Am 8. November kündigte der cubanische Präsident Raul Castro den VI Parteikongress für April nächsten Jahres an. Thema soll einzig und allein die Wirtschaftspolitik sein, von der seiner Meinung nach die Zukunft des sozialen Systems der Insel abhängt.
Castro machte diese Ankündigung in einem ungewöhnlichen Rahmen, nämlich während eines Treffens mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, vor Hunderten von Funktionären beider Regierungen. Dieses Szenario wurde sicherlich nicht zufällig ausgewählt, sondern sollte die Botschaft vermitteln, dass das Bündnis mit Venezuela für die Insel lebenswichtig ist. Präsident Chávez nutzte auch gleich die Gelegenheit, seine Unterstützung für die geplante Wirtschaftsreform zu äußern.
Lange wurde der Termin für diesen VI Kongress hin- und hergeschoben. Eigentlich hätte er bereits im Jahre 2002 stattfinden sollen, aber verschiedene tiefgehende Ereignisse und die Tatsache, dass es sich um den letzten Kongress handelt, der von den alten Kämpfern der Revolution bestimmt wird, haben ihn immer weiter nach hinten rücken lassen.
Die Zeiten sind andere
Der V Kongress 1997 hatte seinerzeit den politischen Widerstand und die Einheit angesichts der wirtschaftlichen Probleme und des internationalen Würgegriffs betont. 13 Jahre später haben sich die Zeiten geändert. Linke Regierungen und revolutionäre Prozesse haben dazu geführt, dass Cuba nicht mehr allein ist in seinem Widerstand gegen deß Imperialismus.
Trotzdem schien niemand die komplexe, schwierige Situation wahrhaben zu wollen, in der Cuba sich befand, bis zu dem Moment, als Fidel Castro am 17. November 2005 die Worte sprach, die für viele so erschütternd waren, dass selbst die cubanische Presse, die sonst jede Aussage Fidels kommentiert, zunächst in lähmendes Schweigen verfiel. "Dieses Land kann sich selbst zerstören; diese Revolution kann sich zerstören. Sie können sie nicht zerstören, aber wir schon. Wir können sie zerstören und es wäre unsere Schuld."
Der Mythos von der unbesiegbaren Revolution war gebrochen. Die Probleme der Bürokratie und der Korruption verlangten eine grundsätzliche Veränderung der Politik, ein neuer Parteitag war erforderlich. Als Fidel Castro wegen seines bedrohlichen Gesundheitszustands am 31. Juli 2006 als Präsident zurücktrat, lag dieser Parteitag aber zunächst wieder in weiter Ferne.
Nach den Wahlen 2008 wurde die Bevölkerung aufgerufen, Verbesserungsvorschläge auf allen Gebieten zu machen. Damals gingen Tausende von Ideen ein, von denen man später nichts mehr gehört hat, die sich aber möglicherweise in den Parteitagsdebatten und Beschlüssen wiederfinden.
Bereits vor dem Parteitag aber wurde eine einschneidende Maßnahme in Gang gesetzt – die Entlassung von zunächst 500.000 Arbeitern aus dem Staatssektor und parallel dazu eine Vergrößerung des nichtstaatlichen Sektors. Diese Maßnahmen sind bereits im Gange und sollen bis März 2011 abgeschlossen sein.
Der Gesamtrahmen in dem diese und weitere Maßnahmen gesehen werden müssen, wurde parallel zur Ankündigung des Parteitags veröffentlicht und zwar in den "Richtlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik". Diese 32-seitige Broschüre soll als Diskussionsgrundlage für die ganze Bevölkerung dienen. Die erste Auflage von 500.000 Exemplaren war in kurzer Zeit ausverkauft und bereits am 27. November lag die zweite Auflage druckfrisch in den Verkaufsstellen.
"Richtlinien für Wirtschafts- und Sozialpolitik" – wohin geht der Weg?
Wenn alles so bleibt, wie es ist, wird die Revolution nicht überleben, das haben sowohl Fidel als auch Raúl deutlich gemacht. Die in den Richtlinien vorgeschlagenen Ideen sollen nun in einer nationalen Debatte erörtert werden. Diese soll zwischen dem 1. Dezember 2010 und dem 28. Februar 2011 stattfinden und ist der eigentliche Beginn des VI Kongresses der Kommunistischen Partei Cubas (PCC). Man kann diese Debatte als Fortführung der Arbeiter- Bauern und Studentenparlamente ansehen, auf die von der Revolution seit ihrem Sieg oft zurückgegriffen wurde. Das zugrundeliegende Dokument, das jetzt Ausgangspunkt für die öffentliche Diskussion ist, wurde von der wirtschaftspolitischen Kommission des Kongresses ausgearbeitet. Nach einer ausgiebigen Debatte soll dann, angereichert mit den Vorschlägen aus allen Teilen der Bevölkerung, das endgültige Dokument hervorgehen, das dann vom höchsten Gremium der Partei, dem Parteikongress, im April 2011 beraten wird.
Während die Broschüre mit den Vorschlägen der Bevölkerung zugänglich gemacht wurde, fand ein nationales Seminar statt, um die Kader und Spezialisten auf ihre Rolle vorzubereiten. Sie sollen nämlich in den nächsten Monaten in ihren Provinzen verantwortlich die Debatten organisieren. In einer seiner Beiträge während des viertägigen Seminars sagte Raúl Castro:
"Es geht nicht darum, die Leute von dem zu überzeugen, was in dem Projekt steht, sondern die Dinge zu erklären und penibel alle Meinungen aufzunehmen, weil es das Volk ist, das in diesem Prozess entscheidet."
Vorher hatte er noch ausgeführt, dass Diskrepanzen das Leben bereichern. Das müsse eine Maxime innerhalb der Partei sein. Diese Idee wiederholte er einige Male genauso wie die Aussage, dass die Ideen Fidels in jeder der vorgeschlagenen Richtlinien enthalten seien.
Das alles sieht aus wie ein Musterbeispiel an direkter, partizipativer, von den Wurzeln kommender sozialistischer Demokratie.
