Fidel zurück

Zuerst konnte man es in Cuba kaum glauben. Beim ersten angekündigten Aufritt des Comandante bei der Mesa Redonda saß fast ganz Cuba vor dem Bildschirm und viele hatten Tränen in den Augen.

Inzwischen ist das Erscheinen von Fidel auf dem Bildschirm bereits wieder selbstverständlich geworden. Mal in oliv-grün, mal im karierten Hemd (aber nicht mehr im Adidas Dress) trifft er sich mit cubanischen Künstlern im José Martí Denkmal, heißt er die Brigade cubanischer Ärzte, die in Bolivien ihre Dienste verrichtet hatte, auf dem Flughafen von Havanna willkommen oder spricht er vor den Abgeordneten der Nationalversammlung.

Über die Zeit seiner Erkrankung gab er Journalisten der mexikanischen Tageszeitung La Jornada Auskunft. Vier Jahre lang befand er sich zwischen Leben und Tod, in einem ständigen Hin und Her zwischen Operationssälen, Intensivstation und Krankenzimmer. Ernährt wurde er durch die Venen und durch Katheter und häufig verlor er das Bewusstsein.

Es war der 31. Juli 2006, als er öffentlich von seinen Ämtern zurücktrat.

"Ich war fast tot", sagte er ruhig ohne die Divertikulis mit Namen zu nennen, noch die Blutungen zu erwähnen, die das Ärzteteam mehrmals zu Eingriffen zwang, von denen jeder einzelne Lebensgefahr bedeutet hatte. Er hatte nichts dagegen, dass die Journalisten diese Etappe als Leidensweg bezeichneten. "Ich habe schon überhaupt nicht mehr daran geglaubt zu leben ... Ich habe mich einige Male gefragt, ob diese Leute (seine Ärzte) mich unter diesen Bedingungen leben lassen oder ob sie mir erlauben zu sterben ... Schließlich habe ich überlebt, aber in einem sehr schlechten physischen Zustand. Ich möchte euch sagen, dass ihr vor einer Art von Wiederauferstandenem steht", unterstrich er mit einem gewissen Stolz. Neben seinem exzellenten medizinischen Team war es sein Wille und seine eiserne Disziplin, zu der er sich immer zwang, wenn es nötig war.

"Ich habe nicht den kleinsten Verstoß begangen", sagte er und meinte die Regeln, die ihm seine Ärzte auferlegt haben.
"Gefesselt an jenes Bett habe ich nur meine Umgebung betrachtet und all diese Apparate überhaupt nicht beachtet. Ich hatte keine Ahnung, wie lange das alles dauert und ich hatte nur die einzige Hoffnung, dass die Welt anhalten möge", wahrscheinlich um nichts zu verpassen. "Aber ich bin wieder auferstanden", sagt er vergnügt.
Die Journalisten fragten ihn, auf was er danach getroffen sei.
Fidel antwortete lächelnd: "Auf eine verrückte Welt ... Eine Welt, die jeden Tag im Fernsehen, in den Zeitungen erscheint und die man nicht verstehen kann, aber eine Welt, die ich um nichts in der Welt verlieren wollte."

Die Journalisten beschrieben ihn als einen Menschen mit einer überraschenden Energie für jemanden, der aus dem Grabe aufgestanden sei. Sie entdeckten an ihm die gleiche intellektuelle Neugierde wie immer. Nach Aussagen der Leute seiner Umgebung gibt es kein Projekt, egal ob gigantisch oder minimal, in das er sich nicht mit aller Leidenschaft hineinstürzt, besonders wenn er sich Widerständen gegenübersieht.

Die Aufgabe Informationen anzuhäufen beginnt sofort nach dem Erwachen. Mit einer Lesegeschwindigkeit von der keiner weiß, mit welcher Methode sie erzielt wird, verschlingt er Bücher, liest zwischen 200 und 300 Nachrichten der Agenturen. Er ist abhängig von den neuen Kommunikationstechnologien und fasziniert von Wikileaks.

Zu einer Journalistin gewandt sagte er: "Hast du bemerkt, companera, was das bedeutet? Das Internet hat uns die Möglichkeit in die Hände gelegt, uns mit der Welt in Verbindung zu setzen. Nichts davon hatten wir früher zur Verfügung." Dabei sieht er Texte durch, die er vom Internet heruntergeladen hat und die auf einem Schreibtisch liegen, einem kleinen Möbelstück, immer noch viel zu klein für seine Größe, auch wenn er ein bisschen kleiner geworden ist.

"Es gibt keine Geheimnisse mehr, oder wenigstens scheint es so. Wir befinden uns inmitten eines Journalismus der High Tech Investigation, (wie ihn die New York Times bezeichnet), der für jeden zugänglich ist."

