Örtliche CDU greift FG-Vorstand Meinert an
Im Oktober / November fanden in NRW mehrere Aufmärsche der neofaschistischen NPD, z.T. im Bündnis mit den sog. "Freien Kameradschaften" statt. Die antifaschistischen Proteste waren zahlreich und bunt, so bspw. Auch in der bergischen Stadt Velbert.
Als Antwort auf die für den 30. Oktober angesagte rassistische Nazi-Hetzveranstaltung "Gegen Gewalt und Überfremdung – Kriminelle Ausländer raus" hatte sich schnell ein breites Bündnis "Hand in Hand gegen Rassismus" gebildet, das aus Gewerkschaften, Verbänden, Parteien, Integrationsrat und Kirchen bestand. Unter der Losung "Velbert ist bunt und nicht braun!" riefen die Initiatoren zu einer Gegenkundgebung auf und fanden auch in der örtlichen Presse wohlwollende Unterstützung. "WAZ/NRZ" und "Stadtanzeiger" berichteten ausführlich über die Aktivitäten und Argumente der Nazi-Gegner aus allen Bereichen der Gesellschaft.
Nur die örtliche CDU zierte sich. In der örtlichen Presse wurde in einem Artikel "CDU: Keine Gegenaktion starten!" berichtet, dass diese Partei sich nicht nur selbst abstinent verhalten wolle, sondern gegen den antifaschistischen Protest selbst Widerspruch eingelegt hatte.
Kritik an der CDU-Politik des Wegsehens
Hierzu nahm der Velberter Bürger, Gewerkschafter und Antifaschist Hartmut Meinert in einem Leserbrief Stellung und verwies darin al im Jahre 1935 Geborener auf eigene leidvolle Erfahrungen und die nötigen historischen Konsequenzen (kompletter Text siehe unten). Sein Kommentar wurde am 27.10.2011 unter der Überschrift "CDU handelt unverantwortlich" im Stadtanzeiger veröffentlicht, zwar um einige Sätze gekürzt (u.a. den Hinweis, wohin eine solche CDU-Haltung des Wegsehens wieder führen könne), aber immerhin befand er sich damit in solch illustrer Gesellschaft wie der eines weiblichen CDU-Mitglieds, das in ihrer in der selben Zeitung veröffentlichten Zuschrift herbe Kritik an ihrer Führung formulierte: "Ich als junge Wählerin konnte es nicht glauben, dass "meine Partei" zwar der NPD einen demokratischen Aufmarsch erlaubt, aber die friedliche Gegendemo, Kundgebung missbilligt! (…). Wenn wir wieder keinen Mut finden, öffentlich für mehr Menschlichkeit einzutreten, sehe ich für die Zukunft braun und nicht bunt. M.S. 29 Jahre". Eine andere junge Frau schreib zornig: "Dass sich die Velberter CDU nun in aller Öffentlichkeit gegen eine Teilnahme an der Gegendemonstration ausspricht, halte ich nicht nur für skandalös, sondern auch für absolut enttäuschend. Ich frage mich ernsthaft, wie man als Christdemokrat, angesichts der deutschen Geschichte auf die Idee kommen kann, die Velberter Bürger zum Weggucken aufzufordern".
CDU reagiert mit Diffamierung
Die CDU Velbert liess sich jedoch von Kritikern uns Appellen nicht beeindrucken, sondern legte sogar noch einen drauf: In einer Pressemitteilung mit dem Titel "Geben Sie antidemokratischen Gruppierungen keine Plattform!" bekräftigte sie am 26.10.2010 ihre spalterische und geschichtsvergessene Position und rief die Bürgerinnen und Bürger sogar dazu auf, ihre Stadt komplett den Nazis zu überlassen: "Wir halten es für sinnvoll, wenn alle Nevigeser an diesem Tag ausgiebig unsere Nachbarstädte erkunden und den Extremisten so die kalte Schulter zeigen."
Damit nicht genug, fügte die mit "Ihre CDU Velbert" gezeichnete Bankrotterklärung noch eine Anmerkung hinzu, in der namentlich der Velberter Bürger und FG-Vorstand Hartmut Meinert wegen seines o.g. Leserbriefes angegriffen wurde. Hier diese "Anmerkung" ungekürzt im Original:
Zum Leserbrief von Hartmut Meinert "CDU handelt unverantwortlich" - Anmerkung: Herr Meinert (Aktivist der deutsch-kubanischen Freundschaft) ist ausgewiesener Linker und will mit seinem Leserbrief die Rechten verteufeln und die Linken verharmlosen, obwohl bis vor 20 Jahren in Berlin-Hohenschönhausen "Die Linke" (damals noch SED) Menschen gefoltert und getötet hat, weil sie demokratische Rechte einforderten. Rechte wie das Demonstrationsrecht welches Herr Meinert auch heute noch nur den Gruppen zu spricht, die er für würdig hält. Wir meinen, Herr Meinert ist noch immer nicht in unserer Demokratie angekommen.