Die beiden wichtigsten Führer der einzigen Revolution, die mehr als 50 Jahre lang unter der Daueraggression des Imperiums für die Durchsetzung sozialistischer Ideen gekämpft hat, legen dem Volk die Vorschläge der Partei vor, an denen sie selbst mitgearbeitet haben.
Wenn wir uns die Richtlinien genauer ansehen, wird deutlich, dass es darin um eine gewaltige und unabwendbare radikale Erneuerung des gesamten wirtschaftlichen Systems geht, von den Mechanismen zur sozialen Umverteilung bis zu den Kriterien der Beschäftigung von Arbeitskräften. Bei all dem wird aber, was das Sozialeigentum, die wichtigsten Produktionsmittel und die nationale Souveränität über die wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen angeht, nicht zurückgewichen. Allerdings wird jetzt ein wichtiger Teil des sozialen Eigentums nicht mehr staatlich, sondern kooperativ sein, etwa in der Landwirtschaft, bei den Dienstleistungen und anderen Zweigen. Dabei werden sowohl die Kooperativen als auch die staatlichen Unternehmen dazu übergehen, über wachsende Vorrechte, Entscheidungsmöglichkeiten und Ressourcen zu verfügen. Das kann dazu führen, dass die partizipative Demokratie gestärkt wird, ebenso wie die Funktion des Staates bei der sozialistischen Planung und die Waffen, die er zur Verfügung hat, gegen die Bürokratie zu kämpfen.
Gleichzeitig wird ein neuer Sektor entstehen, gebührend reguliert, der Aufgaben übernimmt, die der Staat niemals hat erfüllen können. Die cubanische Führung vermeidet das Wort "Reform" und zieht den Begriff "Aktualisierung des ökonomischen Modells" vor. Man möchte dadurch deutlich machen, dass es nicht darum geht, die Substanz, den Sozialismus, zu verändern sondern einen großen Sprung zu seiner Vervollkommnung zu tun. Es geht weiter darum, diese Ziele zu verfolgen auf dem Weg zu einer höheren Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung und dabei die dafür notwendigen Veränderungen vorzunehmen, die Irrtümer zu beseitigen und die Regeln zu ändern, die seinerzeit unerlässlich gewesen sein mögen, die aber jetzt ein Hindernis beim Aufbau des Sozialismus sind. Es geht auch darum, die Wettbewerbsfähigkeit und den Lebensstandard des Landes inmitten der schwierigen und unvorhersehbaren Bedingungen der Krise des Kapitalismus anzuheben, ohne jemanden schutzlos zurückzulassen. Die Aufgabe der sozialen Netze ist es, dies zu verhindern.
Soweit die Zusammenfassung eines optimistischen Artikels von Angel Guerra Cabrera, der in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada erschienen ist.
Zeiten der Veränderung
Um zu verdeutlichen, wie absurd sich manche Dinge in Cuba entwickelt haben und wie dringend sich etwas ändern muss, sollen hier die Beispiele aufgeführt werden, die Atilio Boron, der argentinischen Professors und Autor vieler Bücher und Aufsätze, in seinem Artikel "Cuba, tiempos de cambio" stellvertretend für viele genannt hat.
"In einem Land mit einem so großen Wohnungsproblem wie Cuba registriert die staatliche Stelle, die für die Bauwirtschaft zuständig ist, 8.000 Maurer und 12.000 Personen, deren Aufgabe darin besteht, die staatlichen Depots, wo das Baumaterial gelagert wird, zu überwachen.
Offizielle Regierungsberichte stellen fest, dass 50% des für Landwirtschaft nutzbaren Landes brach liegt und das in einem Land, das zwischen 70 und 80 Prozent aller Nahrungsmittel, die es verbraucht, einführen muss.
Fast ein Drittel der Ernte geht verloren, weil es Koordinierungsprobleme zwischen den Produzenten (staatliche Organe, landwirtschaftliche Genossenschaften oder Unternehmen anderer Art), den Unternehmen, die die Produkte lagern und verteilen und den staatlichen Transportunternehmen gibt, die alle Produkte zu den Konsumenten bringen. Oder dass Friseur- und Schönheitssalons in Händen des Staates liegen müssen – auf welcher Seite des Kapital empfiehlt Marx so etwas? Oder dass in diesen Salons die Arbeiter alles Zubehör und alles Material bekommen, das sie für ihre Arbeit benötigen, man ihnen ein Gehalt zahlt und sie trotzdem ihren Kunden einen Preis abverlangen, der zehn Mal höher liegt als der offizielle, der irgendwann vor Jahrzehnten einmal festgelegt wurde und sie für dies alles keinen Centavo an Steuern bezahlen?"
Jetzt wird der Staat sich also nicht mehr um den Haarschnitt der Bevölkerung kümmern. Das ist eine Neuerung, die sicherlich mit Fassung getragen wird. Aber die Richtlinien enthalten vieles, was dem einfachen Cubaner und nicht nur diesem mehr oder weniger tiefe Sorgenfalten ins Gesicht gräbt.
291 Richtlinien
Alle 291 Punkte der Richtlinien aufzulisten, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aber um eine Vorstellung davon zu bekommen, hier ein kleiner Exkurs:
In Punkt 2 steht z.B. "außerhalb der staatlichen sozialistischen Unternehmen, die die wichtigste Form der nationalen Wirtschaft bilden" erlaubt man auch "die Existenz von joint-venture Unternehmen, Kooperativen, Nutzung von Land, Vermietungen von Örtlichkeiten, Arbeiter auf eigene Rechnung und andere Formen, die dazu beitragen können, die Wirksamkeit der sozialen Arbeit zu erhöhen".
Punkt 18 besagt, dass die Einkünfte der Arbeiter von den Ergebnissen abhängen, die von ihren jeweiligen Unternehmen erzielt werden. (Das kann bedeuten, dass Unternehmen mit lukrativen Produkten besser dastehen und die Arbeiter in Unternehmen, die schlecht geführt werden, keine guten Karten haben.)
Punkt 23 stellt fest, dass jedes Unternehmen die Preise für seine Produkte und Dienstleistungen selbst festlegen wird und Rabatte gewähren kann.