Er fährt fort: "Wir befinden uns vor der gefährlichsten Waffe, die jemals existiert hat, und das ist die Kommunikation. Die Macht der Kommunikation ist immer in den Händen des Imperiums gewesen und sie ist es noch und sie wird von mächtigen Privatgruppen benutzt und missbraucht. Deshalb ist die Situation, wie sie heute ist. Ich muss dabei an Chomsky denken: Jede Betrügerei, die das Imperium vorhat, muss zunächst auf die Unterstützung der Medien zählen, hauptsächlich auf das Fernsehen und die Zeitungen und heute natürlich auf all die Instrumente, die das Internet zur Verfügung stellt. Die bereiten das Theater für die Operationen vor. Trotzdem, obwohl sie versucht haben, sich diese Macht zu erhalten, ist es ihnen nicht gelungen. Sie verlieren sie jeden Tag mehr, solange immer weiter neue Seiten im Internet entstehen", fährt Fidel fort und kommt wieder auf Wikileaks zu sprechen und auf die Situation Cubas, das als ganzes Land nur über einen Zugang zum Internet verfügt, wie irgendein Hilton Hotel., weil die USA Cuba den Zugang zum Unterwasser-Glasfaserkabel verweigern, das an Cubas Küsten vorbeiführt.

Vor etwa zwei Monaten, als der Prozess seiner "Auferstehung" noch nicht abgeschlossen ßar, hatte Fidel einige "Reflexiones" über seinen mächtigen Nachbarn geschrieben. "Da begann ich ganz klar die Probleme einer wachsenden Welttyrannei zu sehen und die präsentierte sich für mich, angesichts aller Informationen, die ich zur Verfügung hatte, als " die eines bevorstehenden nuklearen Angriffs, der eine Weltkatastrophe heraufbeschwören könnte."

Zu dem Zeitpunkt konnte er noch nicht hinausgehen, um zu reden, und das machen, was er jetzt tut. Er konnte kaum flüssig schreiben, denn er musste mit seinen 84 Jahren nicht nur wieder laufen, sondern auch wieder schreiben lernen.

"Ich kam aus dem Krankenhaus, kam nach Hause und ich begann zu laufen, ich steigerte mich. Dann musste ich zunächst eine Fußrehabilitation machen und erst danach fing ich wieder an, schreiben zu lernen.Einen qualitativen Sprung gab es, als ich alles das wieder beherrschte, was ich heute kann. Aber es muss noch besser werden ... Ich kann es schaffen wieder gut zu laufen. Heute bin ich schon 600 Schritte gegangen, ohne Stock.", sagte er befriedigt.
Und warum diese Arbeitswut, die möglicherweise auch zu einem Rückfall führen könne", wollten die Journalisten wissen:
"Ich möchte in diesen Tagen nicht abwesend sein. Die Welt ist in der interessantesten und gefährlichsten Phase ihrer Existenz und ich fühle mich verpflichtet gegenüber dem, was passieren kann. Ich habe noch Dinge zu erledigen".

Sein gerade beendetes Buch "Der strategische Sieg" hat er öffentlich in Anwesenheit seiner Kampfgenossen vorgestellt. Der zweite Teil ist bereits in Arbeit. Außerdem schreibt Fidel weiterhin seine Reflexiones, die er nun vermehrt in Interviews erläutert. Bei diesem Arbeitspensum kann es einem fast schon wieder schwindlig werden. Aber Fidel hat Anliegen, die er immer wiederholt in der Hoffnung, die Welt aufzurütteln.
Eine Gruppe der bekanntesten Journalisten Cubas bat er, ihm die schwierigsten Fragen zu stellen, die ihnen einfielen. Aber auch die Fragen dieser Journalisten zentrierten sich auf die von Fidel immer wieder angesprochene Kriegsgefahr.

Keiner rechne mit dem Krieg, sagte Fidel, aber das Problem liege in dem neuen Kontext, aus dem diese Vor-Kriege-Situation entstehe. "Das Minimum an vorhandenen Nuklearwaffen wird heute auf 20.000 geschätzt. Cubanische Nuklearwissenschaftler gehen von 25.000 aus und ich habe bereits davon gesprochen, dass sie 45.000 Mal das Potential der Hiroshima Bombe haben. Wisst ihr, wie viele man braucht, damit es zu einem totalen nuklearen Winter kommt, der die Welt verdunkelt? Hundert."

Er wies darauf hin, dass ein einziger Krieg zwischen den eigentlich schwachen Nuklearmächten Indien und Pakistan dafür schon ausreichen würde. "0,0004 % der vorhandenen Bomben reichen aus, um den Planeten in einen nuklearen Winter zu versetzen", machte er deutlich.