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Der in aller Öffentlichkeit Diffamierte reagierte am 3. November in einer ebenso sachlichen wie eindeutigen Stellungnahme, die er der CDU Velbert, der örtlichen Presse sowie den Bündnispartnern sandte. Der CDU-Versuch, "einen Andersdenkenden quasi aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausschließen zu wollen" wurde darin als Position "in den Schützengraben des Kalten Krieges" qualifiziert. Den Velbertern CDUlern wurde erklärt, was die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.v. ist, wieso antifaschistisches Engagement für einen Gewerkschafter zwingend ist und was dies alles mit den eindeutigen Gesetzen unseres Landes und mit Erkenntnissen des Pastors Niemöller zu tun hat (Kompletter Text dieser Erklärung siehe unten).
Bis heute wurde diese Erklärung in der örtlichen Presse nicht veröffentlicht. Auch gab es keine Entschuldigung durch die CDU Velbert.
Dafür war aber der Antifa-Protest am 30. Oktober ein voller Erfolg. Nach einem ökumenischen Gottesdienst demonstrierten rund 500 Teilnehmer/innen laut, bunt und friedlich für ein weltoffenes, antirassistisches Velbert. Die rund 100 Nazis, die sich an der ersten Nazi-Zusammenrottung seit 25 Jahren in dieser 85.000-Einwohner-Stadt beteiligten, wurden von einem Großaufgebot der Polizei abgeschirmt.
Die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.v. solidarisierte sich mit ihrem Vorstandsmitglied Hartmut Meinert und fordert von der CDU Velbert, wenn diese sich schon nicht zu einer öffentlichen Entschuldigung durchringen kann, so doch zumindest dessen Erklärung auf ihrer Homepage zu veröffentlichen.
Heinz W. Hammer, 11.11.2010
Dokumentiert
1.: Leserbrief von Harmut Meinert an den "Stadtanzeiger Velbert/Heiligenhaus" vom 25.10.2010
(Ausgabe Samstag, 2.10.2010, Rubrik "Aktuell")
Die CDU möchte sich nicht an Aktivitäten gegen die Demonstration der NPD am 30.10.10 in Velbert beteiligen. Sie beruft sich sinngemäß auf das Demonstrationsrecht für alle – auch andere extremistische Parteien würden dies für sich in Anspruch nehmen.
Für mich (Jahrgang 1935, aufgewachsen in der Zeit des Hitlerfaschismus) ist diese Haltung erschreckend. Kontraproduktiv ist nicht der Kampf gegen diesen von der NPD geschürten Kampf gegen alles was nicht arisch ist, sondern sich außerhalb dieses Bündnisses zu stellen und den Gegendemonstranten eventuelle Provokationen anzudichten. Ich will nur hoffen, dass diese Haltung der CDU, nicht wie 1933 es den Rattenfängern erlaubt, Deutschland und Europa in die nächste Katastrophe zu führen und nur weil die Lethargie der Musterdemokraten solche Entwicklung nicht verhindert hat. Man mag unterschiedlicher Auffassung sein was in unserem demokratischen Staat möglich ist und was nicht. Für mich gilt: Den rechtsradikalen Aktivitäten (welcher Art auch immer) muss entschieden entgegen getreten werden, so wie es in Velbert am 30. Oktober durch das "Velberter Bündnis – Hand in Hand gegen Rassismus" geschehen wird und in letzter Zeit in vielen Orten Deutschlands (z.b. Leipzig) geschehen ist.
Die heutigen Rechtsradikalen (NPD und andere) leugnen zum einen die systematische Ermordung von Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten, Sinti und Roma sowie vielen anderen in der Zeit des Hitlerfaschismus. Zum anderen hetzen auch sie – wie ihre politischen vorfahren – gegen Nichtdeutsche, gegen Juden (jüngst gab es in einer deutschen Stadt einen tätlichen Angriff auf eine junge Frau) gegen Migranten usw. Eine gefährliche Entwicklung, die gerade wir deutschen aufgrund unserer Erfahrung nicht ignorieren dürfen. Wenn die CDU Velbert dies tut, handelt sie unverantwortlich.
Es ist äußerst wichtig, gegen jede rechtsradikale Aktivität etwas zu unternehmen und den Anfängen zu wehren. Ich habe die Kriegsjahre und den Hitlerfaschismus als Kind hautnah erlebt und werde alles tun, dass sich so etwas nicht wiederholt.