Punkt 35 schlägt die Dezentralisierung der Produktion in den Gemeinden vor, die den Verwaltungsräten der Gemeinden untersteht. (Es ist noch nicht klar, wer sie wählt und wer sie kontrolliert.)
Punkt 44 besagt, dass die Expansion der Dienstleistungen reduziert werden muss und diese vom allgemeinen Verlauf der Wirtschaft abhängen wird.
Punkt 45, dass man die Einfuhr von Betriebsmitteln und Produkten für die Industrie senken muss, da diese von den vorhandenen Devisen abhängt. Unter den wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen heißt es, dass das Problem des Umlaufs zweier Währungen weiter geprüft wird und man darüber entscheiden wird, wenn der Verlauf der Wirtschaft es erlaubt.
Punkt 65 stellt fest, dass das Land streng alle Schulden bezahlen werde, um das Vertrauen der Investoren zu gewinnen und Anleihen zu bekommen. (Diese Politik hat bekanntlich immer zwei Seiten, denn bei penibler Rückzahlung der Schulden steht das Geld nicht mehr für die Binnenwirtschaft zur Verfügung. Außerdem sollen exzessive Kosten bei offiziellen Ausgaben reduziert werden oder ganz wegfallen. (Was exzessiv ist, wird nicht weiter erläutert.)
Punkt 138 führt aus, dass die Immatrikulation für die verschiedenen Studiengänge der Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaft entsprechen muss.
Punkt 142 legt fest, dass die Bedingungen, die geschaffen werden, dass die Arbeiter studieren können, "von deren Freizeit abhängig sind und mit ihren persönlichen Anstrengungen geleistet werden müssen." (Das heißt, dass es keine Stipendien, Sabbatjahre, Anreize oder ähnliches mehr gibt.)
Punkt 158 entscheidet die privaten Dienstleistungen auszudehnen.
Punkt 159 fügt hinzu, dass sich Prozesse zur Verfügbarkeit von Arbeitskraft entwickeln, was heißt, dass die Zahl der Beschäftigten drastisch reduziert wird. Auch wenn es in diesem Dokument nicht vermerkt ist, steht in weiteren Beschlüssen zu diesem Punkt, dass ein Arbeiter, der 30 Jahre in einem Betrieb gearbeitet hat, im Falle der Entlassung fünf Monate lang 60% seines Lohnes erhalten wird, wer weniger lange gearbeitet hat, erhält entsprechend weniger.
Eine andere Maßnahme, auch auf wirtschaftlichem Gebiet, ist der geordnete Ausstieg aus der berühmten "libreta", mit der seit 1962 die Bevölkerung ihre Grundversorgung zu symbolischen Preisen sichern konnte.
Punkt 162 sagt dazu, dass die "libreta" "den bedürftigen Bürger genau so bedient wie denjenigen, der Hilfen nicht benötigt und so die Personen zu Tauschgeschäften und Wiederverkauf animiert und den Schwarzmarkt fördert."
Gegenwärtig befriedigen die Rationen auf "libreta" sicher nicht alle für die Ernährung notwendigen Bedürfnisse, trotzdem ist sie für die schwächeren Teile der Gesellschaft wie Rentner ohne weiteres Einkommen oder Hausfrauen mit wenig Mitteln immer noch wichtig. Die Menschen fragen sich jetzt natürlich, was passiert, wenn es keine "libreta" mehr gibt und wie viel sie dann für die Produkte bezahlen müssen. Viele haben Angst davor.
Der Punkt 164 legt fest, dass das Essen in den Kantinen nicht mehr subventioniert wird.
Im Kapitel "Sozialpolitik" Paragraph 129 heißt es in den Richtlinien, dass man "weiterhin die Errungenschaften der Revolution erhält, wie den Zugang zur medizinischen Versorgung, zu Bildung, Kultur und Sport, Freizeitgestaltung, soziale Sicherheit und den Schutz durch die Sozialhilfe für diejenigen, die sie benötigen".
Punkt 177 erklärt, dass die Preisbildung der Mehrheit der Produkte von Angebot und Nachfrage bestimmt wird.
Punkt 184 sagt, dass die Investitionen sich auf die effizientesten Produkte konzentrieren. (Das sind nicht unbedingt die von größter Wichtigkeit für die Bevölkerung.)
Zum ersten Mal rührt man an der staatlichen Beschäftigung
… und den Subventionen und versucht so, den circulo vicioso "niedrige Löhne – niedrige Produktivität" zu durchbrechen. Diese Richtlinien gehen weit über die Veränderungen in den 90er Jahren hinaus, als man, inmitten der Krise, die dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, am Niveau der öffentlichen Ausgaben und der Politik der vollen Beschäftigung festhielt.
Die Trennung zwischen Regierung und Unternehmen gehen in die entgegengesetzte Richtung zur Politik der 90er, als man die offizielle Kontrolle über die Unternehmen erhöhte. Jetzt wird mit einer Tradition der sowjetischen Ära gebrochen, nach der die Wirtschaft sich den Ministerien unterordnen soll, die ihrerseits die Norm, die Planung, die Durchführung und die Kontrolle ausüben.
Es entsteht ein unternehmerischer Sektor, der weiter in den Händen des Staates ist, der aber über größere Macht, eigene Satzung und Überwachungsmechanismen verfügt. Die öffentlichen Unternehmen werden unabhängig über die Zusammensetzung ihrer Leitung, ihr Personal und ihre Investitionen entscheiden und werden ihre Preise und Tarife innerhalb einer allgemeinen Politik selbst festlegen. Sie finanzieren ihre Produktion nicht aus Ressourcen des Staatshaushalts und bezahlen ihre Löhne je nach Leistung des Arbeiters. Mit dem, was nach den Steuern und anderen Verpflichtungen übrig bleibt, können sie Entwicklungsfonds bilden, Investitionen tätigen und Prämien an die Arbeiter auszahlen, aber die Unternehmen, die häufig Verluste einfahren, werden von der Bildfläche verschwinden.