Fidel hat die letzte Analyse der angesehenen Bostoner Zeitschrift "The Atlantic" vor sich liegen, die von einen bevorstehenden Angriff im Persischen Golf ausgeht. Darin behauptet der Journalist Jeffrey Goldberg, dass "Israel sich darauf vorbereitet, den Iran anzugreifen" und hat damit eine heftige Debatte in den USA ausgelöst.

"Jetzt laufen die 90 Tage ab, die der UNO-Sicherheitsrat festgelegt hat, um mit der Inspektion der Schiffe zu beginnen. Die Frist endet am 9. September. Wird das den Iran entmutigen? Was können die USA noch im Sicherheitsrat an Neuem erfinden?"

Fidel bezieht sich auf seine Reflexiones und sagt erneut, dass der einzige, der den Befehl geben könne, einen Nuklearkrieg zu beginnen, Barack Obama sei. Die Rolle von Russland und China sieht er darin, diesen davon abzuhalten.
Fidel wies auf die psychologischen Momente der Situation hin:"Die Iraner glauben, dass die Israelis es nicht wagen werden, weil es eine Riesenverrücktheit wäre, denn die Iraner erschreckt der Tod nicht."
Auf Obama bezogen sagt Fidel: "Er hat die Macht von der Verfassung. Er kann entscheiden. Er hat eine Verfassung, die ihm das Recht gibt, der erste zu sein, der den Abzug drückt. Weiter nichts."

Über den Ausgang des politischen Schachspiels, das man heute mit dem Schicksal der Menschheit spielt, sagte Fidel zu Arleen Rodriguez, dass "die Yankees Schach matt seien, so intelligent sie es auch anstellen mögen ..." Seiner Meinung nach bricht das System zusammen, egal ob es zum Krieg komme oder nicht. "Alle müssen abrüsten. Wenn sie abrüsten, verschwindet das Imperium. Niemand kann sagen, wie die Dinge weitergehen ..."

Am 8. August gab Fidel einigen bekannten venezolanischen Journalisten ein Interview. Auch hier stand die Kriegsgefahr im Mittelpunkt. Er erinnerte daran, dass die USA damals bei der Raketenkrise fast unter falschen Voraussetzungen gehandelt hätten. Deshalb habe Cuba in diesen Dingen Erfahrung. Sie sprächen aus einem Land heraus, das fast das Angriffsziel von wer weiß welcher Art Angriff geworden wäre. Er erklärte ihnen: "Wir hatten die Projektile hier, die wir nie gewollt hatten. Wir hätten lieber weiterhin das Bild eines Landes vermittelt, das niemandes Militärbasis ist. Wir glaubten, dass dies nicht notwenig sei, damit man uns eine Garantie anbieten würde. Wir haben diesen Vertrag einzig und allein aus dem Gefühl des Internationalismus heraus unterschrieben.

Welches sind die jetzigen Waffen, um Revolution zu machen? Die Wahrheit über das zu verbreiten, was geschehen wird.", meinte er zu ihnen: "Ihr habt die ideologischen Nuklearwaffen (der Kommunikation mit der Welt) und wenn ihr diese Schlacht gewinnt, habt ihr das Regime gestürzt und wir werden keine Revolutionen mehr benötigen. Ich vertraue darauf, dass die Idee verbreitet wird, weil sie unserem Mann (Obama) helfen wird, nicht den falschen Weg einzuschlagen. Die Macht der Kommunikation war in Händen des Imperiums und es hat sie unentwegt missbraucht. Mit allen Mitteln haben sie die Macht geschaffen und sie wollten sie unbedingt behalten, aber es gelang ihnen nicht. Deshalb müssen sie jetzt aufgeben.

Auf einen Kommentar von Mario Silva bezüglich der Anklage von wikileaks über die Verbrechen des Imperiums schlug Fidel vor, ihnen ein Denkmal zu setzen, aber nicht nur der digitalen Seite, sondern auch den Journalisten, die ihn gerade befragen, weil sie, mit allen Medien in den Händen der Konterrevolution, die revolutionären Ideen verteidigt hätten.

An diesem Punkt nahm Vanessa die Warnung Fidels auf, dass neue Ideen notwendig seien und eine neue Art und Weise, die Welt zu sehen und zu interpretieren, und fragte, worin sich die revolutionären Ideen geirrt hätten und welcher Art die neuen Ideen sein würden.
Darauf sagte Fidel, dass die Ideen nicht falsch waren. Sie seien aus einer anderen Epoche geblieben und auf die Ideen dieser Epoche angesprochen, bekräftigte Fidel:
"Das erste ist, den Krieg zu verhindern, die anderen sind auszuarbeiten, wie die Gesellschaft sein soll, wie die Güter und Dienstleistungen verwaltet werden, wie die erneuerbare Energie entwickelt werden soll ..."