Hartmut Meinert
2.: Stellungnahme von Hartmut Meinert vom 03.11.2010 zu den Diffamierungen durch die CDU Velbert:
Mir wurde die zweifelhafte "Ehre" zuteil, in der Pressemitteilung "Geben Sie antidemokratischen Gruppierungen keine Plattform! - Stellungnahme der CDU Velbert zu den geplanten Demonstrationen in Velbert-Neviges" vom 26.10.2010, persönlich angegriffen zu werden.
Anlass war mein auszugsweise in Stadt-Anzeiger Niederberg am 27.10.2010 veröffentlichter Leserbrief, in dem ich die Entscheidung der CDU Velbert, sich nicht an den Aktivitäten gegen den neofaschistischen Aufmarsch am 28.10. zu beteiligen, kritisierte.
Zu den nun erfolgten angriffen der CDU gegen meine Person nehme ich wie folgt Stellung:
Offensichtlich wähnt sich die hiesige CDU immer noch in den Schützengräben des Kalten Krieges. Wie sonst würde sich ihr Versuch erklären, einen Andersdenkenden quasi aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausschließen zu wollen? Als Vehikel dieses Ausschlußversuchs wird auf einen Aspekt meines gesellschaftlichen Engagements verwiesen: Aktivist der deutsch-kubanischen Freundschaft". In der Tat bin ich aktives Mitglied der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V. Ein Blick in deren Satzung hätte den empörten CDUlern verraten, dass sich dieser gemeinnützige Verein der staatsbürgerlichen Bildung verpflichtet fühlt und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern, insbesondere denen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Cuba fördern will. Es verwundert, dass der hiesige Ableger der Regierungspartei CDU diese Ziele als anrüchig empfindet. Von meiner Solidarität mit dem cubanischen Volk werde ich mich darin allerdings auch zukünftig nicht abhalten lassen.
Mein Engagement beschränkt sich allerdings nicht ausschließlich auf die internationale Solidarität. Am 28. Oktober wurde ich bei einer Jubilarveranstaltung meiner Gewerkschaft IG Metall für 60jährige Mitgliedschaft geehrt. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass unsere Gewerkschaftshäuser am 1. Mai 19333 von den an der Regierung befindlichen Faschisten überfallen, geplündert und unsere Funktionäre und Kollegen in die Zuchthäuser und später Konzentrationslager verschleppt wurden.
Der international hochgeachtete jüdische antifaschistische Widerstands- und Resistance-Kämpfer Peter Gingold (08.03.1916-29.10.2006) hat auf folgendes hingewiesen:
"1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Daß sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muß jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle künftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.
Dieses Vermächtnis bewahrend, spreche ich keinesfalls, wie von der CDU Velbert absurderweise behauptet, das Demonstrationsrecht "nur noch den Gruppen zu, die ich für würdig halte". Allerdings vergessen diese Damen und Herren eine zentrale Erkenntnis: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Auf dieser Basis haben sich, wie auch das WAZ/NRZ-Internetportal wohlwollend berichtete ("Große Gegendemo bei NPD-Aufmarsch in Velbert" am 30.10.2010. Hunderte Bürgerinnen und Bürger aus unterschi8eldichen politischen Richtungen zusammen gefunden und sich den braunen Provokateuren entgegen gestellt. Die örtliche CDU gehörte leider nicht zur Mehrheit derer, die bewiesen haben, aus der deutschen Geschichte die nötigen Lehren gezogen zu haben. Im Gegenteil. Mit ihrer "Politik des Wegsehens" (In ihrer Pressemitteilung vom 26.10 rät sie sogar den Velbertern Bürgerinnen und Bürgern, "an diesem Tag ausgiebig unsere Nachbarstädte zu erkunden", unsere Heimatstadt also direkt komplett den Neonazis zu überlassen!) stellt sie sich in Widerspruch zu den Verpflichtungen unseres Landes gegenüber den Vereinten Nationen. Im Antrag der BRD zur Aufnahme in die UNO 1973 heißt es wörtlich: "Das ausdrückliche Verbot von neonazistischen Organisationen und gleichfalls die Vorbeugung gegenüber nazistischen Tendenzen folgen aus dem Grundgesetz mit der Wirkung, dass die von den alliierten und deutschen Stellen erlassenen Gesetzgebung zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus weiterhin in Kraft ist".
Ich hoffe sehr, dass sich dieser Erkenntnis zukünftig auch bei den Christdemokraten unserer Stadt verbreiten möge, damit auch diese Partei "in unserer Demokratie ankommen" wird (der CDU-Vorwurf an mich lautete, dass dies auf meine Person nicht zuträfe).
Schließlich sei der CDU Velbert noch eine weitere Lektion aus der deutschen Geschichte ins Stammbuch geschrieben:
"Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert;
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.
(Pastor Martin Niemöller, 14. Januar 1892 – 6. März 1984)
Hartmut Meinert