Ägypten, Tunesien, Cuba ?

Der mainstream geht um ...
... und macht auch nicht vor der FG halt


Was in den ersten Monaten diesen Jahres in Ägypten und Tunesien passiert, muss jeden fortschrittlich gesinnten Menschen zwar erstaunen, aber vor allem erfreuen. Die Völker erheben sich gegen ihre Potentaten! Die Regierung und die sog. freie Presse in der Bundesrepublik waren für ein paar Tage irritiert: Wie jetzt? Diese Portentaten, die bis zum letzten Tag von der sog. freien Welt, also auch von der Regierung der BRD und vor allem von der US-Regierung gekauft und finanziert wurden, sollen nun plötzlich Schurken sein?

Nach kurzer Denkpause ging’s dann aber wieder in die Vollen: Alle, die bislang "gute Freunde" dieser Regierungen waren und entweder die Militärs finanziert hatten oder sich an Rüstungsexporten dumm und dämlich verdient haben, unterstützen plötzlich die sich erhebenden Bevölkerungen. Aber irgendwie war das ja noch nicht genug, da musste noch etwas ´drangehängt werden: Wie in Ägypten und Tunesien soll es nun auch woanders weitergehen: Libyen, Cuba, China etc. Also die Länder, die nicht (!) von der "freien Welt" anerkannt bzw. finanziert werden.

Und so dröhnte es dann aus jedem Lautsprecher der Radios und Fernseher, so war es in nahezu jeder bürgerlichen Zeitung tagtäglich zu lesen, dass nun auch Cuba und China "dran" sind, dass sich "die Völker erheben" müssen, dass die Regierungen hinweggefegt werden müssen usw. usf. Und: Wenn mensch mal auf der Straße herumfragt, so bekommt er tatsächlich auch sehr häufig genau diese Antwort: Ja, auch in Libyen, Cuba und China sollte jetzt etwas passieren! Die bürgerliche Nebelmaschine war angeworfen und hat – wieder einmal – gute Arbeit geleistet.

Dieser mainstram macht auch vor den Mitgliedern der Freundschaftsgesellschaft nicht automatisch halt: Natürlich fragen sich viele Menschen, gerade während der jetzigen Umgestaltungen in Cuba, ob da nicht viel mehr nötig sei. Und ein Mitglied unserer FG schrieb dem Bundesvorstand: "Ich wünschte mir, schon morgen würde das Volk von Havanna auf die Straße gehen und das Regime-Castro hinwegfegen wie das Regime in Ägypten oder Tunesien. Es ist eine Wende erforderlich."

Ein paar "Argumente" dieses Mitgliedes mehr: Es fände, dass "sich Parallelen zwischen der Situation in Nordafrika und der in Kuba regelrecht aufdrängen". Informationen über Kuba "beziehe ich oft aus El Pais, El Mundo und Le Monde, ... habe ... vor ein paar Jahren Kuba bereist und hatte viele, viele Gespräche mit Kubanern"... "Wie oft habe ich in diesem Heft (CL. Anm d. Red.) eine offene Diskussion über die Situation in Kuba erwartet, offen, ohne Wenn und Aber. Die Geschichte der kubanischen Revolution kenne ich, Fidel verehre ich und ich kenne natürlich die Errungenschaften der Revolution. Aber: Das alles ist vorbei. Kuba muss neue Wege gehen. Was ich mir vorstelle sind: Mehr Demokratie, mehr Opposition, Entmachtung und Verjüngung des Staatsrates, Entmachtung von Raoul, Freilassung von Gefangenen, Entwicklung von liberalen Wirtschaftskonzepten und Sozial-Strategien, Öffnung zum Ausland (auch zu den Scheiß-Kaptalisten), Überlegungen bezgl. IWF. Auch andrere honorige Staaten nehmen die Hilfe des IWF in Anspruch!!!" Im Übrigen träte dieses Mitglied jetzt aus der FG aus!

Wir können diesen Austritt nicht verhindern, obwohl sich der Bundesvorstand mit ihm noch auseinandergesetzt hat. Aber: Was ist das, was da hochkommt?