Das System der sozialistischen Planung wird weiterhin der wichtigste Weg sein, um die Wirtschaft zu leiten, aber es muss sich an die Koexistenz zwischen autonomen staatlichen Unternehmen, Kooperativen und den Privaten gewöhnen, mittels neuer Methoden der Planausarbeitung und der Kontrolle des Staates über die Wirtschaft.
Eine Konsequenz des neuen Denkansatzes wird die Reduktion des Regierungsapparats sein.
Das Dokument sagt nun, dass sich der Peronalbestand der Einrichtungen soweit reduziert, wie noch die Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben garantiert werden kann. Das wichtigste Kriterium ist Personal und Staatsausgaben zu sparen. Die Teile der Regierung, die ihre Operationen finanzieren und Überschuss schaffen können, ändern ihren Status und werden Unternehmen.
Als Strategiedokument bestehen die Richtlinien nur aus kurzen Darlegungen, die nicht entwickelt wurden. Aber einige sind deutlich genug, um die Richtung der vorherrschenden Politik zu enthüllen, wie im Fall der Immobilien, die aus jeder kommerziellen Transaktion vom Gesetz her ausgeschlossen sind.
Eine weitere Neuerung ist die Erwähnung von Kooperativen zweiten Grades, die nur ganz kurz als Vereinigung von verschiedenen Kooperativen definiert werden, was größeren vergesellschafteten Unternehmen Raum geben könnte.
Sonderzonen der Entwicklung entstehen in Mariel im Nordwesten und in Cienfuegos in der Mitte der Insel mit der Modernisierung ihrer Häfen, der Schaffung von Infrastruktur und einem wachsenden Industriepark.
Glorreiche Neuerung oder erzwungener Rückzug?
Es gibt viele in der Kommunistischen Partei und unter den marxistischen Intellektuellen, die diese notwendigen Maßnahmen aber nicht als glorreiche Neuerung, sondern als einen durch die Umstände erzwungenen Rückzug ansehen. Ein notwendiges, aber zeitweiliges Übel, aber kein Weg nach vorn als Alternative beim Aufbau des Sozialismus. Diese Neuerungen seien das eine, aber es sei etwas völlig anderes, die Ungleichheit als etwas zu Tolerierendes, Normales, Unausweichliches, ja sogar als gesund für das Funktionieren des Systems anzusehen, heißt es in dem Aufsatz von Frank Josué Solar Cabrales, einem jungen Professor für amerikanische Geschichte an der Universität von Santiago.
Seiner Meinung nach muss deutlich werden, dass es sich um etwas Konjunkturelles handelt. Er befürchtet, dass irgendwann diese Reformen ihre wachsende Eigendynamik entwickeln bis hin zu einer langsamen und subtilen kapitalistischen Restauration. Die sozialen Verwerfungen, die sie selbst geschaffen hat, könnten sich so gegen die Revolution richten. Weiter auf diesem Weg zu gehen, werde unausweichlich die pro - kapitalistischen Sektoren innerhalb der cubanischen Gesellschaft stärken und die sozialistischen Werte von Gleichheit und Solidarität aushöhlen.
Für ihn erhebt sich auch die Frage, in wie weit die gegenwärtige Kampagne gegen Gratiszuwendungen, Subventionen, gegen Gleichmacherei und bestimmte Prinzipien sozialer Gleichheit die wesentlichen sozialen Errungenschaften der Revolution beeinträchtigen. Es sei ein Widerspruch, den Sozialismus aufbauen zu wollen, indem man die Ungleichheit fördert, oder sie als normal und unausweichlich akzeptiert. Das könne ja schon der Kapitalismus ganz gut.
Er gesteht dem Sozialismus nur eine bestimmte Dosis von Ungleichheit während einer Übergangszeit als vorübergehendes Übel zu, aber er müsse sich vom ersten Tag an auf seine allmähliche Reduzierung konzentrieren. "Es ist nicht möglich, eine Wirtschaft zu haben, die auf kapitalistischer Basis funktioniert und politisch ein sozialistisches Modell aufrecht zu erhalten", sagt er und führt weiter aus:
"Der Lohn nach erbrachter Leistung und die Benutzung des Lohns als Ansporn für die Produktion führt nicht dazu, dass der Arbeiter gemäß seiner Fähigkeiten arbeitet sondern über diese hinaus, genauso wie im Kapitalismus, der ihn ausbeutet und das Maximum seiner Kraft fordert, damit er seine und die materiellen Bedürfnisse der Familie erfüllen kann. Am Ende kommt es so, dass man die individuelle Lösung über die kollektive stellt, der Wettbewerb zwischen den Arbeitern und Unternehmen läuft dem sozialistischen Geist entgegen."
Er meint, dass trotz seiner Systemkrise der Kapitalismus nie zuvor in Cuba so viele Anhänger gehabt habe und er argumentiert:
"Wir machen die Arbeit des Feindes, wenn wir, ohne dass wir es wollen, zur theoretischen und ideologischen Rechtfertigung des Kapitalismus beitragen."
"Die scheinbare Sackgasse, in der sich das soziale Projekt Cubas befindet, rührt auch aus der Tatsache, dass es unmöglich ist, den Sozialismus in einem einzigen Land aufzubauen. Angesichts der verspäteten lateinamerikanischen Revolution bleibt als einzig möglicher Ausweg die Übernahme von Reformen des Marktes. Für uns ist es eine Frage von Leben oder Tod, dass sich die sozialistische Revolution auf ganz Lateinamerika ausdehnt. Auch aus diesem Grund sollten die cubanischen Revolutionäre den Vorschlag von Präsident Chávez, die V Internationale zu schaffen, begeistert aufnehmen und sich in dessen wichtigste Antreiber verwandeln. Für die cubanische Revolution ist eine internationalistische Politik nicht nur eine Frage der Moral oder der Tradition, sondern des Überlebens.
Die Vorstellung, dass langfristig eine gewisse Dosis Marktwirtschaft und Sozialismus koexistieren können, ist eine gefährlich Illusion. Genauso gefährlich ist es anzunehmen, dass Umwandlungen im ökonomischen Bereich keine Auswirkungen auf die politischen Strukturen haben.
Da der Sozialismus vor allem eine Sache des Bewusstseins ist und nicht nur bedeutet, etwas auf dem Teller zu haben, so ist nicht nur wichtig, was man produziert, sondern auch, wie man es produziert."