Auf die Frage, wie die ökonomischen Beziehungen umgestaltet werden sollten, sagte Fidel:
"Sie können nicht kapitalistisch sein, denn mit allen Kenntnissen, die wir haben, werden wir nicht noch mal dasselbe wie vorher aufbauen. Wir werden nicht noch einmal dasselbe machen, ich könnte dir nicht sagen, wie das gehen soll. Wir müssen es alle zusammen machen. Denn da ist eine Menschheit, die lesen und schreiben kann. Es kann nicht sein, dass alles zerstört wird. Man muss versuchen, die Welt zu erhalten. Wir hoffen, dass sie erhalten wird ... dass die Intelligenz arbeitet. Wenn sie auf ihre Selbstzerstörung hin gearbeitet haben, auf das Unglück (er zeigt auf die Bilder verbrannten Opfer von Hiroshima), wie kann es sein, dass das alles noch einmal geschehen soll? Es ist unmöglich, dass die menschliche Intelligenz sich so etwas widmet. Der Kapitalismus gehört zur Vorgeschichte. Marx hatte völlig Recht."

Auf den Einwand Vanessas, dass viele der Auffassung seien, der Sozialismus gehöre ebenfalls zu dieser Vorgeschichte, antwortete Fidel:
"Nein. Was ist der Sozialismus? Das ist eine Frage, die wir uns stellen müssen.
Der Kommunismus, das was Marx selbst als kommunistisch definierte, ist, jeder nach seinen Möglichkeiten, jeder nach seinen Notwendigkeiten. Natürlich muss man definieren, welches die Notwendigkeiten sind. Es ist nicht das Flugzeug und auch nicht das Schiff, mit dem man in der Welt herumfährt und fischt und allen Treibstoff verbraucht...

Walter Martinez, Journalist der Sendung Dossier sprach Fidel noch einmal darauf an, ob er glaube, dass ein Krieg ausbrechen werde, wenn man versuche die iranischen Schiffe zu inspizieren.
Fidel meinte dazu, er glaube ja. "Dieses Datum kann man nicht verschieben, denn das würde so aussehen, als ob man nachgebe... das ist ein Punkt, der erfüllt werden muss oder man gibt auf. Wenn man ihn erfüllt, gibt es Krieg, wenn man ihn aufgibt, bedeutet es Niederlage. Aber es würde keinen Krieg und keine Niederlage geben, wenn man sich der Entscheidung bewusst sei, die man treffe. Das sei das, was er darzustellen versucht habe.

Walter Martinez weist ihn auf seine eigene Warnung vor den Israelis hin. Daraufhin wiederholt Fidel: "Es stimmt, dass die Israelis machen, was sie wollen. Es stimmt, dass sie im Besitz von Nuklearwaffen sind, aber sie warten darauf, dass es die USA sind, die den Befehl geben. Sie glauben, dass sie alle dahin gedrängt haben, sie haben ihre Vereinbarungen mit Saudi Arabien getroffen, mit den arabischen Emiraten, zu welcher Zeit sie fliegen werden, sie haben alle Flugzeuge, sie ersticken in all den Flugzeugen, die ihnen die Yankees gegeben haben, aber sie erwarten, dass die Yankees die Entscheidung treffen und dass sie nicht nein sagen können. Jetzt warten sie darauf, dass jemand abdrückt und dieser jemand kann nur Obama sein. Und was passiert, wenn Obama nicht abdrückt? Du könntest jetzt sagen: Dann machen sie es selber, aber wenn Obama nicht abdrückt, weil es eine weltweite öffentliche Meinung gibt und alle Mächte fordern, dass es keinen Krieg geben soll, dann werden auch die Israelis nicht beschließen, auf eigene Rechnung aktiv zu werden.

Drei entscheidende Fragen
Fidel schlug vor, die Analyse anhand dreier Fragen zu konkretisieren, die er als entscheidend betrachtet:
Glaubt jemand, dass das mächtige Imperium nachgibt in Bezug auf die Inspektion der iranischen Handelsschiffe?
Glaubt jemand, dass den Iranern, ein Volk mit einer tausendjährigen Kultur und viel mehr dem Tod verbunden als wir, der Mut fehlt, den wir hatten, um sich den Forderungen der USA entgegenzustellen?
Hat jemand eine Lösung für diesen Widerspruch?
Versucht diese Fragen zu beantworten. Davon hängt alles ab.

Logo CUBA LIBRE Renate Fausten

CUBA LIBRE 4-2010