Congreä ratifies economic guidelines.
AIN: Preside Cuba Red Latinoamericano de Cooperativos, 26.6.2011
Bárbara Betancourt: Projecto de Lineamientos: El pueblo es el que decide, Radio Habana Cuba, Rebelión, 10.12.2010
Informe Central presentado por el companero Raúl, Granma, 18.04.2011
Renate Fausten
CUBA LIBRE 3-2011