Er sieht drei Schlüsselelemente in der gegenwärtigen Situation, die man beachten sollte.
Einmal, dass die Cubaner grundsätzlich dem sozialistischen Projekt positiv gegenüber stehen und dass diejenigen, die von einer Wiedereinführung des Kapitalismus träumen keinerlei öffentliche Akzeptanz haben.
Zum andern, dass der politische Wille der Führung der Revolution und des Volkes vorhanden ist, den Sozialismus, koste es was es wolle, zu erhalten. Trotz aller guten Absichten könnten aber viele dieser Veränderungen Kräfte auslösen, die ihre eigene Logik entwickeln und außer Kontrolle geraten könnten.
Veränderte internationale Bedingungen
Der dritte wichtige Faktor sind die internationalen Variablen, insbesondere der Prozess in Venezuela, der einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung in Cuba haben wird."
Mut machen ihm die wiederholten Aufrufe an die Arbeiter, sich am Kampf gegen Korruption und Ineffizienz und an den Diskussionen zum Plan zu beteiligen. Auch der Aufruf zu einer stärkeren Demokratisierung der Kommunistischen Partei und der Partei- und Regierungsstrukturen. Denn die breite Beteiligung des Volkes an der Entscheidungsfindung sei einer der Vorteile gegenüber dem Kapitalismus, der möglichst viele vom politischen Prozess ausschließen möchte.
Da sieht er allerdings noch Handlungsbedarf, denn das Ergebnis der Volksbefragung nach der Rede Raúls in Camagüey sei bis jetzt nur einer kleinen Gruppe von Personen bekannt.
Er erinnert daran, dass die Cubaner in den 90er Jahren die Sonderperiode mit unglaublichem Durchhaltevermögen gemeistert haben. Eine neue Sonderperiode würde unter völlig anderen Bedingungen stattfinden. Die Führung Fidels und das Vertrauen des Volkes in ihn haben die Einheit und den sozialistischen Weg gewährleistet. Seine Lücke könne von niemanden ersetzt werden. Vital sei jetzt eine vereinte solide Partei mit größtmöglicher interner Demokratie und ein Ambiente freier Ideen zwischen Revolutionären.
Die größte Gefahr ist für ihn die sich ausdehnende Entpolitisierung der Jugend, die von dem offiziellen pragmatischen Diskurs noch gefördert werde.
Kollektive Lösungen oder Verbreitung kapitalistischer Werte?
Camila Pineiro Harnecker hat sich schwerpunktmäßig mit den Risiken für die cubanische Wirtschaft auseinandergesetzt, die eine Ausdehnung der nicht-staatlichen Sektors in sich birgt und gibt Anregungen, wie man diese vermeiden kann.
Zunächst muss ihrer Meinung nach ein sozialistisches Unternehmen nicht notwendigerweise vom Staat verwaltet werden. Das, was für sie ein sozialistisches Unternehmen ausmacht, ist die Art, wie dessen Verwaltung oder Management durch die Gesellschaft kontrolliert wird: durch das Arbeiterkollektiv, durch die Gemeinde, in der es seinen Sitz hat und durch andere soziale Gruppen, die auf irgendeine Art mit dem Unternehmen zu tun haben.
Wenn man dieser Logik folgt, kann auch eine Person, die allein arbeitet (also der cuentapropista –Arbeiter auf eigene Rechnung) oder ein Unternehmen, das demokratisch von Arbeitern geführt wird und außerdem am sozialen Interesse ausgerichtet ist, ein sozialistisches Unternehmen sein. Diese bilden ihrer Meinung nach echte, genuine Instanzen von sozialem Eigentum. Deswegen bedeute deren Einführung kein Rückschritt beim Aufbau des Sozialismus.
Allerdings wäre ein Unternehmen, das nur von einer Person kontrolliert wird also z.B. der Arbeiter auf eigene Rechnung, kein sozialistisches Unternehmen mehr, wenn er eine Arbeitskraft dauerhaft unter Vertrag hat. Dann werde es zu einem Unternehmen, in dem es einen Kapitalisten gibt, der alle Entscheidungen trifft und keine Mitsprache der Arbeiter erlaubt; in dem die Arbeiter, indem sie ihre Arbeitskraft verkauft haben, ihr Mitspracherecht aufgegeben haben. Nach der marxistischen Theorie sei diese private (nicht soziale) Kontrolle oder dieses "Privateigentum" die Basis des Funktionierens der kapitalistischen Gesellschaft. Ausgehend von der alltäglichen Praxis dieser Beziehung zwischen den Personen, bei den Kapitalisten genauso wie bei den Lohnabhängigen entwickelten sich die Werte des Individualismus, des Egoismus und der Apathie und Unempfindlichkeit gegenüber den Bedürfnissen und Interessen der anderen.
Deswegen sieht sie ganz klar die Gefahr, die darin steckt, wenn gefördert wird, dass jede Einzelperson ohne Begrenzung Arbeiter einstellen kann. Wenn noch nicht einmal die Möglichkeit bestehe, bei Arbeiten, für die mehr als eine Person nötig ist, selbstverwaltete Unternehmen zu schaffen, dann sieht sie darin die Verbreitung kapitalistischer Werte, zu der es komme, "wenn wir individuelle Lösungen gegenüber den kollektiven den Vorzug geben, die autoritären Betriebsführung der demokratischen und den Egoismus über die Solidarität."
Deswegen empfiehlt Camila Pineiro unbedingt die selbst verwalteten Unternehmen (Kooperativen) gegenüber der Lohnarbeit zu begünstigen. Sie sagt, Marx definiere die sozialistische Produktion als Zusammenschluss von freien Arbeitern vereint durch einen Plan. Deswegen sei es weder nötig noch ratsam die Lohnarbeit zu verbieten. Man sollte aber klare Grenzen setzen und sie so regeln, dass es dem Einzelunternehmen attraktiver erscheint, selbstverwaltete Kooperativen aufzubauen und die potentiellen Lohnarbeiter auch lieber bei diesen arbeiten.