Eine Wende sei erforderlich, eine Wende zu liberalen Sozial-Strategien, sagt unser Mitglied. Dabei kenne er die Errungenschaften der Revolution. Wie jetzt? Das Sozialsystem (niemand verhungert, jeder hat freien Zugang zum Gesundheitswesen, die Säuglings-Sterberate ist besser als in den USA - geschweige denn von irgendeinem anderen lateinamerikanischen Land), das es kennt, soll gewendet werden. Wohin, fragen wir? Schauen wir uns in der Region dort um: Da ist weit und breit nichts besseres zu sehen!

Öffnung zu den Scheiß-Kapitalisten: Bedeutet das, dass das Volkseigentum, Betriebe, Ländereien, Wohnhäuser, Strände, verscherbelt werden soll? So wie bei uns? Was hätten die CubanerInnen davon? Eventuell mehr Investitionen, aber der Profit ginge ins Ausland. Unser Mitglied beschwört hier einen Weg, den die VenezuelanerInnen und BolivianerInnen gerade umgegehrt gegangen sind: Um die enormen Gewinne endlich im Land behalten zu können, wurden u.a. hier die Erdölindustrie und dort die Bodenschätze vergesellschaftet. Damit nämlich mit diesem Geld eine Sozial-Strategie, die diesen Namen auch verdient, entwickelt werden konnte.

Hilfe des IWF in Anspruch nehmen, wie andere honorige Staaten: Meint unser Mitglied hier vielleicht Griechenland, dessen arbeitende Bevölkerung unter den Lasten den ökonomischen Auflagen stöhnt? Meint unser Mitglied Haiti oder Nicaragua, die zu den ärmsten Ländern der Welt zählen? Die Staaten der ALBA-Gruppe sind seit einigen Jahren dabei, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, die "Bank des Südens" aufzubauen, eine Bank, die eben nicht die verschuldeten Staaten knebelt, ihre Sozial-Strategien zu überdenken bzw. zu ändern. Ein Versuch also, sich aus den Fesseln der Kapitallogik zu befreien.

Unser Mitglied schreibt, es kenne die Errungenschaften der Revolution, aber diese seien vorbei! Was ist da vorbei? Es gibt doch das Gesundheitssystem, es gibt das weltweit einmalige Bildungssystem, es gibt die Daseinsvorsorge für alle Menschen. Was ist da vorbei?

Unser Mitglied vergisst offensichtlich, dass das cubanische Volk bereits vor 52 Jahren sein Regime hinweggefegt hat, ein Regime, das damals so von den USA ausgehalten wurde, wie Ägypten bis auf den heutigen Tag. Und bedauerlicherweise brauchten sie auch nicht nur "auf die Straße" zu gehen sondern mussten einige Jahre einen aufopferungsvollen Krieg gegen die, die da hinwegzufegen waren, führen. Seitdem allerdings müssen sie sich gegen diejenigen, die die Regime in Kairo und Ägypten erst aufgebaut und dann jahrzehntelang gestützt haben, wehren. Warum sollte sich das cubanische Volk in die Rolle rückwärts begeben?

Was uns unser Mitglied hier schreibt, ist ein Querschnitt der Phraseologie aus den bürgerlichen Medien: Mehr Opposition, Raul stürzen, liberale Wirtschaftskonzepte usw. Auf der Buchmesse in Havanna konnten wir uns mit vielen, vor allem jungen Menschen unterhalten, die die verschiedenen Aspekte der cubanischen Diskussion kannten. Sie hatten unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen. Aber eines war für sie alle klar: Ein ökonomisches Regime unter der Leitung des IWF und der Weltbank lässt Cuba eher in die Richtung von Haiti wandern als in die Richtung Mitteleuropa (wobei auch hier noch zu fragen ist, ob denn das eine geeignete Richtung der Weiterentwicklung einer humanen Gesellschaft ist). Das Schöne ist, dass dies längst alles belegt, bewiesen ist und für diejenigen, die mit offenen Augen durch die Welt wanderen, auch zu erkennen ist:

Schauen wir uns in der angesprochenen Hemisphäre um, schauen wir uns insgesamt in der Dritten Welt um, ja schauen wir uns auch die sog. Schwellenländer wie Brasilien oder Indien an: Wer von den CubaerInnen soll – nach dieser von unserem Mitglied geforderten Wende - die Müllberge nach Nahrung durchkämmen – wie es in diesen Ländern für die Ärmsten der Armen notwendig ist.?

Nur: Diese sehr konkreten Überlegungen gehören verständlicherweise nicht zur Phraseologie unserer Medien.


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CUBA LIBRE 2-2011