Archiv des Grauens
Ein Dokumentarfilm zeigt die Dimensionen der Repression in Guatemala

Auf den ersten Blick sehen die Männer und Frauen in ihren Overalls und ihren Masken wie Ärzte auf der Intensivstation aus. Doch sie sind Archivare des Grauens, die in dem Film des deutschen Regisseurs Uli Stelzner bei ihrer Recherche dokumentiert werden. Sie werten das zufällig vor einigen Jahren entdeckte Archiv der guatemaltekischen Nationalpolizei aus. Unzählige Karteikarten, Fotos und Videofilme dokumentieren die jahrzehntelange flächendeckende Verfolgung jeglicher demokratischer Bewegung in dem zentralamerikanischen Land.

Ein kleiner Teil des Materials wird im Film präsentiert.

Man sieht eine endlose Reihe von Fotos, junge Männer und Frauen, ältere Arbeiter, Studentinnen, Intellektuelle. Sie wurden verschleppt und gefoltert, die meisten wurden ermordet. Es waren Menschen, die für soziale Gerechtigkeit und demokratische Veränderungen kämpften, wie der sozialdemokratische Bürgermeister von Guatemala City Manuel Colom Argueta, der in dem Film eine größere Rolle spielt. Seit den 60er Jahren wurde er bespitzelt und bedroht. Am 22. März 1979 wurde er mitten im Präsidentenwahlkampf, den er gewonnen hätte, mit 36 Schüssen getötet. In dem Film werden die Dokumente seiner jahrelangen Verfolgung gezeigt und ein Video zeigt den Abtransport des Autos, in dem er bei seiner Ermordung saß, das auf einen Schrottplatz gefahren wurde, während er noch mit dem Tode rang. Wenige Tage zuvor hatte er noch in einem Interview gesagt: "Das erste Recht, das man uns verweigert, ist das Recht auf Leben".

Sein Namensvetter, ein demokratischer Wissenschaftler, wurde so schwer mit Elektroschocks gefoltert, dass er mit schweren inneren Verbrennungen auf einer Straße in Guatemala-Stadt starb. Die meisten Toten blieben namenlos, sie wurden von den Militärs aus ihren Dörfern verschleppt und verschwanden. Für die Repressionsorgane reichte es, wenn Menschen im Guerillagebiet lebten, damit sie als Freiwild galten.

Bewegend sind die Biographien verschiedener Menschen, die in dem Archiv erstmals die Gewissheit bekommen haben, dass ihre verschwundenen Verwandten, Eltern und Freunde zu Tode gefoltert wurden. In dem Archiv finden sich die Beweise in Form von Dokumenten, Fotos und Videos. Ein Augenzeuge berichtet, was am 13. August 1981 geschah, als das Militär und verbündete Todesschwadronen ein Dorf überfielen, in dem die Bewohner gerade das Abendessen zubereiteten. Die Mutter wurde in der Küche aufgehängt, überlebte aber, dem Bruder wurde der Hals durchgeschnitten, Es war eine Generation von politischen Aktivisten, gegen die in jenen Jahren auf dem Lande, in den Dörfern, in den Universitäten und Fabriken ein Vernichtungsfeldzug betrieben wurde.. Der Terror wurde mit Unterstützung von US-Stellen betrieben. Auch hierfür fanden sich in dem Archiv die Beweise. Teilweise wurden die Repressionsorgane von US-Stellen aufgefordert, in der Verfolgung der Kommunisten nicht nachzulassen. Auch ein ehemaliger hoher Beamter, der Ende der 70er Jahre ins Lager der Opposition gewechselt ist, bestätigte im Interview die Kooperation mit den US-Behörden und die Waffenlieferungen von Israel.

Gegner der Aufarbeitung

In Interview bestätigten Menschen, die und deren Angehörigen Verfolgung und Folter erlitten hatten, wie wichtig für sie die Entdeckung des Archivs war. Doch es gibt noch immer mächtige Gegner dieser Aufarbeitung. Sie sitzen beispielsweise in der ultrarechten Patriotischen Partei, die fast die Wahlen gewonnen hatte und zu einem Sammelbecken von Ex-Militärs und Folterern geworden ist. Von dieser Seite gab es heftige Widerstände gegen den Film. Dass es auch im Guatemala dieser Tage noch immer gefährlich ist, eine Aufarbeitung der Vergangenheit zu fordern, zeigte sich im letzten Jahr, als junge politische Aktivsten ermordet wurden und ein Zeuge der vergangenen Massaker verschwunden ist.

Der Film von Uli Stelzner hielt dabei, die Geschichte von Terror und Repression aber auch von Widerstand wachzuhalten, in Guatemala und in anderen Ländern.

Stelzner verfällt nicht in einen Pseudoobjektivismus, in dem er die Verantwortung für die blutige Geschichte, beiden Konfliktparteien, Unterdrückern und Unterdrückten gleichmäßig überantwortet. Der Film lässt keinen Zweifel, dass es der Staat und seine Repressionsorgane waren, die jegliche Opposition im wahrsten Sinne des Wortes begruben und in Blut ersticken wollten. Dagegen wehrten sich die Menschen, manche auch in der Guerilla. Das wird im Film durchaus als eine logische Konsequenz interpretiert, um sich gegen Terror und Repression zu wehren. Mehrmals werden im Video Sequenzen eingespielt, wo die Guerillakämpfer den Terror und die Menschenrechtsverletzungen öffentlich anprangerten. Aber sie wurden damals kaum gehört. Als Bauern und Menschenrechtler friedlich die spanische Botschaft von Guatemala City besetzten, um gegen die Repression in dem Land zu protestierten, wurden sie alle ermordet. Das Massaker fand unter den Augen der Weltöffentlichkeit statt, erregte damals viel Empörung und ist heute weitgehend vergessen. Bid heute werden in Guatemala Linke bedroht und verschwinden spurlos. Auch gegen die Aufführung des Films machte die Rechte - allerdings erfolglos - mobil. Einen Film, der so eindeutig auf Seiten der Unterdückten steht, findet man heute selten. Er ist unbedingt empfehlenswert.

Weitere Infos: La Isla - Archive einer Tragödie

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CUBA LIBRE 3-2010