Sie fordert deshalb ein Gesetz für Kooperativen, das sehr weit gesteckt sein kann und den Staat in die Pflicht nimmt diese zu unterstützen. Dafür wäre eine Institution wie die ANAP zu schaffen, diese Aufgabe bei landwirtschaftliche Kooperativen hat.
Ein weiteres Risiko sieht sie in der Ausrichtung der Wirtschaft auf Gewinn anstatt auf die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse.
Die Arbeitsorganisation beim Aufbau des Sozialismus
... basiere auf für die Klassiker des Marxismus zwei besonders wichtigen Elementen.
Einmal, dass die Unternehmen Vereinigungen von freien Arbeitern sind, die demokratisch geführt und durch einen Plan vereint und geleitet werden, der die sozialen Interessen befriedigt. Die Planung sei nicht nur notwendig, um die zyklischen Krisen des Kapitalismus zu vermeiden, sondern auch deshalb, damit die Gesellschaft wirklich entscheidet was wichtig für sie ist und nicht nur, was den Unternehmen den meisten Gewinn einbringe.
Andererseits würde, wenn die Gesellschaft nicht die Kontrolle darüber ausübe, dass die Wirtschaft ihren Interessen entspricht, Gewinnmaximierung angetrieben. Dies sei die Logik der Marktwirtschaft. Gewinnmaximierung stimme aber nur selten mit öffentlichem Interesse überein. Mit dieser Logik würden die Unternehmer aber Gewinn vor Notwendigkeit setzen und das Angebot, das sie produzieren, ziele darauf diejenigen mit der größten Kaufkraft zu befriedigen. Sie würden auch die Preise so hoch wie möglich über ihren Kosten ansetzen, Steuern versuchen zu vermeiden, die Rohstoffe verwerten, die am billigsten seien, aber möglicherweise die Gesundheit und die Umwelt schädigen um nur einige Faktoren zu nennen.
Um das zu vermeiden empfiehlt Camila Pineira bei den nicht-staatlichen Unternehmen die soziale Kontrolle durch die Regierung und die Bürger der jeweiligen Orte zu fördern.
Sie glaubt, dass für ein System des Marktes die Planung von oben nicht die einzige Alternative ist. Sie beruft sich dabei auf diverse Ökonomen, die gezeigt haben, wie Einrichtungen aussehen müssen, die den horizontalen Austausch mit einer mit dem sozialen Interesse kompatiblen Logik fördern und möglich machen, ohne merkantilem Austausch. Anstatt die Beziehungen des Marktes als unausweichlich zu akzeptieren sei es möglich eine höhere Synthese zu etablieren, die Vorteile der dezentralen Aktivitäten mit denen die durch soziale Interessen definiert sind, kombiniere. Das sei nichts anderes als dafür zu sorgen, dass die Unternehmen, staatlich oder nicht, unter einer Logik operieren, die sozial verantwortliches Handeln prämiert und die bestraft, die gegen das soziale Interesse agieren. Diese Idee wird noch weiter ausgeführt.
Sie kommt zu dem Schluss, dass die Förderung der nicht-staatlichen Unternehmen negative Konsequenzen haben kann, wenn es nicht gelingt, die staatlichen Unternehmen zu dezentralisieren und zu demokratisieren. Unter anderem sieht sie die Gefahr, dass die staatlichen Unternehmen etwa durch vermehrten Raub an Betriebsmittel vom staatlichen zum privaten Sektor. Deswegen wäre es ihrer Meinung nach besser gewesen, die staatlichen Unternehmen erst zu reformieren bevor man die nicht-staatlichen zugelassen hat.
Andererseits sieht sie aber auch die Gefahr, dass wenn man nicht ein Mindestmaß an Bedingungen schafft, dass die neuen nicht-staatlichen Unternehmen erfolgreich sein können, bevor die geplanten Entlassungen stattfinden, man Gefahr laufe, dass sie in großer Zahl scheitern. Diese Leute würden dann das Vertrauen in ihre Fähigkeiten verlieren und es nicht noch einmal versuchen und so das Problem der Arbeitslosigkeit verschärfen mit schlimmen Folgen für die Gesellschaft im allgemeinen.
Kleinere und mittlere Unternehmen könnten, wenn alles gut gehe, Arbeitsplätze schaffen und bisher unbefriedigte Konsumbedürfnisse erfüllen. Aber es komme darauf an, die negativen Folgen, die sie versucht habe zu schildern, zu vermeiden.
Inzwischen wurde angekündigt, dass Cuba im nächsten Jahr Material für die privaten Unternehmer (Arbeiter auf eigene Rechnung) im Wert von etwa 130 Millionen Dollar importieren wird. "Das Land sichert, soweit dies möglich ist, die Grundstoffe und notwendiges Material für die Ausübung der Arbeit auf eigene Rechnung zu.", heißt es in der Granma. Von den 178 Möglichkeiten zur Selbstständigkeit, die seit Beginn des letzten Monats freigegeben wurden, benötigen 31 wie z.B. Privatlehrer oder Übersetzer keinerlei Rohstoffe. 34, wie etwa Uhrmacher oder Schuster nur in geringem Ausmaß. Der Rest aber braucht dringend Werkzeug, Einrichtung und Infrastruktur für die Ausübung ihrer Arbeit. Zwei Berufe wurden wieder von der ursprünglichen Liste gestrichen, weil man sich nicht in der Lage sieht, deren Betriebsmittel zu garantieren. Es handelt sich dabei um Automechaniker und Polierer. Wenn diese ihren Beruf ausüben würden, könnten sie es nur mit aus Staatsbetriebenen gestohlenem Material tun.
Der chinesische Weg?
Immer wieder taucht in der Debatte auch die Frage nach einem möglichen chinesischen Weg für Cuba auf. Das wird besonders in den westlichen Medien lanciert, weil man dies als letztendliche Wiedereinführung des Kapitalismus begrüßen würde. Cuba betont immer wieder, dass Cuba nicht China ist und Modelle nicht kopiert werden können. Nur, einige Ideen in dieser Richtung gibt es schon.
