Der kommende Parteitag in Kuba ist nach langem Warten für April dieses Jahres angesetzt.
Mehrfach ist er verschoben worden. Nun soll der sechste Parteitag der regierenden Kommunistischen Partei Kubas (PCC) in der zweiten Aprilhälfte dieses Jahres in Havanna stattfinden. Ein Folgekongress war mehrfach verschoben worden, unter anderem wegen der schweren Erkrankung des – zumindest de jure – noch amtierenden Ersten Sekretärs der PCC, Fidel Castro. Der bislang letzte Parteitag der PCC fand 1997 statt. Der Diskussionsbedarf ist entsprechend hoch. Denn nicht nur in dem sozialistischen Karibikstaat hat sich viel verändert. Auch der lateinamerikanische und karibische Kontext hat sich grundlegend gewandelt.
Den neuen Termin gab Staatschef Raúl Castro am Rande eines Treffens mit seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez in der kubanischen Hauptstadt bekannt. Der sechste Kongress der Regierungspartei werde sich in erster Linie mit der Entwicklung der Wirtschaft des Landes beschäftigen, sagte er in der Rede im internationalen Tagungszentrum "Palacio de Convenciones" im Osten der Hauptstadt. Dort war Raúl Castro Anfang der zweiten Novemberwoche mit seinem Amtskollegen Hugo Chávez zum zehnten Jahrestag der Unterzeichnung umfassender Wirtschaftsabkommen zwischen beiden Staaten zusammengekommen.
"Das Politbüro hat beschlossen, den sechsten Parteitag in der zweiten Aprilhälfte kommenden Jahres zu organisieren", zitierte die halbstaatliche Nachrichtenagentur Prensa Latina den Regierungschef. Der erst Kongress nach 14 Jahren falle dann mit dem 50. Jahrestag der zurückgeschlagenen US-Invasion in der Schweinebucht wie auch mit der Erklärung des sozialistischen Charakters der kubanischen Revolution zusammen. Die Symbolik scheint gewünscht.
Während sich eine "Nationale Konferenz" der regierenden PCC im späteren Verlauf dieses Jahres mit der internen Entwicklung der Organisation beschäftigen soll, wird es auf dem Parteitag allein um die anhaltenden Wirtschaftsprobleme des sozialistischen Karibikstaates gehen. Von diesem "wirtschaftlichen Kampf" hänge schließlich das Schicksal der kubanischen Revolution ab, erklärte Raúl Castro, der schon seit seiner komissarischen Übernahme des höchsten Staatsamtes Mitte 2006 Veränderungen im Wirtschaftsapparat vorgenommen hat. Vor wenigen Wochen erst wurden die restriktiven Regeln für das Kleinunternehmertum gelockert. Die Öffnung der Wirtschaft folgte unmittelbar auf die Ankündigung, 500.000 Angestellte aus dem Staatsdienst zu entlassen. Dies sei notwendig, um die immensen Ausgaben des Staates zu verringern, teilte der Gewerkschaftsdachverband CTC mit.
Bereits am 9. November wurden Leitlinien für beabsichtigte weitere Reformmaßnahmen innerhalb der Parteigliederungen in Umlauf gebracht. Das 32-seitige Dokument mit 291 Vorschlägen über die "Aktualisierung des Wirtschaftsmodells" soll nun bis zum Ende des Monats in allen Verwaltungsbezirken des Landes debattiert werden. Von Anfang Dezember bis Ende Februar des kommenden Jahres werden die Massen- und Basisorganisationen diese Diskussion fortführen, so Raúl Castro. "Es werden nicht nur diejenigen diskutieren, die als Delegierte gewählt werden", fügte er hinzu, "sondern es wird einen breiten Prozess aller Parteimitglieder und der gesamten Bevölkerung geben."
Beim gemeinsamen Auftritt mit Hugo Chávez bekräftigte Kubas Staats- und Regierungschef die Notwendigkeit der weiteren regionalen Integration. Die Zusammenarbeit zwischen Havanna und Caracas sei dafür ein Beispiel. Dies schlage sich auch in dem nun vorgestellten Debattenpapier nieder, so Raúl Castro. Darin werde der massive Ausbau der Ende 2004 von Kuba und Venezuela gegründeten Bolivarischen Allianz für Amerika (ALBA) empfohlen.
Bei der internen Debatte über die anstehenden wirtschaftspolitischen Neuerungen ist die Außenpolitik dabei kein Streitpunkt. Die Menschen in Kuba bewegt vor allem die soziale Realität des Landes, also die sozialen und gesellschaftlichen Probleme, die seit den weltpolitischen Umbrüchen 1989/1990 nicht gelöst wurden.
Anfang Dezember schilderte der Kuba-Korrespondent der deutschen Nachrichtenagentur dpa, Vicente Poveda, die Debatten über das wirtschaftspolitische Strategiepapier in den Betrieben. In einer Tabakfabrik im Stadtteil Vedado stellten sich sieben Vertreter der PCC über zwei Stunden hinweg der Kritik und den Anregungen aus der Belegschaft. Eine Angestellte, Gricel Pérez, beklagte dabei zunehmende Probleme in den Schulen. Mitunter sei nur eine Lehrkraft für mehrere Fächer anwesend, so Pérez, die hier Nachbesserungen forderte. Andere Angestellte beklagten hohe Preise auf den Märkten im Vergleich zu den Einkommen in kubanischen Pesos. In Punkt 162 des Diskussionspapiers sei von der Abschaffung der Bezugsmarken, der sogenannten Libreta, die Rede, sagte der Angestellte Octavio Martínez: "Meiner Meinung nach ist das Land wirtschaftlich noch nicht so weit".
Die Diskussion soll in Betrieben und politischen Organisationen noch bis Februar andauern. Staatschef Raúl Castro versicherte, dass "alle Vorschläge geprüft werden".
Harald Neuber ist Korrespondent der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina in Deutschland
CUBA LIBRE 1-2011