Omar Everleny, z.B. der Vizedirektor des einflussreichen Zentrums für Cubanische Wirtschaftsstudien (CEEC) an der Universität Havanna spricht in einem in La Jornada veröffentlichten Interview von der Notwendigkeit ausländische Investitionen zu fördern, der Notwendigkeit kleine und mittelgroße Unternehmen zu entwickeln, der Dezentralisierung der Wirtschaft und der Rolle des Marktes in der Wirtschaft. Auf Vietnam bezugnehmend sagt er wörtlich: "In einem Land und einer Ökonomie, sogar wenn sie sozialistisch ist, muss der Markt eine wichtige Komponente sein. In welchem Maß muss man diskutieren, aber ich denke, dass eine Quote ein Anteil von Markt für Cuba unter den gegenwärtigen Bedingungen lebenswichtig ist. Vietnam ist es gelungen, den Markt einzuführen und das ist eine Ökonomie mit hohen Wachstumsraten, wachsendem Wohlstand und sie spielt heute weltweit eine Schlüsselrolle beim Export von Basisprodukten."
Auch in einem anderen Artikel wiederholt er dieselben Ideen über den Aufbau nicht-staatlicher Form von Eigentum nicht nur in der Landwirtschaft sondern auch im Produktions- und Servicebereich. "Der Staat sollte für sich selbst die Rolle des Regulators behalten und seine Energie auf die strategischen Sektoren konzentrieren. Die 50 Jahre Sozialismus in Cuba haben mit einigen Ausnahmen gezeigt, dass Re-Zentralisierung und eine Politik, die darauf gerichtet ist, den Markt zurückzudrängen, wirtschaftliche Rezession und widrige Situationen mit sich gebracht haben. Das ist nicht der Weg, den wir in Zukunft beschreiten sollten. Der Staat sollte von seiner Rolle des allgemeinen Verwalters Abstand nehmen und die des allgemeinen Regulierers übernehmen, ohne das sozialistische Projekt zu verändern, für das sich die Cubaner entschieden haben."
Auch wenn Everleny weiter von einem sozialistischen Projekt spricht, sieht das schon sehr nach einem Marktsozialismus aus und es ist auch kein Wunder, dass besagter Artikel in einer Zeitschrift der Friedrich Ebert Stiftung veröffentlicht wurde, die weltweit an kapitalistischen Konterrevolutionen arbeitet.
Auch eine Studie von Jorge Martio Sánchez Egozcue vom Zentrum für US-Studien an der Universität von Havanna und Juan Triana Cordoví vom CEEC sehen eine Erholung der Landwirtschaft nur durch private ausländische Investitionen und die Förderung von privaten Unternehmen, egal ob kooperativ oder nicht. Das würde ihrer Meinung nach zu einer wachsenden Effektivität des gesamten Systems führen. Gleichzeitig wollen sie die ausländischen Investitionen auf die neuen Sektoren ausbreiten und den gesetzmäßigen Rahmen dafür ändern.
Alternativen
Dann ist da noch Pedro Campos mit seinem 13 Punkte Programm, das auch andere unterzeichnet haben und das dem VI Parteikongress vorgelegt werden soll.
Darin stehen Vorschläge wie die Schaffung von "Arbeiterräten auf jedem Arbeitsplatz". Er will die wirtschaftlichen Probleme Cubas durch die volle Beteiligung der Arbeiter in allen Stufen des Entscheidungsprozesses lösen.
Das soll so weit gehen, dass bei kleinen und mittleren Unternehmen das Eigentum über die Produktionsmittel direkt an die Arbeiter gehen soll, entweder durch Kauf auf Kredit oder vom Staat übergeben. Für die Unternehmen von nationalem strategischem Interessen schlägt er ein Ko-Management zwischen Staat und Arbeiterkollektiv vor.
In allen Fällen würde die Lohnzahlung durch gleiches Aufteilen eines Teils des Gewinns erfolgen. Das erinnert ein bisschen an Jugoslawien.
Das Problem eines solchen Systems wird immer die extreme Ungleichheit sein. Es wird immer Betriebe z.B. im biotechnologischen Sektor geben die höhere Gewinne machen als in der Nickel-Industrie, wenn der Weltmarktpreis fällt. Die Gefahr einer Abwanderung aus wichtigen aber weniger lukrativen Teilen der Volkswirtschaft wäre die logische Folge.
Auch bei diesem Modell müssten die Arbeiter viel arbeiten um viel Gewinn zu erwirtschaften, damit sie etwas zu verteilen haben oder um das Konkurrenz-Unternehmen auszustechen. Campos´Projekt sieht nämlich keine Kontrolle des Staates vor sondern möchte der Aktivität der Wirtschaft freien Lauf lassen.
In welche Richtung verläuft der Prozess?
Jorge Martin hegt große Befürchtungen, wenn zu den 170.000 bereits bestehenden Arbeitern auf eigene Rechnung noch weitere 250.000 neue Lizenzen hinzukommen, denen jetzt auch noch erlaubt wird Lohnarbeiter zu beschäftigen. Er sieht, dass sich eine Kluft zwischen all diesen "kleinen Privatkapitalisten" und dem öffentlichen Sektor öffnen wird. Wenn es dann dem Staat nicht gelänge, Waren von guter Qualität zu erzeugen, sieht er die Gefahr, dass sich der private Bereich auf Kosten des staatlichen ausdehnt und das sozialistische Element sich immer mehr zurückzieht. Seiner Meinung nach ist die Vorstellung, dass der Staat das kapitalistische Element kontrollieren könnte, utopisch. Die Gesetze des Marktes würden sich behaupten. Wenn zwei widersprüchliche und sich gegenseitig ausschließende Tendenzen nebeneinander existieren, wird früher oder später eine die Oberhand gewinnen. Er glaubt nicht, dass der Kampf durch ideologische Reden und Ermahnungen sondern von Kapital und Produktivität gewonnen werde. Das zermalmende Gewicht der kapitalistischen Weltwirtschaft werde entscheidend sein. Aufgabe der Planwirtschaft, Einführung von Marktmechanismen auf allen Ebenen und die Öffnung des Landes für ausländische Investitionen in allen Bereichen ist der Weg, den viele cubanische Ökonomen favorisieren und das sei schlichtweg die Befürwortung des Kapitalismus.
Er glaubt, dass viele in Cuba die Reformen willkommen heißen, ganz einfach, weil sie davon ausgehen, dass etwas getan werden müsse. Aber wenn sich die vollen Auswirkungen zeige, könne die Stimmung ganz schnell umschlagen. Die Cubaner haben immer gezeigt, dass sie zu Opfern bereit sind. Es sei aber wichtig, dass das Opfer für alle gleich sei.
Auch er sieht wie Frank Josué Solar Cabrales und letztendlich Che Guevara die einzige Möglichkeit die cubanische Revolution wirklich zu retten, darin, die Revolution in ganz Lateinamerika zu verbreiten. Deswegen möchte er auch, dass Cuba mit mehr Begeisterung den Aufruf von Präsident Chávez zu einer Fünften Internationale unterstützt. Für ihn sind Arbeiterdemokratie und revolutionärer Internationalismus die Hoffnung, für die Zukunft. Das Schicksal Cubas ist seiner Meinung nach eng mit dem Schicksal der venezolanischen Revolution verbunden.
Damit wären wir wieder am Anfang dieses Artikels. Offensichtlich sieht die cubanische Führung das ähnlich, sonst hätte sie für die Bekanntgabe des VI Parteitags nicht den Besuch des venezolanischen Präsidenten und seiner Regierungsdelegation genutzt.
Jorge Martin zieht daraus aber die Schlussfolgerung, dass Cuba den revolutionären Kräften innerhalb Lateinamerikas mehr Unterstützung zukommen lassen solle, anstatt Konzessionen mit kapitalistischen Tendenzen zu machen. Für ihn geht es darum, die Enteignung der Oligarchie in Ländern wie Venezuela und Bolivien voranzutreiben. Nur die Enteignung der Kapitalisten hätte damals das Überleben der cubanischen Revolution gewährleistet.
"Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass Sozialismus ohne Kritik und ohne kollektive Beteiligung dazu verdammt ist im allerschlimmsten Kapitalismus zu enden."
Das sagt der cubanische Schriftsteller Desiderio Navarro und er fügt hinzu, dass er sowohl gegen" Experimente à la perestroika als auch gegen chinesische Schattenspiele" sei.
Und wie zu erkennen, ist das Spektrum der Ideen groß. Da sind die, die den Sozialismus mit Markt haben wollen und mehr "Demokratie", in Wirklichkeit aber unsere bürgerliche Demokratie meinen.
Da gibt es die revolutionäre marxistische Linie, für die die Verteidigung der cubanischen Revolution nur erfolgreich sein kann, wenn sie auf internationalem Sozialismus und echte Arbeiterdemokratie begründet ist.
Und dann gibt es viele Ideen dazwischen. Aus dem allen soll sich jetzt die Zukunft Cubas entwickeln. Hoffen wir, dass sich aus der Ideenvielfalt eine Alternative ergibt, die den Sozialismus in Cuba und Lateinamerika weiter bringt. Wie Fidel schon in seiner berühmten Novemberrede vor Studenten der Universität Havanna festgestellt hat, weiß keiner wie Sozialismus geht. Cuba ist jetzt eine Art Versuchslabor und muss versuchen die richtigen Reagenzien zu mischen, dass am Ende Sozialismus herauskommt. Wie wir alle wissen, kann es fatale Folgen haben, wenn man die falschen erwischt.
Am 1. Dezember haben die Debatten zu den Richtlinien für den Parteitag begonnen, die bis zum 28. Februar dauern sollen.
Dazu gab es ein Editorial in der Parteizeitung Granma:
Was bedeutet diese Debatte?
Sie bedeutet die Teilnahme des ganzen Volkes am VI Parteikongress, der in der zweiten Aprilhälfte 2011 stattfinden wird und die Möglichkeit, dass jeder Einzelne sein Kriterium darlegt und ohne Hemmungen seine abweichende Meinung äußert.
Niemand soll seine Meinung für sich behalten und noch weniger daran gehindert werden, sie zu äußern. Die Partei fordert von allen ihren Organisationen ein Maximum an Transparenz, äußerste Klarheit bei den Analysen und die Klärung aller Zweifel und Besorgnisse, die wir innerhalb der Revolution haben.
Sich am Schicksal des Landes beteiligen ist das Recht eines jeden Cubaners und einer jeden Cubanerin. Außerdem zeigt sich darin die Ausübung der sozialistischen Demokratie und die Transparenz der Revolution und ihrer Einheit mit ihrem Volk.
Und es muss das Volk sein, weil das, was auf dem Spiel steht, die Zukunft der cubanischen Nation ist. Wir werden sie nur garantieren können, wenn wir das soziale System, auf das wir uns seit jenen Tagen von Playa Girón geeinigt haben und das wir in der Verfassung der Republik ratifiziert haben, erhalten und entwickeln. Damals haben wir proklamiert, dass der sozialistische Charakter und dessen politischer und sozialer Inhalt unwiderruflich sind.
Am vergangenen 8. November in einer Veranstaltung zum Gedenken des X. Jahrestages des gemeinsamen Kooperations-Abkommens zwischen Cuba und Venezuela, als die Einberufung des VI Parteikongresses bekannt gegeben wurde, erklärte der Compañero Raúl den Willen, der diesem Prozess auszeichnen wird: " Der Kongress ist nicht nur das Zusammentreffen derer, die als Delegierte gewählt worden sind, sondern auch der ganze dem Parteitag dem vorangehende Prozess, an dem die Aktiven der Partei und die ganze Bevölkerung die Richtlinien oder Beschlüsse diskutiert, die von diesem angenommen werden. Aus diesem Grund wird dieser sechste Kongress ein Kongress aller aktiven Parteimitglieder und des ganzen Volkes sein. Sie alle werden aktiv an dieser grundlegenden Beschlussfassung der Revolution teilnehmen."
Die Debatte, die wir beginnen ist die Quintessenz unserer Revolution: Es ist das Volk, das entscheidet.
Renate Fausten
CUBA LIBRE 1-2011